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# taz.de -- Kriminalhörspiel im SWR: Wenn Lebensmodelle kollidieren
> Trotz Goethe und Mozart: Das Kriminalhörspiel „Rabenkinder“ ist eine
> leise, aber konsequent scharfe Kakofonie verbaler Gewalt.
Bild: Auch so kann man mit Autoritäten verfahren: Lauter schreien und auf den …
Die Familie ist die natürliche Grundeinheit des Staates. So steht es in der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Was nicht unbedingt heißen muss,
dass innerhalb der Familie die Menschenrechte auch gelten. Wie aus
häuslichem Frieden offene Feindschaft werden kann, erzählt das
Kriminalhörspiel „Rabenkinder“.
Die Geschwister Robert und Ulrike Raab sind Anfang vierzig und schieben
Frust. Er (Thomas Eisen) wäre gern Opernsänger geworden, fährt aber Taxi.
Sie (Elisabeth Findeis) ist promovierte Architektin, muss sich aber von Job
zu Job hangeln.
Schuld ist – so der gemeinsame Tenor – Patriarch Papa (Wolfram Berger), ein
wohlhabender Wiener Juwelier, der nur brüllend gefordert und nicht
liebevoll gefördert hat: „Er hat uns immer nur unser Scheitern und nie
unser Glück prophezeit.“
Weil auch in Zukunft keine Subventionen zu erwarten sind, wird der Vater
ausgeraubt. Doch dem Sohn, der sein Gesicht hinter einer Obama-Maske
versteckt, geht die Luft aus. Er reißt sich atemlos die Plastikhaube vom
Kopf. Also wird Überfall zur Entführung umfunktioniert. Die Beute und der
geknebelte Papa werden im Keller eines leerstehenden Spielzeuggeschäfts
geparkt.
## In den Keller
Bis dahin könnte das Hörstück als etwas ungelenke Komödie durchgehen. Dann
aber schickt Autor Johannes Gelich, seine Figuren nicht nur räumlich,
sondern auch gedanklich zurück ins Souterrain einer freudlosen Kindheit.
Das Hörspiel springt nun zwischen dem gemeinsamen Kelleraufenthalt und
späteren polizeilichen Vernehmungsszenen hin und her. Aus einzelnen
Gesprächsfetzen und Monologen wird ein atmosphärisch dichtes akustisches
Tribunal montiert, dessen Dynamik die Opfer-Täter-Grenzen verschwimmen
lässt.
„Aus den eigenen Kindern sind diese Hyänen geworden, die dich zerfleischen
wollen“, resümiert der Vater, der sich nach dem Krieg alles selbst
erarbeitet hat. Sein zurückhaltender, musisch begabter Sohn ist für ihn
„ein übergeistiges Schulmädchen“ geblieben. Hoffnungen hat er nur in seine
selbstbewusste „männliche Tochter“ gesetzt. Als diese allerdings statt Jura
Architektur studierte, war auch damit Schluss. Überhaupt hält er nicht viel
von Frauen und ihrem „hinterlistigen Hausverstand“. Die Mutter ist in
seinem Kopf nur als Scheidungsnotiz vermerkt.
Der Sohn wiederum hat seinen Vater stets als sprachlichen Militaristen
erlebt: „Die Hälfte der Sätze waren Befehlssätze.“ Er ist seinen
traumatischen Kindheitserfahrungen verhaftet geblieben, hat nur „Angst“ und
artikuliert seine Furcht, indem er Goethe oder Mozart herbeizitiert. Seine
auf Widerstand gepolte Schwester lastet ihrem alten Herrn offensiv
zeitlebens mangelnde Unterstützung an. Sie fühlt sich „abgespeist“ wie die
Lehrlinge im Schmuckgeschäft und gibt bis zum Schluss die direkte
Anklägerin.
## Ein Pistolenschuss
„Rabenkinder“ gerinnt über knapp 55 Minuten zu einer leisen, aber
konsequent scharfen Kakofonie verbaler Gewalt, die erst am Ende mit Hilfe
eines platzierten Pistolenschusses verstummt. Aus der natürlichen
Grundeinheit des Staates wird im Keller des Spielzeuggeschäfts eine
Terrorzelle. Hinter der selbstzerstörerischen Familiengeschichte verbirgt
sich ein Konflikt in der konträre Lebensmodelle verwandter Generationen –
zwischen „Tradition“ und „Selbstverwirklichung“ – unversöhnlich
aufeinanderprallen.
Auch wenn Johannes Gelich seine Charaktere bewusst mit Stereotypen füttert,
sie ins Extreme dehnt, zeigt er doch ein gesellschaftliches
Versorgungsproblem auf, das immer größer werden wird. Die Frage wer für wen
verantwortlich ist, gebiert Erbkrieger, denn „die Alten können nicht
gekündigt werden, und die Jungen dürfen nur befristet arbeiten“.
22 Nov 2013
## AUTOREN
Jan Scheper
## TAGS
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