# taz.de -- Veit Helmers neuer Film: Aschenbrödel in Aserbaidschan | |
> Veit Helmer hatte keine Filmerlaubnis in Aserbaidschan. Sein neues Werk | |
> „Vom Lokführer, der die Liebe suchte …“ hat er trotzdem dort gedreht. | |
Bild: So bildstark, dass er ganz ohne Dialog auskommt: der Film „Vom Lokführ… | |
„Wir werden einfach nicht schlau aus diesem Dreh. Alles, was wir sehen, ist | |
ein alter Mann oder eine alte Frau, die Unterhose und BH in der Hand | |
halten. Wir wissen nicht mal, ob es ein guter Film oder ein Sexfilm ist.“ | |
Dass sich in der Making-of-Dokumentation Einwohner und staatliche Behörden | |
von Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, während der Dreharbeiten vor | |
Ort brüskiert zeigten, ist kaum verwunderlich. | |
Denn nicht die berühmte mittelalterliche Altstadt der wirtschaftsstarken | |
Stadt am Kaspischen Meer in der ehemaligen Sowjetunion oder ihre moderne | |
Architektur von Zaha Hadid stehen im Mittelpunkt von Veit Helmers sechstem | |
Langfilm „Vom Lokführer, der die Liebe suchte …“. Stattdessen wurde das | |
mittlerweile abgerissene Armenviertel von Baku namens Schanghai, wo sich | |
bis vor Kurzem noch täglich schwere Züge direkt zwischen den Wohnhäusern | |
hindurchwälzten, mit reichlich Spitzenunterwäsche auf nackter Haut filmisch | |
in Szene gesetzt. | |
Ohne Dreherlaubnis und [1][unter permanenter Einschüchterung] des Teams | |
durch die Bahnpolizei entstand ein letzter poetisch-verklärter Blick auf | |
ein Idyll der kleinen Leute, die – so lässt uns die Verfilmung zumindest | |
gern glauben – ihre Wäscheleinen quer über die Gleise spannen und ihren | |
Alltag beim Kartenspiel auf den Gleisen verleben, bevor sie vom | |
Waisenjungen Aziz (Ismail Quluzade) vor herannahenden Zügen mit | |
Trillerpfeife gewarnt werden. | |
Dieser Blick erinnert an Aki Kaurismäkis letzte Kamerabilder auf das | |
historische Hafenviertel in „Le Havre“ (2011), das ebenfalls nach den | |
Dreharbeiten abgerissen und das Filmmaterial damit zu einem raren | |
Zeitdokument wurde. | |
## Ästhetik von Jacques Tati | |
Ganz authentisch konnte Kameramann Felix Leiberg durch ein endgültiges | |
Drehverbot in Aserbaidschan nicht bleiben: Bis auf die zentrale Aufnahme | |
einer Zugfahrt durch das Viertel entstanden alle anderen Aufnahmen mit | |
Zügen im Nachbarland Georgien. | |
Gänzlich ohne Dialoge [2][im Stil von Jacques Tati], voller überzeugender | |
Bild- und Tonideen und mit unbekümmerter Leichtigkeit erzählt der Film vom | |
Lokführer Nurlan (Miki Manojlović) kurz vor seiner Pensionierung, der mit | |
seinem Lehrling (Denis Lavant) seinen Zug täglich direkt durch das belebte | |
Viertel und das Leben der Bewohner lenkt. Ob Ball oder Bettwäsche, die sich | |
regelmäßig an seiner Windschutzscheibe verheddern – Nurlan bringt alles am | |
Abend wieder ordnungsgemäß zurück zu seinen Besitzern und kommt so ein | |
Stück über seine Einsamkeit hinweg. | |
Als er eines Tages den Blick auf eine Frau beim Umziehen erhascht und ihm | |
just dieser BH wenig später vor das Fenster seiner Lok flattert, beginnt | |
seine beharrliche Suche nach der Prinzessin, der genau dieser Büstenhalter | |
passen möge. Mit sanfter Komik entgeht der Film der Falle, sexistisch zu | |
sein, nimmt er doch Frauen wie Männer in ihrem Gebaren um das andere | |
Geschlecht und ihren Dessousfetisch gleichermaßen auf die Schippe. | |
Weltweit gecastete Darstellerinnen wie die charismatische Russin Chulpan | |
Khamatova, die wie Denis Lavant bereits in Helmers preisgekröntem Debütfilm | |
„Tuvalu“ (1999) die Hauptrolle spielte, oder die Spanierin Paz Vega sorgen | |
für reichlich Verwirrung bei dieser vergnüglichen Körbchensuche. Der raue | |
Charme der wuchtigen Züge, des kargen Berglands und der brüchigen | |
Steinfassaden schafft im Kontrast zur Weichheit von Haut und Wäsche, dem | |
bunten Treiben im Inneren der Häuser und den Seufzern der sich Suchenden | |
die Atmosphäre für diese wunderbare kleine Geschichte in | |
Technicolor-Ästhetik. | |
Die Einwohner von Baku können beruhigt sein: Es ist ein guter Film | |
entstanden, der mittlerweile sogar beim heimischen Festival als beste | |
Produktion ausgezeichnet wurde. | |
7 Mar 2019 | |
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[1] /Pressefreiheit-in-Aserbaidschan/!5578135 | |
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## AUTOREN | |
Morticia Zschiesche | |
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Liam Neeson | |
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