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# taz.de -- Gitarrist Caspar Brötzmann: In Lautstärke baden
> Die Alben des legendären Caspar Brötzmann Massakers werden derzeit wieder
> veröffentlicht. Ein Treffen mit einem Pionier des Noiserock in
> Deutschland.
Bild: Caspar Brötzmann Massaker, Berlin, Loft, 1992
Wenn Caspar Brötzmann darüber nachdenkt, wie das damals eigentlich war mit
ihm und mit seiner Band, dann spricht er die meiste Zeit über abwägend,
überlegt, reflektiert. Einmal aber platzt eine Antwort direkt aus ihm
heraus: als er gefragt wird, ob er es vermisst habe, auf der Bühne zu
stehen.
„Ja“, sagt er, kurze Pause, „und nicht nur das Bühnengefühl hat gefehlt.
Dort zu stehen und in der Lautstärke zu baden, das ist unschlagbar. Dann
weißt du, dass du am richtigen Ort bist. Es gibt kaum etwas anderes, das so
eine Wirkung hat.“
In Sound baden. Sich vor die Verstärkerwände stellen und mit der Gitarre
den Klang lenken. Feedbacks und Sirenen aufjaulen lassen. Für all das steht
Caspar Brötzmann mit seiner Band, die den programmatischen Namen Caspar
Brötzmann Massaker trägt (er nennt sie kurz [1][„Massaker“]). Eigentlich
spricht man längst in Vergangenheitsform von dem Berliner Trio, denn die
letzte produktive Phase liegt lange zurück.
Zwischen der Gründung im Jahr 1986 und 1995 haben sie fünf Alben
veröffentlicht und damit den düsteren Noiserock und die Experimentalmusik
in Deutschland auf ein höheres Level gehoben – ohne dass es hierzulande
groß jemand bemerkt hätte. Der internationale Underground von Sonic Youth
bis Helmet aber kannte den Namen Caspar Brötzmann sehr gut.
## Bilder in den Proberaum stellen
Nun sind zum einen genau diese Alben neu aufgelegt worden (außer eins, das
steht noch aus). Sie sind bei dem von Stephen O’Malley und Greg Anderson –
beide von der Band [2][Sunn o))) –] betriebenen US-Label Southern Lord
erschienen. Zum anderen wird Caspar Brötzmann Massaker auch wieder
auftreten. Von der Stammbesetzung ist dann neben dem Namensgeber auch
Bassist Eduardo Delgado-Lopez dabei. Der damalige Drummer Danny Arnold
Lommen spielt nicht mehr. Wer seinen Part übernimmt, ist noch nicht klar.
Das Besondere bei Caspar Brötzmann Massaker war, dass die verstärkte
Gitarre als ein in alle möglichen und unmöglichen Richtungen strebender
Klangkörper eingesetzt wurde. Als Instrument, das wummern, wabern und
brummen kann, das zerschreddern, das dazwischengrätschen, das davondriften
kann.
„Die Beschäftigung mit dem Instrument hat mir alles bedeutet“, sagt
Brötzmann. Er habe zu seinem Sound gefunden, indem er stundenlang allein
geprobt habe. „Bei anderen habe ich damals gar nicht so viel nach
Inspiration gesucht. Ich war im Proberaum und habe für mich selber gesucht.
Und die Sachen, die mir gefallen haben – ich hab das immer gern Bilder
genannt –, die habe ich dann den anderen gezeigt und in den Raum gestellt.“
So entstand ein radikaler Noise-Ansatz, der sich Zeit nahm: Die Songs
dauerten gerne mal 10 bis 15 Minuten.
Wenn man Alben wie „Der Abend der schwarzen Folklore“ (1992) oder
„Koksofen“ (1993) heute hört, so sticht neben der variablen Gitarre die
Wucht der Songs hervor. Erzeugt wird sie auch durch die Erzählerstimme
Brötzmanns, eine monströs klingende Bauchstimme, gegen die Klaus Kinski wie
ein Schulbub klingt.
