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# taz.de -- Orpheus-Hörspiel von Felix Kubin: Im Wartesaal des Jüngsten Geric…
> Der Hamburger Künstler Felix Kubin macht aus dem Orpheus-Mythos ein
> Hörspiel. „Orphée Mécanique“ ist eine Science-Fiction-Version der anti…
> Sage.
Bild: Felix Kubin liebt Ostblockinstrumente und zerschneidet gern alte Magnetb�…
„Ich wollte wie Orpheus singen“ – auch der Barde Reinhard Mey konnte es
sich nicht verkneifen, dem thrakischen Poeten eines seiner schwülen Lieder
zu widmen. Seit der Antike kursiert die Sage vom Prinzen mit der Lyra, der
auf der Suche nach seiner verstorbenen Geliebten in die Unterwelt wanderte
und mit seiner Sangeskunst Tiere, Menschen, Götter, ja selbst Felsen zum
Weinen brachte.
Künstler, Schriftsteller und Komponisten holen seither den Gründungsmythos
der Musik in ihre Gegenwart und verzerren, idealisieren oder verkitschen
ihn.
„Sir Orfeo“ heißt eine Adaption von 1330, in der ein anonymer Autor den
Orpheus als tapferen Ritter darstellt, der Eurydike gleich mit einem
Soldatenheer zu retten versucht. Der Orpheus eines Tennessee Williams von
1957 wiederum ist ein verruchter Nachtklubbesitzer. Nicht eine Lyra und das
Apollo-gleich gelockte Haar, sondern eine Gitarre und eine Jacke aus
Schlangenleder sind die Attribute, mit denen er eine Dame und mit ihr ein
ganzes Dorf in den US-Südstaaten durcheinanderbringt.
Der Hamburger Musiker, Komponist und Hörspielregisseur Felix Kubin bricht
mit der Tradition, den Orpheus als freigeistigen Helden darzustellen. In
seiner Version wird der Poet zu einer einsamen und anonymen Gestalt.
„Orphée Mécanique“ heißt Kubins musikalische Erzählung, die zum Hörspi…
des Jahres 2012 gekürt wurde und nun als Album erschienen ist. Darin lässt
Kubin den thrakischen Prinzen zu einer Figur ohne Erinnerung werden. Eura,
seine Geliebte, gibt es nicht. Sie ist eine Projektion, der er bis in die
Unterwelt hinterherläuft.
## Fundstücke des Alltags
Felix Kubin ist eine Art Heimstudiovirtuose, unterwegs zwischen E-Musik,
Trash, Bühne und Radiokunst. In seiner Musik hat er sich dem Maschinenlärm
der analogen Elektronik verschrieben. Er liebt Ostblockinstrumente,
zerschneidet mit Vorliebe alte Magnetbänder, sammelt klangliche Fundstücke
des Alltags und braut sie zu einem Potpourri zusammen. Seine
Veröffentlichungen betitelt er mit „Chromdioxidgedächtnis“,
„Fernsehpropheten“ oder „Die Inhaberin des Chlorophyllmandats überwacht …
Ausgleich von Licht und Schatten“.
Seinem Orpheus drückt Kubin kein Instrument in die Hand, sondern ein
Psykotron. Das ist ein weißer Kasten mit zwei Griffen. Die Gedanken,
Erinnerungen und Klänge aus dem Kopf seines Besitzers kann das Psykotron in
hörbare Schallwellen umwandeln. Den Geräuschüberfluss des Alltags, das
„nächtliche Singen des Hafens“, das „Keuchen der Geliebten“, das „Su…
des Kühlschranks“ überbringt Orpheus in die Unterwelt.
Im Club „De la Morte“, wo sich die Seelenlosen versammeln, besingt Orpheus
mit seinem Psykotron den Lärm des Banalen, und das Publikum jubelt ihm zu.
Es ist ein kafkaesker Kosmos, in den Kubin seinen verlorenen Orpheus
schickt. In einer Endlosschleife läuft der zwischen Welt und Unterwelt rauf
und runter.
## Hades, der Gott der Unterwelt, ist ein Behördendirektor
Der erste Schritt ins Reich der Toten ist ein Vorzimmer. Vor dem Jüngsten
Gericht muss er im Wartesaal Platz nehmen, in Zimmer 110 klingelt
unaufhörlich das Telefon, an der Schleuse zum Totenreich wird Orpheus
registriert und aufgezeichnet. Hades, der Gott der Unterwelt, ist ein
Behördendirektor. „Wir sind ein Staat“, sagt er, „selbst Korruption gibt…
hier.“
Monologe und Dialoge sind bei Kubin gesprochen oder gesungen. Mit der
seltsam krächzenden Stimme des Schauspielers Lars Rudolph spricht Orpheus
in simplen Reimen und bringt eine absurde Poetik in die antike Sage: „Soll
ich dir zum Beweis die Sterne vom Himmel pinkeln?“, schlägt er seiner Eura
vor.
Felix Kubin zerstückelt den Gründungsmythos der Musik in klangliche und
erzählerische Fragmente und klebt sie mit seiner schlichten Elektronik zu
einer experimentellen Collage zusammen. Der antike Schöpfer ist ein
mechanischer Poet. In dieser Geschichte des Orpheus wiederholt sich alles,
die Liebe, die Musik und schließlich die Kunst selbst.
Felix Kubin: „Orphée Mécanique“ (Intermedium/Belleville)
26 Jun 2013
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Hörspiel
elektronische Musik
Kampnagel
Popmusik
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Musikkultur
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