# taz.de -- WDR-Hörspiel „Das Hibernat“: Bonusmeilen dank Winterschlaf | |
> Wer den Winter verschläft, stößt weniger CO2 aus. Die zuküftige Währung | |
> für Bewegungsfreiheit heißt Kilometer. „Das Hibernat“: Ein gelungenes | |
> Hörspiel. | |
Bild: Langschlafen um Ressourcen zu sparen? Bisher wird das nur von Tieren wie … | |
Bonusmeilen dank Winterschlaf? Klingt erstmal absurd – oder nach | |
Science-Fiction. Letzteres trifft zu: Weil immer mehr Menschen auf dem | |
Planeten rumlaufen, fahren oder fliegen, nimmt auch die CO2-Belastung | |
erdrückend zu. Da muss man gegensteuern, findet jedenfalls das „Ministerium | |
zur Bewirtschaftung der Ressourcen (MBR)“ in [1][Rolf Schönlaus] Roman „Das | |
Hibernat“. | |
In der Erzählung, die erstmals von Juni bis November 2011 als Blog auf | |
sueddeutsche.de erschien, bekommen die Menschen vom MBR ein | |
Mobilitätskontingent verpasst. Reisen ist nur noch begrenzt erlaubt. Die | |
Währung der Zukunft heißt Kilometer. | |
Eine Chance das Konto aufstocken, ist die Teilnahme an einer | |
wissenschaftlichen Versuchsreihe, in der Testpersonen in den | |
[2][Winterschlaf] (englisch: Hibernation) versetzt werden. Denn: Wer wie | |
Haselmaus oder Igel die alljährlichen Kältemonate verpennt, spart Energie. | |
Der Westdeutsche Rundfunk hat Schönlaus „Hibernat“ nun vertont und sendet | |
das Hörspiel am Samstagnachmittag (15.05 bis 16 Uhr, [3][WDR 3]). | |
Ein formell nicht ganz einfaches, aber in diesem Fall akustisch sehr | |
gelungenes Unterfangen, denn die Vorlage besteht überwiegend aus | |
episodenartigen, bloggerecht zugeschnittenen Tagebucheinträgen der | |
Hauptfigur Simon Reese. Man begleitet den ehemaligen Kulturdezernenten, dem | |
Matthias Habich überzeugend seine Stimme leiht, in den letzten hundert | |
Tagen bevor er sich in eine komplett überwachte Schlafkapsel, einen | |
„Hibernator“, legt. Weil Reese leidenschaftlicher „Fernwanderer“ ist, l… | |
er sich auf das Schlafen unter Aufsicht ein. Die damit erworbenen | |
Bonusmeilen hat er bereits für einen Urlaub im Frühjahr verplant. | |
## „Ante Hibernatum“ | |
Zu Beginn seiner Vorbereitungszeit – „ante Hibernatum“ – betrachtet Ree… | |
neugierig und humorvoll seine kommende Ruhephase. Er erklärt sich zum | |
„Hibernier“ und feixt mit der Enkelin Bao im fernen China via Webcam, dass | |
er bald wie die Braunbären im Winter auf „Sparflamme“ laufe. Doch mit jedem | |
Tag der verstreicht und dem intimen Reflexionszwang, den Tagebücher nun mal | |
so an sich haben, werden die Gedanken kritischer. | |
Verstärkt werden die ernsten Episoden auch durch eine Reihe immer kürzer | |
aufeinander folgende Untersuchungszyklen. Mal muss Reese zum skeptischen | |
Psychologen, der bei ihm leichten „Größenwahn“ wittert oder zur | |
Medizinaltechnikerin, die ihn über Proteine zum Synapsenschutz aufklärt. | |
In dem Biologen Dr. Dupree (Ulrich Gebauer), ebenfalls ein Fernwanderer, | |
findet er aber einen verständnisvollen Gesprächspartner, der mit ihm | |
während der nächsten Monate via „Gehirncomputer-Interface“ weiter plausch… | |
mag. Letztlich wird Simon Reese erst spät die institutionell kontrollierte | |
Dimension des Versuchs, an dem neben ihm 3.000 Freiwillige teilnehmen, | |
klar. | |
## Zentrale Episode | |
Dies spiegelt sich in der zentralen Episode des Hörspiels. Reese liegt | |
gerade – zur Vorbereitung auf den Hibernator – in einem Floating-Tank, der | |
mit einer hochkonzentrierten Salzwasserlösung gefüllt ist und deswegen ein | |
Gefühl von Schwerelosigkeit vermittelt. Doch seine Gedanken schweben nicht, | |
sie rasen: „Tausende von Hibernatoren, alle hängen am zentralen Rechner, | |
ein Organismus, Ameisen sind auch nur Zellen ihrer Kolonie – im Winter | |
inaktiv“. Am Ende schwappt sogar ein Hauch Verschwörungstheorie durch den | |
Bewusstseinsstrom. | |
Die WDR-Produktion punktet letztlich durch inhaltliche wie akustische | |
Komplexität, denn das von Autor Schönlau geschnürte Diskurspaket zwischen | |
Bioethik und Bewegungsfreiheit ist umfangreich. Reeses Innenansichten | |
überforderen den Zuhörer in knapp 53 Minuten dennoch nicht. Sie bleiben | |
stets nachvollziehbar. Sorge und Neugier des angehenden Winterschläfers | |
folgen still einem Gedanken des Dramatikers Christian Friedrich Hebbel: | |
„Schlaf ist ein Hineinkriechen des Menschen in sich selbst“. | |
7 Dec 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.rolfschoenlau.de/seiten/leb.html | |
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Winterschlaf | |
[3] http://www1.wdr.de/radio/radiohp_start104_akk-a1-1_wn-3.html#a1-1 | |
## AUTOREN | |
Jan Scheper | |
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