Oft knallt einem diese Stimme expressionistische Satzsprengsel hin. Berlin,
soll ich mir die Kante geben / und dich ins Unglück stürzen / mit einem
Herzen voller Falten tragend / das Leben auf der Seele brennt / zwischen
Liebe und Gestank / Ein hölzerner Himmel sein“, lauten die ersten
gesprochenen Verse auf „Koksofen“; und im Titelstück des Albums „Der Abe…
der schwarzen Folklore“ singt Brötzmann im Refrain: „Auf dass es Zeit wird
/ schwarze Wände bauen sich auf“.
## Laube in Bernau
Mehr als 25 Jahre sind vergangen, seit Brötzmann diese Stücke geschrieben
hat. Mittlerweile ist er 56 Jahre alt, er steht mit dem Rennrad und
schnittigem Fahrradhelm auf dem Bahnhofsvorplatz von Bernau, wo wir zum
Interview in einem Café verabredet sind. In dem Ort nahe Berlin haben er
und seine Familie einen Garten mit Häuschen.
Dort verbringen sie oft ihre Wochenenden, sie wohnen in Berlin. Äußerlich
sieht Brötzmann gar nicht so viel anders aus als früher, er hat längeres
dunkelbraunes Haar, zurückgekämmt, Fünftagebart, und er redet leise und
zurückgenommen – so ziemlich das Gegenteil seiner Massaker-Singstimme.
Eigentlich, sagt er, sei er längst mit ganz anderen Sachen beschäftigt
gewesen als mit Massaker. Vier Jahre habe er an einer (noch unvollendeten)
Romantrilogie gearbeitet, kaum Musik gemacht. Aktuell schreibe er nicht
mehr. Aber Musik mache er wieder, unter neuem Namen: Bass Totem. Benannt
nach einem Song seiner alten Band Massaker – und auch nach seinem neuen
„Hauptinstrument“, einem (Sandberg-)Bass.
„Ich spiele aber nicht ganz normal Bass, das ist mir zu langweilig. Der
Bass ist für mich eher wie eine Gitarre mit tiefer tönenden Saiten. Damit
kann ich tolle Sachen machen.“ Er sagt das nicht wie einer, der prahlen
will, eher wie ein Kind, das etwas Neues entdeckt hat und es fasziniert von
allen Seiten betrachtet. Bass Totem sei als Soloprojekt angelegt, aber er
lade immer auch mal wieder Gäste dazu.
## Trötender Vater
Ursprünglich kommt Caspar Brötzmann aus Wuppertal, wo er am 13. Oktober
1962 geboren wird. Sein Vater ist der Saxofonist und Free Jazzer Peter
Brötzmann. Als Kind besucht er gelegentlich Konzerte seines Vaters. „Wir
fuhren zum Beispiel zum Moers Festival oder zur Balver Höhle. Ich kam
meistens mit, wenn die Kinder der anderen Musiker auch dabei waren. Für uns
war das ein Spektakel, wenn die da losgetrötet haben, obwohl wir das
freiwillig wahrscheinlich nie gehört hätten.“
Er selbst spielt zunächst Klavier, ihm imponiert die Musik von Hanns Eisler
und Ernst Busch. Als er 12, 13 ist, entdeckt er zu Hause eine akustische
Gitarre – die mit seinen Eltern befreundete US-Jazzerin Carla Bley hatte
sie bei ihnen liegen gelassen. „Kurze Zeit später kamen Led Zeppelin mit
‚Communication Breakdown‘ in mein Leben, und dann kam die elektrische
Gitarre.“
Bis ins letzte Detail lässt er sich das Instrument vom Musiker und
Instrumentenbauer Hans Reichel erklären. Wäre seine Mutter nicht gewesen,
hätte er es aber wohl bald schon wieder in die Ecke geschmissen. Denn so
gut wie Jimmy Page, Jimi Hendrix und Ritchie Blackmore wird er nicht, denkt
er. „Dann entwickle das doch weiter“, sagt seine Mutter zu ihm.
