# taz.de -- Songsammlung der Tapeszene: Vati, es brennt | |
> Der Hamburger Künstler Felix Kubin hat die bizarrsten Songs aus dem | |
> westdeutschen Kassetten-Underground der frühen Achtziger auf einem Album | |
> kompiliert. | |
Bild: Früher Kassettentäter: Holger Hiller, später auch Palais Schaumburg. | |
Was hat es mit kryptischen Projektnamen wie „Neros Tanzende Elektropäpste“, | |
„Wat? Sanitär!“ oder „Lustige Mutanten“ auf sich? Sie stehen für Musik | |
sogenannter Kassettentäter, den singenden, Musik- und Geräusche machenden | |
westdeutschen Medienaktivisten der späten siebziger und frühen achtziger | |
Jahre. | |
Die Kassettenszene hatte sich „unter dem Eindruck von Punk und New Wave | |
formiert“ und war „so etwas wie das hyperaktive Kind der NDW-Zeit“, | |
schreibt Frank APunkt Schneider, in dem Buch „Als die Welt noch unterging. | |
Von Punk zu NDW“, erschienen im Ventil Verlag. | |
Nun ist der definitive Sampler zur Musik von damals erschienen: „Science | |
Fiction Park Bundesrepublik – German Home Recording Tape Music of the early | |
80s“. Kompiliert hat ihn der Hamburger Musiker und Hörspielregisseur Felix | |
Kubin, einst selbst ein Kassettentäter. Als Teenager war Kubin Teil der | |
„Kinderbandszene“, im Hamburger Vorort Bergedorf. Etwa als Mitglied von | |
„Die egozentrischen 2“ veröffentlichte Kubin experimentelle Musik auf | |
Tapes. | |
## Neuestes Deutschland | |
Für „Science Fiction Park Bundesrepublik“ hat Kubin 25 Tracks von | |
verschiedenen Kassetten des damaligen energiegeladenen | |
(Post-)Punk-Untergrunds ausgegraben. Interessant: Das Album erscheint bei | |
einem Sublabel der britischen Firma Finders Keepers, für Deutschland hat es | |
Alfred Hilsberg lizensiert. Hilsberg betreibt seit 1979 sein Label | |
ZickZack, seinerzeit erschienen dort auch einschlägige Tapes. Als Autor des | |
Musikmagazins Sounds, für das er unter anderem Anfang die Kolumne „Neuestes | |
Deutschland“ schrieb, stand Hilsberg mit der lose vernetzten, dezentralen | |
und oft isoliert voneinander agierenden Kassettenszene in Kontakt. | |
Erschwingliche tragbare Kassettenrekorder und Vierspurgeräte waren ab Mitte | |
der siebziger Jahre in Westdeutschland überall erhältlich. Die | |
Kassettenkünstler nutzten dies als Möglichkeit, Musik unabhängig zu | |
produzieren. Mit der simplen Aufnahmetechnik konnte man Musik und | |
Klangexperimente dokumentieren. | |
## Kartons und Türklingeln | |
Als Geräuschquellen und Instrumente wurden oft Alltagsobjekte wie | |
Waschpulverkartons oder Türklingeln zweckentfremdet. Hinzu kam der | |
Preisverfall bei Synthesizern, dem bevorzugten Musikinstrument der | |
Kassettentäter. Unabhängige Tapelabels gab es auch, Pissende Kuh Kassetten | |
aus Varel etwa ist auf „Science Fiction Park“ gleich mit mehreren Tracks | |
vertreten. Betrieben wurde PKK von Iko Schütte, und hinter vielen | |
Künstlernamen steckten er und sein Bruder Diet Schütte. Einen Track von Iko | |
unter dem Namen Eisenhauer lässt Kubin mit dem kalt flirrenden „Insekten“ | |
gleich zum Auftakt erklingen. | |
Das titelgebende Stück „Science Fiction Park BRD“ von Dit + Uta klingt nach | |
Kalter-Krieg-Paranoia in skurril bedrückender Metaphorik. Operationsbasen | |
der Kassettenproduzenten waren fast ausschließlich kleinere und mittelgroße | |
Städte, in denen man sich sein subkulturelles Angebot mit der | |
Do-it-yourself-Hausmusik selbst erschaffen musste. Im Schwarzwald etwa | |
wurde „La Sureté Nr 3“ von Z.S.K.A. alias Andy Hofmann aufgenommen: „Har… | |
Elektrobeat, dessen markanter Rhythmus unverkennbar aus den Schaltkreisen | |
des kleinsten Drumcomputers der Welt stammt: dem ’Dr. Rhythm‘“. | |
Veröffentlicht wurde der Track zuerst 1983 auf „La Sureté“ bei ExtremMist, | |
dem Tapelabel von Armin Hofmann. | |
## Dramatische Klänge | |
Ein Hotspot bildete sich auch im hessischen Limburg um den Musiker (und | |
Bruder des Malers Georg Jiri Dokoupil) Tom Dokoupil. Dieser war an | |
prägenden NDW-Bands wie The Wirtschaftswunder beteiligt; der trippige | |
Beatles-Cover-Track „Except Me And My Monkey“ ist eine frühe | |
Magnetbandarbeit Dokoupils und erschien 1981 auf dem Tape „Wat? Sanitär!“ | |
bei Zick Zack. | |
Von den Künstlern, die Felix Kubin versammelt hat, sind auch einige in | |
anderen Zusammenhängen bekannt: Beate Bartel und Chrislo Haas zum Beispiel. | |
Bevor sie sich als Liaisons Dangereuses formierten, brachten sie unter dem | |
Namen chbb vier Tapes beim Düsseldorfer Label „Klar! 80“ heraus. Mit einer | |
neuen Version seines Hits „Vati, es brennt“ für den Tapesampler „Klar und | |
wahr“ ist Pyrolator alias Kurt Dahlke auf „Science Fiction Park“ vertrete… | |
Es gibt auch ein unveröffentlichtes surrealistisches Stück von | |
Sampling-Pionier Holger Hiller (Palais Schaumburg). Selbst der amtierende | |
Berliner Kultursenator Tim Renner tritt in Erscheinung. Zu dramatischen | |
Klängen von Casio-Synthesizer und Gitarre entwirft er mit Jan Winkelmann | |
unter dem Projektnamen Das Glück im Track „Die Bombe“ ein knappes | |
postnukleares Kriegsszenario aus der Perspektive der letzten Überlebenden. | |
Felix Kubin, der auch mit eigener Musik auf dieser Kompilation vertreten | |
ist, beschäftigt sich seit Längerem mit dem Medium Kassette. Für den | |
On-Demand-Sender Radio Web Macba gestaltete er 2011 zwei Sendungen mit dem | |
Titel „Kassettentäter“, für die er Interviews mit Frank Apunkt Schneider | |
und Alfred Hilsberg führte. | |
Beide betonen die Energie und Wut, die sich in der Musik artikulierte. Das | |
unakademische Aufgreifen von Ansätzen aus Free Jazz und Musique concrète | |
manifestierte sich im Nichtbeherrschen von Instrumenten und im Einsatz von | |
Geräuschquellen. Trotz der anti-klangästhetischen Haltung in der | |
Kassettenszene entstand dabei tolle Musik. Das zu zeigen, beschreibt Kubin | |
als sein eigentliches Anliegen. Die Zeitreise lohnt sich. | |
23 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Rafik Will | |
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