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# taz.de -- Plattenlabelgeburtstag in Hamburg: Der Schmetterlingssammler
> Seit 21 Jahren sammelt Felix Kubin für sein Label Gagarin Records
> Verschrobenes zwischen kuriosem Pop und unakademischer Neuer Musik. Am
> Samstag wird gefeiert.
Bild: Dadaistisch-verspielter Ansatz: Die Spanierin Eli Gras baut ihre Instrume…
Felix Kubin hat ein großes Vorbild, mehr noch: einen „telepathischen
Alliierten“, wie der Hamburger Musiker, Komponist, Hörspielmacher und
überhaupt Klang- und Medienkünstler selbst formuliert: den russischen
Kosmonauten Juri Gagarin. Denn wie [1][der erste Mensch im Weltraum] ist
Kubin [2][seit Mitte der 1980er-Jahre] am liebsten dort unterwegs, wo
bisher noch niemand war; schwebt in seiner ganz eigenen Umlaufbahn – und
schickt von dort aus durchaus auch mal rätselhaft bleibende
Klangbotschaften.
Mit allen akustischen Mitteln wendet sich der selbst ernannte „Lord of the
Deranged“ ausdrücklich gegen die Schwerkraft und setzt sich
leidenschaftlich für die Befreiung aufklärerischer Klänge aus den Fängen
des Kapitalismus ein: mit sozialistischen Singeliedern der [3][„Liedertafel
Margot Honecker“], mit Elektroakustischem und Krach, mit Experimentellem
und Konzeptmusik und vor allem mit ausdrücklich „verspielt-verspultem“,
irgendwie futuristischem oder dadaistisch anmutendem Pop.
Dazu kommen regelmäßig Zeichentrick- und Animationsfilme, Radiosendungen,
Hörspiele, Film- und Theatermusik, Literarisches, Installationen, das
„Syndikat für Gegenlärm“ – und [4][das eigene Plattenlabel Gagarin
Records]. 1998 hat Kubin es gegründet, um zunächst mal seine eigene Musik
zu Filmen der Künstlerin Mariola Brillowska zu veröffentlichen – in
„telepathischer Allianz“ mit Gagarin, wie er auf der Internetseite des
Labels schreibt.
An diesem Samstag [5][feiert] Kubin den 21. Geburtstag des Labels auf
Kampnagel, unter anderem mit Liveauftritten von drei seiner Künstler*innen:
der Spanierin Eli Gras, dem Tel Aviver Adi Gelbart und dem Warschauer
Percussion-Duo Pękala-Kordylasińska-Pękala – „Songs am Rande des
Nervenzusammenbruchs“, verspricht Kubin.
Tatsächlich klingt auch die Musik, die Kubin in den vergangenen zwei
Jahrzehnten zusammengesammelt und veröffentlicht hat – ganz so wie seine
eigene –, oft wie aus einer anderen Welt. Oder zumindest der vertrauten
Klangwelt ringsum irgendwie enthoben. Eine erlesene Auswahl an irrwitzigem
Zeug hat Kubin auf 39 Platten pressen lassen, das sind gerade mal zwei
Veröffentlichungen pro Jahr. Dazu kommt seit ein paar Jahren noch die
kleine Singlereihe „Apolkalypso“, auch da sind es nur zwei Veröffentlichung
pro Jahr.
## Irrwitziges Zeug
Die aber sind mit umso feinerem Gespür für Verschrobenes ausgewählt.
„Gerade gestern sagte jemand zu mir, ich sei mehr so ein
Schmetterlingssammler“, sagt Kubin. Nur dass die bunt schillernden
Exemplare, die Kubin mit der Plattenspielernadel aufspießt, überaus
lebendig bleiben. Und oft Unikate sind, die sich nur schwer in bestehende
Gattungen sortieren lassen.
