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# taz.de -- 75 Jahre Orson Welles' „Krieg der Welten“: Miese Marsianer als …
> Vor Halloween 1938 hielten viele eine Marsianer-Attacke für Realität. Ein
> oft adaptierter Geniestreich von Orson Welles – und heute kaum mehr
> möglich.
Bild: So sah Tim Burton in „Mars Attacks“ die Außerirdischen.
BERLIN taz | Es ist eine klassische, sonore Ansagerstimme, die am 30.10.
2010 in Hamburg aus einem „Gute Laune Hits“-Dudelradiosender ertönt, und
Neil Diamond bei „Sweet Caroline“ unterbricht: „Oldie 95 Nachrichten Extr…
Das Max-Planck-Institut für Radioastronomie hat außergewöhnlich heftige
Störungen im Funkverkehr beobachtet. Die Experten bringen dies in
Zusammenhang mit ungewöhnlichen elektromagnetischen Erscheinungen, die
heute Abend auf dem Planeten Gliese 581 G beobachtet wurden.“
Etwas später brennt der Hamburger Reiherstieghafen, der Grund dafür ist
laut Vor-Ort-Reporter der Aufschlag eines glänzenden Ufos, aus dem kurz
darauf quadratische Außerirdische kraxeln und auf alles schießen, was nicht
bei Drei auf dem Portalkran ist.
Sogar der Reporter wird Opfer des Alien-Angriffs, und stirbt „live on air“.
„Gliese 581 G Attacks“ in Hamburg. Beziehungsweise: Mit einer deutschen
Adaption von Orson Welles’ Hörspiel „War of the Worlds“, für die der Ol…
95-Moderator Ingo Lorenz und sein Kollege eine New York Radio
Award-Nominierung einstrichen, ehrten die Hamburger ihr legendäres Vorbild,
das heute vor 75 Jahren im landesweiten US-Sendernetz CBS lief.
Man könnte zwar eigentlich davon ausgehen, dass inzwischen jeder auf der
mit Rundfunk vollgestopften Welt schon mal irgendetwas von Welles’
bahnbrechender H. G. Wells-Adaption und ihren Folgen gehört hat – von den
hysterischen HörerInnen, die bereits während der Erstausstrahlung im Sender
bei ihren lokalen Polizeidienststellen und Zeitungsredaktionen anriefen, um
sich zu vergewissern, ob die Marsianer wirklich gekommen seien, und wie man
sie bekämpft.
Von dem 1.000-Seelen-Kaff in Washington, das berühmt wurde, weil dort genau
dann, als die Marsianer im Hörspiel die Stadt einnehmen, die lokale
Stromversorgung zusammenbrach, und der Massenpanik, die über die
Nachrichtenagenturen rasch in den Rest des Landes gekabelt wurde. Und
natürlich von den allein 12.500 Zeitungsartikeln, die in den Wochen nach
der Sendung über das Phänomen verfasst wurden.
## Panikmache mit vorgelesenen O-Tönen
Außerdem, wenn Außerirdische angreifen würden, würde das vermutlich noch in
ein paar weiteren Medien thematisiert. Insofern wundern die Reaktionen in
Hamburg schon ein wenig: Auch im Jahr 2010 riefen bestürzte HörerInnen im
Sender an, die den Nachrichten und den Panikszenen Glauben schenkten,
obwohl diese – nicht nur wegen allzu deutlich vorgelesener O-Töne –
eindeutig als geschauspielert erkennbar waren. Menschen, die keinen
Internetzugang hatten, deren Fernseher kaputt war, und deren
Frequenz-Suchknopf an der mahagonifarbenen Philips „Philetta“ wegen
unzureichender Poti-Reinigung festsaß.
Damals, als Welles’ Hörspiel am Halloween-Vorabend in den USA ausgestrahlt
wurde, lagen die Dinge anders: Die starke und berechtigte Angst vor einem
Weltkrieg inklusive Invasion beherrschte die Stimmung, denn in Deutschland
brüllte ein schnauzbärtiger Mann seine AnhängerInnen in Kampflaune.
Ein Biograph Welles’ schreibt von der Thematisierung des „Münchener
Abkommens“ auch in den amerikanischen Medien – man beobachtete besorgt die
bei einer Zusammenkunft zwischen den Regierungschefs Großbritanniens,
Frankreichs, Italiens und des Deutschen Reichs in der Nacht zum 30.
September 1938 getroffene Übereinkunft, die die „Sudetenkrise“ entspannen
sollte – und die Forderungen der Tschechoslowakei dabei komplett
ignorierte. Im März 1939 besetzte die Wehrmacht die so genannte
„Rest-Tschechei“, ein paar Monate später fiel Hitler in Polen ein und
startete den Zweiten Weltkrieg. Dagegen waren miesgelaunte Marsianer fast
noch das kleinere Übel.
## Feuer oder Strickzeug
Zudem gab es in den USA zwar bereits seit Juli 1928 das sogenannte
„mechanische Fernsehen“ – von einem Versuchssender aus gesendete
Fernsehbilder mit 15 Bildern pro Sekunde, die mithilfe einer
„Nipkow-Lochscheibe“ empfangen wurden. Allerdings standen die
Empfangsgeräte nur vereinzelt in ausgesuchten Städten. Es war also der
Radioapparat, der Unterhaltung und Information lieferte, die Familie
schaute abends nicht in die Röhre, sondern gemeinsam versonnen ins Feuer
oder auf das Strickzeug, wie Grandma Walton in der TV-Serie „Die Waltons“.
