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# taz.de -- ARD-Radiotatort aus Hamm: Die Karre, die Kohle und die Olle
> Der aktuelle ARD-Radiotatort ist in Ostwestfalen beheimatet. Der trashige
> Hörkrimi erinnert an einen einst populären Zweitürer von Opel.
Bild: Zwei der Ermittler der „Task Force Hamm“: Scholz (Uwe Ochsenknecht, l…
Autos sind wichtig im Ruhrgebiet. Zwischen Rhein und Ruhr geben sie
Auskunft über die geistige und körperliche Verfassung ihrer Besitzer. Im
Großradius um die A 40 verschmelzen Fahrzeug und Fahrer derart, dass
Karosserie und Charakter untrennbar miteinander verbunden scheinen und
zahlreiche Klischees gebären. Deren vielfaltiges Echo findet sich auch noch
in den Randbezirken der mittlerweile abgewrackten Industrieregion. Etwa in
Hamm, der Heimat von Georg Latotzke.
Der Polizeibeamte ist eher sparsam behirnt, arbeitet nebenbei als DJ und
zählt zu den radikalsten Vertreter der heimischen Mundart. Latotzke fährt
nach eigenen Angaben „die blaue Mauritius unter den Straßensportwagen“,
einen giftgrünen Opel Calibra, Baujahr 1997, folglich einen der letzten
seiner Art, denn die Rüsselsheimer stellten die 1989 begonnene Produktion
wenig später ein.
Der aktuelle ARD-Radiotatort „Calibra oder die Geißel Gottes“, der am
kommenden Samstag um 17.05 Uhr auf WDR 5 zu hören ist, gibt unterhaltsam
und kurzweilig darüber Auskunft wie der Hammer Bulle an sein „grünes
Reptil“ auf nicht ganz legalem Weg kam und was der vorherige Besitzer
deswegen ganz und gar nicht Legales unternimmt. Kurzum: Latozke (Sönke
Möhring) nahm Autoschieber Igor „Jabo“ Jabontschek (Dimitri Bilov) vor ein
paar Jahren hops und sackte dessen Dienstfahrzeug gleich mit ein.
Nun ist „Jabo“ wieder zurück auf der Straße und rückt allen, die ihn dam…
hintergingen mächtig auf die Pelle – dem unbarmherzigen Programm folgend:
„meine Karre, meine Kohle, meine Olle“. Die Amokfahrt des „Ostgoten“ ma…
dann der „Task Force Hamm“ ordentlich zu schaffen. Neben Latozke hat der
WDR noch die Kollegen Scholz (Uwe Ochsenknecht), Dienststellenleiter
Vorderbäumen (Hans Peter Hallwachs) und Lenz (Matthias Leja) der
kreisfreien Polizeibehörde zugewiesen.
## 79 Folgen in sechs Jahren
Das Quartett ermittelt für den ARD-Radiotatort seit 2012. An der Reihe
beteiligen sich seit dem Start im Januar 2008 alle ARD-Anstalten. 79 Folgen
wurden bisher gesendet. Zuvor kamen die WDR-Produktionen aus Düsseldorf und
spielten im dortigen LKA. Nach sieben Episoden, allesamt solide, die eher
einem oft dunklen, sozialkritischen Duktus folgten, änderte die Kölner
Redaktion die Ausrichtung der Hörkrimis und legte sich mit Dirk Schmidt auf
einen beim Sender seit den 90ern etablierten Autor fest.
Schmidt hatte sich bereits vor vier Jahren die „Task Force Hamm“ für den
WDR ausgedacht. Ein ensprechendes Hörspiel mit identischem Setting und
nahezu allen Protagonisten war 2010 im Rahmen des Krimifestivals „Mord am
Hellweg“ entstanden und wurde im Herbst des selben Jahres erstmals
ausgestrahlt.
Die Story fand seine Fortsetzung dann 2012 durch die inhaltliche
Eingliederung in den Radiotatort mit der Zwangsversetzung des zynischen
Alkoholikers Lenz, der schon in der rheinischen Landesbehörde dabei war,
nach Ostwestfalen. Denn in Hamm landen all jene, die bei der Polizei als
Problemfälle auffällig geworden sind: Scholz zockt, Vorderbäumen verweigert
sich hartnäckig der Pensionierung und Latotzke ist halt Latotzke und hört
Helene Fischer.
Die Fälle der vier Gehandicapten sind liebevoll überzeichnet und
vollgepackt mit trashigen Pointen. Die Sprecher erfüllen ihre Rollen
mittlerweile mit hörbarem Vergnügen. So diagnostiziert Lenz, der diesmal
noch nebenbei verdeckt bei den anonymen Alkoholikern nach einem Einbrecher
sucht, in einer Gruppensitzung: „Männlicher Alkoholismus ist Pils, Korn,
Weinbrand und weiblicher Prosecco, Eierlikör und Weißwein“.
## Viel Wahres
Albern wirkt das Ganze dennoch nicht, zumeist entwickelt sich die Handlung
dynamisch, den Erzählsträngen mangelt es nicht an Spannung und auch den in
rund einer Stunde pro Folge versammelten Sozialpanoramen liegt – trotz des
übertriebenen Rahmens – viel Wahres zugrunde.
So kann man Latotzkes tiefe Zuneigung zu seinem Wagen mit
„Emscher-Sportfahrwerk“ als wahrhaft beispielhaft inszeniert verbuchen.
Ebenso wie seine Trauer nach dem finalen Schusswechsel um das lieb
gewonnene Gefährt, denn den Calibra treffen zahlreiche Kugeln – „drei davon
tödlich“.
16 Aug 2014
## AUTOREN
Jan Scheper
## TAGS
ARD
Tatort
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Beirut
Schwerpunkt Überwachung
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Mars
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