## Oi!-Punk
Bei dem Weg aus der Perfektionsfalle hilft ihm auch Punk. Anfang der
Achtziger suchen die Oi!-Punks Die Alliierten einen Gitarristen.
„Eigentlich war das eine gute Band“, sagt er – wären da nicht ein paar
fragwürdige, rechtsoffene Texte. Als Brötzmann bei ihnen einsteigt, sorgt
er selbst dafür, dass die Band ihre Lyrics ändert. „Die wollten meinen
Sound und ich dafür linke Texte. Kleine Erpressung am Rande.“ Mit ihm
entsteht der Song [3][„Blinder Hass“], der sich klar gegen Rassismus und
Antisemitismus ausspricht.
Mit Robbie Mahler hat die Band nun auch einen Sänger, der selbst jüdischer
Herkunft ist. Brötzmann entdeckt zu dieser Zeit auch das Solo-Spielen im
Proberaum. „Wenn ich alleine spielte, gab es für mich keine Regeln mehr.
Dann habe ich einfach nur die Lautstärke hochgedreht und gemacht, was ich
wollte. Da waren die Käfige nicht mehr da.“ Nachdem Alliierten-Sänger
Mahler 1982 stirbt, kommt die Band nicht wieder auf die Beine. Brötzmann
geht nach Berlin.
Dort gründet er mit Caspar Brötzmann & The Bonkers eine neue Gruppe. Und
kurz darauf beginnt das Abenteuer Massaker, 1986 nimmt die Band erste Demos
auf, 1987 erscheint das Debütalbum „The Tribe“. Von der ersten Westberliner
Subkultur-Generation jener Epoche – den befreundeten Neubauten, Nick Cave,
den Genialen Dilletanten – setzten sie sich mit ihren
Gitarren-Noise-Eskapaden durch das Rockige, Metallische ab.
Um kommerziellen Erfolg geht es aber auch ihnen nicht. „Es steckte kein
Plan dahinter. Ich könnte auch gar keine Strategie entwickeln, was jetzt
als Nächstes kommt, damit meine Karriere erfolgreicher wird.“ Geld ist mit
dieser Musik kaum zu machen, während der frühen Phase jobbt Brötzmann.
Umzugsunternehmen, Krankentransporte, Schwertransporte.
Die Zeit, in der Massaker wohl die meisten Leute erreichen und auch bis in
den Alternative Rock (damals sagte man das noch so) hineinreichen, sind die
frühen Neunziger. Sie touren in den USA, Belgien, Niederlande und in
Österreich. Es gibt auch einige Nebenprojekte: 1990 nimmt Caspar Brötzmann
gemeinsam mit seinem Vater das Album „Last Home“ auf, es gibt weitere
Kollaborationsalben mit FM Einheit (Einstürzende Neubauten) und [4][Page
Hamilton] (Helmet).
Ende der Neunziger ist mit Massaker vorerst Schluss, nachdem ihre kriselnde
Plattenfirma Rough Trade zweimal verkauft wurde. In den nuller Jahren macht
Brötzmann unter anderem Arbeiten fürs Theater, arbeitet mit Thomas D.
zusammen. Zwischen 2010 und 2012 spielen Massaker noch einmal Konzerte
zusammen, danach ist wieder Funkstille.
Die Wiederveröffentlichung ihres Werks wäre ein allzu guter Anlass, die
Verdienste dieser Band für die Gitarrenmusik stärker zu würdigen. Denn
faszinierend an diesem Sound bleibt bis heute: Es ist Musik, die sich mit
nichts und niemandem gemeinmacht, die kein Identitätsangebot schafft. Die
im Raum steht wie eindrucksvolle „Landschaften“ und „Bilder“, wie Caspar
Brötzmann sagen würde. Verstörende Klangbilder, wie es sie hierzulande in
der Rockmusik zuvor nicht gab.
19 Jul 2019
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=efm2hBcWwdg
[2] /Neues-Album-von-Sunn-o/!5262099/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=_0hZIRUnKVM
[4] https://www.youtube.com/watch?v=vKfHN_XjUR4
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Caspar Brötzmann
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