Der 23-jährige Welles, der 1938 am Anfang seines mit „Citizen Kane“, der
„Lady from Shanghai“ und Kafkas „Prozess“ wachsenden Erfolgs stand, set…
diesen Umstand beherzt ein: Dass die beliebteste Radioshow jener Zeit
eigentlich das Comedy-Format „The Chase and Sanborn Hour“ von
Konkurrenzsender NBC war und alle zehn bis 15 Minuten von Werbung
zerstückelt wurde, wusste er genau.
Welles baute darum den Hinweis auf die Fiktivität von „The war of the
worlds“ nur ganz am Anfang und in der 45. Minute ein, und ließ die erste
Meldung mit dem Bericht über einen Niedergang eines mysteriösen,
zylindrischen Meteoriten in New Jersey nach 12 Minuten das Programm
unterbrechen. So erwischte er viele HörerInnen, die in der Werbepause bei
NBC am Knopf drehten, bei CBS landeten, und nichts von der wahren Natur der
angeblichen Ufo-Nachricht ahnen konnten.
## Science-Fiction-Boom im Kalten Krieg
Böse Fremde, die dem Land Übles wollen: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren
vor allem die 50er Jahre eine Hochzeit für Geschichten von invadierenden
Supermächten, der Science-Fiction-Boom dieser Zeit fällt nicht ohne Grund
mit dem Kalten Krieg zusammen, bei dem man ebenfalls die Übernahme durch
böse Fremde fürchtete. In dem Kinderfilm „Explorers“ von 1985, der
gemeinsam mit „E.T.“ auch im Mainstream von einem Umdenken zeugte, bringt
es eine grün-schleimige Außerirdische, die drei kleine Jungen zu sich ins
Raumschiff bittet, auf den Punkt: „Wir haben uns nicht eher getraut,
Kontakt aufzunehmen, weil bei Euch die Außerirdischen immer böse sind und
umgebracht werden“, erklärt sie und zeigt den erstaunten Kindern
abgefangene Filmbilder aus „Der Tag an dem die Erde stillstand“.
Um positive Hippie-Außerirdische hatten sich bis dato nur TV-Serien wie
„Star Trek“ bemüht, die sie dafür sogar auf der Brücke einsetzten. Heute
lässt die oft Pate stehende Computerspieldramaturgie zwar längst wieder
Wahnsinnskämpfe zwischen fiesen Aliens und den Menschen zu, aber parallel
sind an der Kinokasse sanfte blauhäutige Naturfreaks vom Planeten Pandora
erfolgreich, die den Menschen beibringen, dass man Bäume umarmen muss.
Ein Hoax wie bei Orson Welles, denkt man trotz der eingangs erwähnten
verwirrten Hamburger, könnte heute garantiert nicht mehr passieren.
Zumindest würde viel früher gezweifelt werden. Und ein Coup wie er vor vier
Jahren dem Filmemacher Jan-Hendrik Stahlberg als Promo für seinen Film
„Short cut to Hollywood“ gelang, als er deutsche Redaktionen mit
Falschmeldungen über ein Attentat in Kalifornien foppte, wird nicht mehr so
lange für bare Münze genommen, wie beispielsweise der 1970 von Tom Toelle
inszenierte Fernsehfilm „Das Millionenspiel“.
## Jagd endet fast tödlich
Bei dessen Erstausstrahlung riefen Menschen die ARD an, um bei der
angeblichen und fast tödlich endenden Jagd auf einen Kandidaten
mitzumachen, der sich bereit erklärt hatte, sieben Tage vor laufenden
Kameras auf der Flucht zu sein, um einen Preis von einer Millionen D-Mark
zu ergattern. Der Film war formal wie eine Live-Dokumentation der
Ereignisse samt Schaltungen ins Studio (mit Moderator Dieter Thomas Heck)
inszeniert, und einige ZuschauerInnen fanden den Preis so attraktiv, dass
sie sich bei der fiktiven Telefonnummer sogar selbst als Kandidaten
bewarben.
Mediencoups werden heute, parallel zur Bitrate, schneller und häufiger
lanciert: Heute ist eine Idee in dem Augenblick in den digitalen
Netzwerken, in dem man sie hat – die langwierige Ausstrahlungsplanung fällt
weg.
Denn auch wenn sich kaum noch jemand vor dem Fernseher (und erst recht
nicht vor dem Radio) trifft, um im Lagerfeuermodus Informationen oder
Unterhaltung kollektiv zu erleben, sind die Shitstorms und YouTube-Hits
eigentlich nichts anderes, als die Massenpanik nach der Attacke der
Marsianer: Genauso wenig auf Fakten gebaut, genauso stark mit
(rationalen/irrationalen) Ängsten und Befindlichkeiten der RezipientInnen
spielend. Und genauso tief in dem menschlichen Bedürfnis verankert, sich
einfach irgendetwas erzählen zu lassen, damit es nicht so schrecklich
langweilig ist.
30 Oct 2013
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
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Verschwörungsmythen und Corona
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