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# taz.de -- Ausstellung „Real Pop 1960–1985“: Jenseits des Kunstmarkts
> Die Ausstellung „Real Pop 1960–1985“ gibt Anlass, sich darüber Gedanken
> zu machen, wie in der Kunst Status und Bedeutung zugeschrieben werden.
Bild: Bettina von Arnim, „Galaktischer General“, 1970, Öl auf Leinwand
Frankfurt an der Oder taz | Vierzehn unscharfe Schwarz-Weiß-Fotos, schlecht
gedruckt und in einer altmodischen Stoffmappe von der Edition Block
herausgegeben – das ist das Multiple „Höhere Wesen befehlen“ (1968) von
Sigmar Polke. Auf den Bildern sieht man, wie mit verschiedenen Materialien
die Form einer Palme imitiert wird: aus Watte, aus Knöpfen, aus einem
verknoteten Luftballon oder aus einen Zollstock.
Was hätte man als unvoreingenommener Betrachter wohl gedacht, wenn man
diese Arbeit 1968 gesehen hätte? Zum Beispiel beim Rundgang der
Kunstakademie Düsseldorf, an der Polke studiert hat?
Vielleicht: So fängt ein Künstler an, der in naher Zukunft zu den
bedeutendsten Malern Deutschlands gehören wird? Oder: Ein neodadaistischer
Ulk, nicht schlecht, aber auch nicht weltbewegend? Oder einfach: Gar
nichts?
Aus der Rückschau betrachtet [1][nimmt die Arbeit einige wichtige Motive
von Polkes Werk vorweg.] Doch ohne das Wissen über dessen weitere Karriere,
die durch seine künstlerischen Ideen, aber auch durch glückliche Umstände –
etwa die Zusammenarbeit mit dem wichtigen Galeristen René Block – geprägt
wurde, würde man der Mappe möglicherweise wenig Beachtung schenken.
## Weniger Kapitalismus
Die Arbeit ist derzeit in einer Ausstellung im Brandenburgischen
Landesmuseum für moderne Kunst zu sehen. Und die bietet ausgiebigen Anlass,
sich darüber Gedanken zu machen, wie in der Kunst Status und Bedeutung
zugeschrieben werden. Denn einerseits sind in der Rathaushalle von
Frankfurt an der Oder Werke von durchgesetzten Künstlern aus dem
Westdeutschland der 60er und 70er Jahren zu sehen, die heute in Museen auf
der ganzen Welt vertreten sind – außer Polke unter anderem [2][Gerhard
Richter], Thomas Bayerle [3][oder Wolf Vostell.]
Direkt daneben hängen Werke von KünstlerInnen, die in der ehemaligen DDR
mit ganz ähnlichen Themen befasst waren wie ihre westdeutschen Kollegen,
die sich aber nie im gleichen Maß in der internationalen Kunstszene
etablieren konnten. Woran hat das gelegen? Waren sie einfach „schlechter“?
Wurde den Künstlern zum Verhängnis, dass sie aus dem kleineren,
international abgeschotteten und 1989 abgewickelten Teil Deutschlands
stammen? Oder hat es bei ihnen einfach damit zu tun, dass die Arbeit an
populärkultureller Ikonografie im Westen eine ganz andere Relevanz hatte
als im Osten?
Denn die Klammer, die die Werke der Ausstellung zusammenhält, ist die
Pop-Art. Der Ausstellungstitel „Real Pop 1960–1985“ spielt sowohl auf den
Sozialistischen Realismus der DDR-Ölschinken mit glorifizierter
Arbeiterherrlichkeit an wie auch auf den Kapitalistischen Realismus, den
Richter, Polke und Konrad Lueg 1963 in Düsseldorf ausriefen. Die ersten
beiden waren übrigens DDR-Flüchtlinge und hatten darum möglicherweise ein
besonderes Gespür für die Ikonografie der westlichen Konsumgesellschaft,
die sie in ihren Werken thematisierten. Diese Bildwelt stand in der
sozialistischen DDR als visuelle Ressource begreiflicherweise nicht zur
Verfügung.
