Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kinderklassiker neu interpretiert: Suppenkasper und die Außerirdis…
> Der "Struwwelpeter" gilt mehr als Folterwerkzeug denn als
> Kinderliteratur. Nun interpretieren Neuausgaben Klassiker wie den
> Fingerabzwicker und Alte Testament neu.
Bild: Er ist so, weil wir so sind...oder so. Fils und Ataks Struwwelpeter.
## Die Bibel - Das Alte Testament
Zwei Nackte blicken dem Betrachter skeptisch vom Buchdeckel entgegen: Adam
und Eva. Kein Zweifel, diese Bibelausgabe will keine überzeugten
Kirchgänger zum Kauf verführen, sondern die, die biblische Inhalte eher als
abendländisches Kulturgut denn als Heilige Schrift ansehen. Als ein "Stück
Literatur" präsentiert deshalb der Tulipan Verlag das Alte Testament der
Bibel (das Neue Testament ist fürs Frühjahr 2010 geplant).
In gehobener Ausstattung mit Fadenheftung, Goldprägung und 32 ganzseitigen
Illustrationen von Klaus Ensikat legt damit der kleine Berliner
Kinderbuch-Verlag sein erstes Hausbuch für Kinder und Erwachsene vor. Im
Unterschied zu den sonst üblichen Bibel-Nacherzählungen für Kinder hat hier
Sybil Gräfin Schönfeldt nicht nur die für unsere Kultur zentralen
Bibelgeschichten in eine geschmeidige Erzählsprache übertragen, sondern
auch erklärt.
Jeder Geschichte stellt sie einen Kommentar voran, der nicht religiös
deutet, sondern das Umfeld ihrer Entstehung vergegenwärtigt. So werden
Grausamkeiten und fremdartige Konflikte als Ausdruck einer Zeit erkennbar,
in der "die Zehn Gebote noch kein Gewissen geweckt hatten".
Auch Ensikats kolorierte Federzeichnungen entfernen sich weit von den im
religiösen Kinderbuchbereich üblichen süßlich naiven Illustrationen. Auf
den ersten Blick schlägt er zwar einen historisierenden Grundton an - die
meisten Figuren tragen weite Leinengewänder und sandalenartige Latschen -,
aber bei genauerem Hinsehen stellt sich Irritation ein: Adam ist
steinzeitlich in Fell gehüllt, hält aber einen neuzeitlichen Spaten in der
Hand. Die von Moses vor dem brennenden Dornenbusch abgelegten Schuhe
erinnern stark an Adidas-Sneakers.
Trotzdem zerfallen Ensikats Bilder nicht in zwanghaft modernisierte
Patchwork-Illustrationen. Eher rücken die modernen Accessoires auf
augenzwinkernde Weise die biblischen Zeiten näher an die unsere. Wenn Eva
zudem, soeben von Gott aus dem Paradies verstoßen, in rotem Kleid mit
blauem Kopftuch neben Adam kauert, das Kind an der Brust, verweist Ensikat
auf Maria, die eines Tages Evas Schuld aufheben wird - und erweitert die
Tulipan-Bibel somit doch noch um eine theologische Dimension.
Die Bibel. Das Alte Testament. Neu erzählt von Sybil Gräfin Schönfeldt.
Bilder: Klaus Ensikat. Tulipan 2009. 312 S. 39,95 € // Als Hörbuch: Die
Bibel. Das Alte Testament. Neu erzählt von Sybil Gräfin Schönfeldt, gelesen
von Stefan Kurt und der Autorin. 6 CDs. Laufzeit 7 Stunden. 24,95 €. Ab 7
## König Artus
König Artus kennt fast jedes Kind, in rund 30 Büchern Kinder- und
Jugendliteratur steht er im Mittelpunkt, die Computerspiel-, Film- und
TV-Adaptionen dürften unzählbar sein. Den Artusritter Iwein aber, der
schnell Ruhm und Herzensdame erstritt, dann alles verpatzte und darüber
seinen Verstand verlor, kennen nur wenige. Dabei war seine Geschichte, vor
800 Jahren von Hartmann von Aue in mittelhochdeutsche Verse gebannt, bis in
die frühe Neuzeit hinein einer der beliebtesten Romane.
Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe hat den mittelalterlichen Klassiker
für unsere Zeit neu entdeckt. "Als die Anfrage an mich erging, einen
Artusroman für Kinder zu schreiben, musste ich nicht lange überlegen, denn
eines meiner Lieblingsbücher ist der Iwein des Hartmann von Aue", erklärt
die in Berlin lebende Autorin.
Felicitas Hoppe, bekannt für anspruchsvolle Romane wie etwa "Paradiese.
Übersee" und "Pigafetta", hat Hartmanns Versepos für Kinder neu erzählt.
Nicht um mittelalterlichen Stoff in bildungsbürgerliche Kinderstuben zu
tragen, sondern aus Lust an der mittelalterlichen Art des
Geschichtenerzählens.
Dabei ist Hoppes Löwenritterroman weder Nacherzählung noch Aktualisierung à
la "Iwein in der Disco", sondern eine "poetische Übersetzung". Hoppe
siedelt ihren Roman im literarischen Mittelalter an und lässt Iweins
Abenteuer von einem Icherzähler vortragen, dessen Identität sich erst am
Schluss lüftet. Dieser Erzähler ist zugleich Zeuge und Außenstehender der
ritterlichen Welt. Sein Befremden über das, was die Ritter antreibt,
Abenteuer, Liebe und Ehre, schafft eine Nähe zum Leser, der sich umso
bereitwilliger durch die mitunter sonderbare Geschichte führen lässt.
Das Beeindruckende dabei: Hoppe entwickelt den alten Stoff künstlerisch
weiter. Die Figur der Lunete, bei Hartmann eine listenreiche Dienerin,
gestaltet sie zur verkannten Hochbegabten, der es bei aller gebotenen
Höflichkeit nicht gelingen mag, die Ritter beim Schachspielen gewinnen zu
lassen. Der bei Hartmann als Gegenpol zur Liebesbeziehung gestalteten
Männerfreundschaft zwischen Iwein und Gawein verleiht sie ein sprechendes
Bild: Beide erscheinen als "die blauen Zwillinge," die sich nicht nur im
Kampf ebenbürtig sind.
In dieser Spannung zwischen mittelalterlicher Vorgabe und einer für Kinder
spannend inszenierten Ritterwelt ist Hoppe sowohl ein märchenhafter
Abenteuerroman als auch eine künstlerische Auseinandersetzung mit der
Fremdartigkeit mittelalterlicher Dichtung gelungen.
Felicias Hoppe: Iwein Löwenritter. Frankfurt/M. 2008 // Hörbuch: Gelesen
von Stefan Kaminski. 4 CDs, 275 Min. Ab 9
## Der Struwwelpeter
Während die einen Weltliteratur für Kinder und Jugendliche aufbereiten,
haben der Künstler Atak und der Comiczeichner und Komiker Fil einen
Kinderklassiker für die Erwachsenenwelt erschlossen: den Struwwelpeter.
Das Bilderbuch des Frankfurter Arztes und Jugendpsychiaters Heinrich
Hoffmann, der vor genau 200 Jahren geboren wurde, ist bis heute ebenso
umstritten wie beliebt. Die einen sehen in ihm das Dokument repressiver
Pädagogik, die anderen halten dagegen, dass hier das erste Mal freche
Kinder abgebildet wurden, fortschrittlich für das 19. Jahrhundert und heute
ein Maßstab für die Fortschrittlichkeit von Kinderbuch-Verlagen.
