# taz.de -- Geschichten von Kunst und Marktwert: Kapital und Hofkunst | |
> Wolfgang Ruppert demontiert den Mythos Kreativität und dessen Bedeutung | |
> für den Kunstmarkt. Und kommt doch nicht so recht aus dem Narrativ | |
> heraus. | |
Bild: Elfriede Jelinek (l. v.) und Valie Export (r. v.) bei einer Ausstellu… | |
Der Kunstmarkt ist noch immer einer der Millionenrekorde. Gekauft wird, wen | |
die Aura des genialen kreativen Freigeistes umgibt. Ein Mythos, dessen | |
Entwicklung nun ein Buch zur neueren Kunstgeschichte nachzeichnet. | |
Der seit 1988 als Professor für Kultur- und Politikgeschichte an der | |
Universität der Künste Berlin lehrende Wolfgang Ruppert arbeitet sich darin | |
nicht wie üblich durch ihre dominanten Stile, sondern zeichnet die | |
Evolution des Berufsbildes Kunstschaffender seit der Formierung einer | |
bürgerlichen symbolischen Ordnung im 18. Jahrhundert nach. Jenes vom | |
„Hofkünstler“ und „Handwerker“ hinter sich lassend, brachte die Modern… | |
Narrativ des freien kreativen Subjekts hervor, das sich erstmals in Caspar | |
David Friedrichs ikonischem Gemälde „Mönch am Meer“ von 1808 zeigte. | |
Auf der einen Seite also: das schöpferische Künstlersubjekt. Auf der | |
anderen: eine an Kunst interessierte Öffentlichkeit. Gespeist aus deren | |
normativer Wertsetzung bildete sich, so zeigt Ruppert auf, die Praxis Kunst | |
heraus, wie wir sie heute kennen, und – hier spricht der Autor mit dem | |
Begriff des Soziologen Pierre Bourdieu – der Habitus der KünstlerInnen, | |
ihre Verhaltensstrategien. Diese aber entwickelten sich nur so frei, wie | |
der Mythos Glauben machen mochte. | |
## Kritik und Erhabenheit | |
So reglementierte vor allem der Kunstbetrieb die neue Kreativität von | |
Anfang an mit seinen in der Moderne etablierten Institutionen: Markt, | |
Ausstellung und Kritik. Ein Beispiel Rupperts ist der Einfluss Will | |
Grohmanns, einem Starkritiker der Nachkriegszeit, der etwa Wassily | |
Kandinsky als erhabenen Genius inszenierte, die abstrakte Kunst zur einzig | |
gültigen erhob, so die dogmatische Setzung von Abstraktion und Informell | |
ökonomisch forcierte und damit potente Vertreter wie Jackson Pollock. | |
Daran, wie der Betrieb über Inklusion und Exklusion entscheidet, hat sich | |
in zwei Jahrhunderten wenig geändert. Kulturelles Kapital hat, wer in | |
Ausstellungen und Feuilletons präsent ist, das treibt die Preise am Markt | |
hoch und hohe Preise erhöhen die Präsenz in Ausstellungen und Feuilletons. | |
Dazwischen: blinde Flecken. | |
Zwar verweist der Autor schon im Klappentext darauf, dass „die | |
Künstlerprofessionen lange Zeit männlich geprägt waren“, doch handelt er | |
das Thema im Unterkapitel „Die Geschlechterfrage: KünstlerInnen“ schnell | |
ab. Es konzentriert sich auf den Ausschluss von Frauen aus der | |
künstlerischen Ausbildung an den wichtigen staatlichen Institutionen. In | |
München etwa, erfahren LeserInnen, musste 1920 ein ihr vorgesetztes | |
Ministerium die erzkonservative Akademie erst zwingen, sich für Frauen zu | |
öffnen. | |
## Männliche Spitzenverdiener | |
In Weimar konnten Frauen ab 1912 studieren, das Bauhaus – das seine | |
Bedeutung wegen der „epochalen Neuausrichtung der künstlerischen | |
Kreativität“ erlangte und bei Ruppert mit einem Kapitel bedacht wird – war | |
für Frauen ab der Gründung 1919 ebenfalls offen, nur wurden die vielen | |
Studentinnen, die sich einschrieben, schließlich unabhängig von ihren | |
künstlerischen Ambitionen in die Klasse für Weberei gedrängt. | |
Zwar kommen in dem Band Valie Export sowie hier und da eine Kollegin vor; | |
zwar exemplifiziert der Autor politische Zeitgenossenschaft anhand der | |
Biografie Leni Riefenstahls, der „Hofkünstlerin Hitlers“; zwar wechselt er | |
mit einem Kapitel zu Pina Bausch am Ende die Perspektive, vor allem, um mit | |
der Tänzerin und Choreografin die Entgrenzung der Künste seit den 1960er | |
Jahren aufzuzeigen. Doch bleibt auch seine Kunstgeschichte vor allem eine | |
der männlichen Spitzenverdiener. | |
Immerhin: Das Buch wirft einen genauen Blick darauf, wie Mythenbildung und | |
Kult um Genie und Originalität – von der Postmoderne nur vermeintlich | |
dekonstruiert – möglich wurden, Kunst marktgängig machten und zu den | |
bekannten Festschreibungen in ihrer Geschichte führten. | |
## Deutsche Malerei | |
Ruppert nennt das Beispiel der Galerie Michael Werner, die in den letzten | |
Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts unter geschickter Nutzung der | |
Institutionen des Betriebs drei Künstler als Synonym für deutsche Malerei | |
durchgesetzt habe: Georg Baselitz, Markus Lüpertz und Jörg Immendorff. | |
Kunst wird schließlich mit den Preisexplosionen Mitte der 1990er und noch | |
einmal Mitte der 2000er Jahre zum Seifenschaum zwischen den | |
Spekulationsblasen. Andy Warhol oder Gerhard Richter, Jeff Koons oder | |
Damien Hirst, Vertreter einer weißen, männlichen Elite also, sind die | |
Hofkünstler des Kapitals – und gleichzeitig die unantastbaren Helden | |
subjektiver Kreativität. | |
Zu Leni Riefenstahl vermerkt Ruppert, der sich unter anderem mit seiner | |
Forschung zu Kunst und Nationalsozialismus verdient gemacht hat, dass erst | |
der moderne Mythos der kreativen Künstlerin es Riefenstahl – wie auch | |
anderen – nach 1945 ermöglicht habe, sich aus der Verantwortung zu | |
flüchten. | |
Im biografischen Abriss zu Joseph Beuys verweist Ruppert auf dessen Mäzen | |
Karl Ströher, einen bundesrepublikanischen Karrieristen, dessen Firma | |
während des Wirtschaftswunders boomte. Ihr Erfolg beruhte auf | |
Haarpflegeprodukten der Marke Wella, für deren Herstellung während des | |
Krieges auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt worden waren. | |
Trotz aller Unterschiede können Riefenstahl wie Beuys als prototypische | |
Beispiele eines Mythos gelten, der sich mit der Lektüre als in politischen | |
wie ökonomischen Kontexten tief verstricktes Konstrukt erweist. Epochale | |
Verschiebungen des etablierten, westlich-patriarchalen Narrativs zeichnen | |
sich noch nicht ab. Doch machen sich Positionen von Antiheldinnen, etwa | |
Künstlerinnen aus dem globalen Süden, heute daran, es nachhaltig zu stören. | |
In Rupperts Band kommen sie nicht vor. | |
10 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Sabine Weier | |
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