Da finden sich ordentlich verschwurbelte, äußerst eigenartige
Klangexperimente im Katalog, schwer Einzuordnendes und auch nicht immer
leicht Konsumierbares. „Man muss sich auf sie einlassen“, sagt Kubin. „Das
sind schon Platten, die sind auf eine Art sehr einnehmend und fordernd. Man
kriegt eigentlich nur Zugang dazu, wenn man sie sich konzentriert anhört.“
Dabei sind die Veröffentlichung von auf den ersten Eindruck so verrückt
erscheinenden Vögeln wie Ergo Phizmiz, Pete Um, Adi Gelbart oder Eli Gras
mitnichten verkopfte Besinnungsmusik fürs Akademiker-Sitzkonzert. Wenn Eli
Gras etwa ihre selbst gebauten Instrumente wie einen mit Saiten bespannten
Kickertisch spielt, dann ist immer eine Menge anarchischer Spaß irgendwo
zwischen Noise, aber eben auch Pop dabei. „Es geht schon um etwas
Geistvolles“, sagt Kubin, „aber einen Geist, der nicht schon
zurechtgeschnitzt ist – sondern eher um den abgebrochenen rohen Ast.“
## Verrückte Vögel
Ein wenig Entdeckergeist muss man aber schon mitbringen. Denn um genau den
geht es ja auch den allesamt eigenwilligen und von Werdegang oder Genre her
ganz unterschiedlichen Künstler*innen, die auf Gagarin Records
zusammengekommen sind. Allen gemeinsam ist, dass sie in verschiedenen
Disziplinen aktiv sind. „Dadurch entstehen interessante Interferenzen“,
sagt Kubin begeistert; oder dass sie ihre Musik auf oft selbst gebauten
Instrumenten spielen, die nicht weniger eigenwillige Verhaltensweisen
zeigen als ihre Spieler*innen. „Die Unberechenbarkeit der Welt ist etwas,
das mich sehr interessiert in der Musik“, sagt Kubin.
Sehr eigenwillige Geräte, die so komplex oder auch instabil sind, dass sie
sich gar nicht wirklich kontrollieren lassen, hat Kubin auch für seine
aktuelle Platte gespielt, deren Release ebenfalls an diesem Abend gefeiert
wird. Erschienen ist sie nicht bei Gagarin Records, sondern beim noch
jungen Hamburger Label Vis: eine aus zwei langen Stücken bestehende Hommage
an zwei veritable Klang-Ungetüme, den nur einmal gebauten
[6][Max-Brand-Synthesizer] und das [7][Rob-Hordijk-Modularsystem].
„Sehr, sehr verwegene Sachen“ seien aber auch für den Ausklang des Abends
zu erwarten, verrät Kubin noch: Gemeinsam mit Felix Raeithel legt er nach
den Konzerten als [8][„Demo Dandies“] auf. Seit 2011 sammeln die beiden in
verschiedenen Städten „alles, was nicht niet- und nagelfest ins Format
passt“, von merkwürdigen Soundcollagen über schwer erträglichen
Elektrokrach bis zu Musik mit dem eigenen Haustier. Dafür laden sie das
Publikum dazu ein, möglichst verschrobene und eigentlich
unprofessionalisierbare – vor allem aber ungemein unterhaltsame – eigene
musikalische Gehversuche auf [9][Tape] oder CD mitzubringen.
1 Mar 2019
## LINKS
[1] https://lexikon.astronomie.info/satelliten/gagarin/index.html
[2] https://www.youtube.com/watch?v=FucqxuN--SU
[3] https://www.youtube.com/watch?v=d4PnpcrExeQ
[4] http://www.gagarinrecords.com/
[5] https://www.kampnagel.de/de/programm/gagarin-records-1998-2019/?datum=&…
[6] https://www.sequencer.de/blog/ars-electronica-2009-max-brand-synthesizer-19…
[7] http://www.synthtopia.com/content/2014/10/06/rob-hordijk-creator-of-the-hor…
[8] http://demodandies.de/
[9] https://www.lowbeats.de/erstaunliche-wiederkehr-der-compact-cassette/
## AUTOREN
Robert Matthies
## TAGS
Kampnagel
Label
Neue Musik
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Hörspiel
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