Als "Cover-Version" bereiten Fil und Atak die Geschichten von Paulinchen,
Hans Guck-in-die-Luft und dem fliegenden Robert mit einem an Trash-Kultur,
Comic und Gesellschaftssatire geschärften Blick auf. Die kleinen
Zeichnungen, die Hoffmann unter- oder nebeneinander als Bildergeschichte
arrangierte und oft mit floralen Elementen verband, zerlegt Atak in
Einzelbilder und übersetzt diese in seitengroße Malerei. Dabei paaren sich
Hoch- mit Popkultur - stilistisch wie in allerlei Zitaten und Verweisen.
Wo der Bilderbuchklassiker schwieg, spinnen die Berliner Künstler Hoffmanns
Geschichten weiter: So verweigert Kasper die Suppe, weil er in ihr eine
außerirdische Wesenheit sieht, die Besitz von ihm ergreifen will. Das mag
Verfolgungswahn sein, aber warum steht am Ende diese feiste Suppenterrine
auf Kaspers Grab? Ein Ufo?
Die Schulmappe, die Hans Guck-in-die-Luft beim unfreiwilligen Bad verliert,
treibt an die Gestade einer von Wilden bewohnten Insel - mit Folgen. "Durch
all die Bildung sind sie nun/ gefährlicher als ein Taifun!/ Aus Chemie
bauen sie Waffen,/ züchten Bio-Killeraffen,/ rechnen mathematisch aus,/ wo
die Deutschen sind zuhaus", dichtet Fil den hinkenden Reimen des Originals
hinterher.
Im Stil an die DDR-Comicserie Digedags erinnernd, malt Atak mit kühnem
Pinselstrich eine nationale Schreckensvision: Ein blond bezopftes Mädel im
Dirndlkleid tanzt für die Wilden auf dem Tisch, derweil weitere
unterdrückte Deutsche den Indianern das Bier reichen.
Atak bildet alle Figuren in den von Hoffmann gezeigten Posen ab, ihre
Präsenz im Einzelbild verstärkt ihre Absurdität. Die Mutter des Bösewichts
Friederich, das Taschentuch zum Gesicht geführt, erträgt gebeugt, dass ihr
Sohn sie mit der Peitsche schlägt. "Er peitscht sie - sie kommt zu dem
Schluss: ,Fritze ist halt kein Ödipus.' "
"Heute", so Atak, "würde kein Kinderbuchverlag mehr den Struwwelpeter
verlegen. Viel zu krass." Was geschieht, wenn alles Böse und Bedrohliche
aus einer Geschichte verschwindet, demonstriert die letzte, dazuerfundene
Geschichte. Im distanziert-glatten Stil des amerikanischen Comic-Künstlers
Chris Ware zeichnet Atak die Geschichte eines Jungen von heute. Justin
sieht ein bisschen fern, spielt ein bisschen Games und wünscht sich zu
Weihnachten eine Xbox. Dann ist Weihnachten, und er packt die Geschenke
aus: "Mit heißen Fingern voll Begier/ packt er es aus/ und siehe hier:/ Es
ist eine Xbox - geil!" Eine kindgerechte, realistische Geschichte für
Kinder von heute also. Krass, oder!?
Fil & Atak: Der Struwwelpeter oder lustige Geschichten und drollige Bilder
nach Dr. H. Hoffmann. Kein & Aber 2009, 96 S., 29,90 €
22 Dec 2009
## AUTOREN
Sarah Wildeisen
## TAGS
Oper
Mars
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kinderoper „Iwein Löwenritter“ in Bonn: Mittelalter-Action im Zoo
Bei der Kinderoper „Iwein Löwenritter“ von Moritz Eggert und Andrea Heuser
stimmt fast alles. Die Premiere an der Oper Bonn gerät bildgewaltig.
75 Jahre Orson Welles' „Krieg der Welten“: Miese Marsianer als kleineres Ü…
Vor Halloween 1938 hielten viele eine Marsianer-Attacke für Realität. Ein
oft adaptierter Geniestreich von Orson Welles – und heute kaum mehr
möglich.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.