Gleichzeitig war die junge Kunst der westdeutschen 60er Jahre wesentlich
weniger auf den Kapitalismus und seine Waren konzentriert als die
amerikanische Pop-Art und beschäftigte sich auch nicht so stark mit Pop-
und Subkultur wie die britische Spielart der Pop-Art. Dagegen gibt es bei
den Arbeiten von Klaus Staeck, KP Bremer und Wolf Vostell zwar formale
Gemeinsamkeiten – die Motivwahl aus der Alltagskultur, der Einsatz von
künstlerischen Techniken wie Collage, Siebdruck und Fotografie.
## Traditionelle Gatekeeper
Doch statt einer mehr oder weniger ironischen Feier der Konsumkultur – à la
Warhol, Lichtenstein oder Mel Ramos – gab es in Deutschland bei Vostell,
Bremer oder Staeck auch Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen. Da
müsste doch auch eine Pop-Art ganz ohne Kapitalismus möglich sein?
Die in ihre Bestandteile zerlegte „Schlagersängerin“ von Hans Ticha oder
das aufgeblasene, rosa „Plastikherz“ von Christa Dichgans sind auf jeden
Fall vom selben Geist geprägt wie einschlägige Werke von westeuropäischen
Pop-Künstlern wie Eduardo Paolozzi oder Peter Blake. So banal die Motive
auch sein mögen, so deutlich macht ihre Darstellung auch die tiefen
Sehnsüchte und Wünsche, die im Kitsch eingeschlossen sind wie das Fossil im
Bernstein.
Doch im Gegensatz zu ihren westlichen Kollegen gingen die DDR-Künstler mit
ihrer Arbeit ein Risiko ein. Dass die „Dressurmaschine“ von Bettina von
Arnim oder die pinke „reizende Mauer“ samt angelehnter Leiter von Wasja
Götze in der DDR für Ärger sorgen sollten, kann man sich vorstellen.
Manchmal ist man sich aber auch nicht sicher, ob Werke wie die Reihen von
Lenin-Konterfeis von Willy Wolff unter dem Titel „Zum 100. Geburtstag“ nun
kritisch oder affirmativ oder sowohl als auch gemeint waren. Auf
offiziellen Ausstellungen wurden sie jedenfalls nicht gezeigt. Die
Kunstsammlungen von eher randständigen DDR-Bezirken wie Cottbus und
Frankfurt (Oder) trauten sich aber, sie in ihre Sammlung aufzunehmen.
Durch die kluge Hängung entstehen interessante Bezüge. Man bemerkt: Die
Künstler aus der DDR malten noch gerne mit Ölfarbe auf Leinwand, während im
Westen industrielle Druckverfahren, Collagen und Assemblagen im Trend
waren. Doch dann stechen einem plötzlich die riesigen Leinwände mit
spießigen 60er-Jahre-Interieurs von Almut Heise aus Hamburg ins Auge, und
man merkt, dass solche Kategorisierungen auf jeden Fall zu einfach sind.
[4][Ob die eine Pop-Art nun besser ist als die andere] (und ob unter
anderen Umständen statt Sigmar Polke auch einer der DDR-Künstler das Zeug
zur Weltkarriere gehabt hätte), kann sich hier auf jeden Fall der Besucher
selbst überlegen – statt diese Entscheidung den traditionellen Gatekeepern
von Kunstmarkt und -vermittlung zu überlassen.
30 Dec 2018
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-den-Maler-Sigmar-Polke/!5141140
[2] /Gerhard-Richter-in-Potsdam/!5524104
[3] /Kunst-in-der-spanischen-Extremadura/!5377735
[4] /Post-Pop-Art-in-Delmenhorst/!5222129
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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