# taz.de -- Gerhard Richter in Potsdam: Liebt, was keinen Stil hat | |
> Das Museum Barberini zeigt „Gerhard Richter. Abstraktion“. Die | |
> Wiederbegegnung mit seinen Arbeiten überrascht den Künstler selbst. | |
Bild: Ausstellungsansicht „Gerhard Richter. Abstraktion“ im Museum Barberin… | |
Ausgerechnet „Gerhard Richter. Abstraktion“ im Museum Barberini in Potsdam | |
wird mit dem Versprechen von vielen „noch nie gezeigten Werken aus | |
internationalen Museums- und Privatsammlungen“ beworben. Nach der Frage, | |
warum Museen dem Publikum ihre Gerhard-Richter-Gemälde vorenthalten | |
sollten, würde man dann noch gern wissen, welcher Kunstfreund oder welche | |
Kunstfreundin, von den kulturaffinen Tourist*innen im Museum ganz zu | |
schweigen, im Ernst zu sagen wüsste, dass er oder sie „Abstraktes Bild | |
(860-7“) aus dem Jahr 1997/99 noch nie gesehen habe? Selbstverständlich | |
aber „Abstraktes Bild (865-2)“ aus dem Jahr 2000 den Staatlichen | |
Kunstsammlungen Dresden zuordne, woher er oder sie die Arbeit kenne? | |
Sie sind schon unterschiedlich, die beiden Rakelbilder, etwa im Format – | |
100 mal 90 Zentimeter gegen 200 mal 180 Zentimeter − und auch der Malgrund | |
− einmal Alu-Dibond und dann Leinwand – ist verschieden. Aber dann sind sie | |
beide doch ziemlich grau, selbst wenn beim kleineren Format dazwischen ein | |
bisschen hartes Schwarz hervorspickt und beim größeren Format eine Spur Rot | |
von unten nach oben stürmt. Ja, man unterscheidet die individuellen Bilder, | |
aber dass man sie deswegen so einfach wiedererkennt? | |
Wie nimmt man das abstrakte Werk von Gerhard Richter eigentlich wahr? Was | |
fasziniert daran? Was bleibt haften im Gedächtnis? Überraschen den Maler | |
seine Bilder selbst, wenn er sie nach langer Zeit wiedersieht? Es scheint | |
so, denn der 86-jährige Künstler bekannte auf der Pressekonferenz, er habe | |
jetzt vor Bildern, von denen er nicht mehr wusste, bei wem sie letztlich | |
geblieben waren, oft gedacht: „Sieht ja gut aus!“ | |
## Genese des Abstrakten | |
Aber in Potsdam interessieren mehr die Produktion, also die Genese des | |
abstrakten Werks, und seine zentrale Rolle in Gerhard Richters Schaffen. | |
Mehr als 90 Werke haben Dietmar Elger von den Staatlichen Kunstsammlungen | |
Dresden und Ortrud Westheider, die Direktorin des Privatmuseums, dazu | |
zusammengetragen und in neun Räumen thematisch, dabei aber auch | |
chronologisch von den Anfängen bis heute gehängt. | |
Der Einstieg 1964 hat Witz, heißt das erste abstrakte Bild doch „Vorhang“, | |
der damit für die große Richter-Schau aufgeht. Der Vorhang, von dem ein | |
Ausschnitt gesehen wird, ist natürlich nicht wirklich abstrakt, deutlich | |
ist noch ein Stück Boden zu sehen, über dem er grau und leblos hängt. Er | |
könnte auch zu Richters Fotobildern zählen, wie andere großformatige Motive | |
von Türen und Wellblechen in dieser Zeit. Teils sind sie schon in dem | |
weichen, verwischten Farbauftrag gemalt, der Richters Markenzeichen werden | |
sollte, spätestens mit dem umstrittenen Stammheim-Zyklus „18. Oktober 1977“ | |
(1988) selbst einem kunstfernen Publikum bekannt. | |
In Potsdam ist ein Jahr später bei „Vorhang III“ der Boden verschwunden und | |
der Vorhang fast schon ein einfaches Streifenbild. Aber eben nur fast. Und | |
hier wird es interessant, denn diesen Ansatz zur Abstraktion behält Gerhard | |
Richter bei. Er malt nicht im klassischen Sinn abstrakt. Stattdessen | |
reduziert er Motive der Alltagswelt auf minimalste Formen, gern begrenzt | |
auf Ausschnitte und Detailsichten. | |
## Ohne große Aufregung | |
Seine „Grauschlieren“ von 1968 könnten auch ein Teil eines gefrästen | |
Glasfensters sein. Er übermalt Fotoabzüge und malt Fotos nach und übermalt | |
sie, wie zuletzt in seinem (in Potsdam nicht gezeigten) „Birkenau“-Zyklus, | |
der auf vier Aufnahmen basiert, die 1944 entstanden und aus dem KZ | |
geschmuggelt werden konnten. | |
Gleichzeitig wird es bunt. Ausgehend von den Farbkarten des Fachhandels | |
setzt er 1966 nach dem Zufallsprinzip „192 Farben“ als kleine Quadrate auf | |
die große Leinwand, 1973 „1024 Farben“: Abstraktion als Pop Art. | |
Abstraktion als Gleichmut vor der Welt und ihren Geschäften. Das alles gibt | |
es, scheint der Künstler zu sagen, das alles lässt sich malen ohne große | |
Aufregung; und was Pathos angeht und große Gesten, da ich halte mich da | |
raus. | |
In Potsdam fällt auch wieder der Satz: „Ich mag alles, was keinen Stil | |
hat“, ein Zitat. Ursprünglich ging es so weiter: „Wörterbücher, Fotos, d… | |
Natur, mich und meine Bilder“. 1970 trifft man dann auf Studien in | |
Hyperrealismus: In perfekter fotorealistischer Manier malt Richter die | |
wenige Zentimeter kleinen, zufälligen Farbverläufe seiner Palette ab und | |
vergrößert sie bei „Ausschnitt (rot-blau)“ auf das Format von 2 mal 3 | |
Meter. Da wird es dann manchmal farblich zuckersüß: Ein „Abstraktes Bild | |
(421)“ von 1977 schwelgt in Pink und Rosé. | |
## Rasante, farbstarke Bildräume | |
In den darauf folgenden Jahren produziert Gerhard Richter dann auch | |
rasante, farbstarke Bildräume, vor allem seit die Rakel ins Spiel kommt. | |
Das Instrument, mit dem er die Farbe über den Malgrund zieht, unterstützt | |
Richters unpersönliche Herangehensweise an das Bild, weil es den Faktor | |
Zufall in dessen Entstehungsprozess potenziert. | |
Die nun vielschichtig farbzerfetzten Gemälde, sie fetzen wirklich. Der | |
Künstler verabreicht das von ihm ebenso kühl wie begnadet angerührte | |
Anästhetikum Schönheit in harten Dosen. Jetzt ist es auf dem Markt, das | |
Betäubungs- und vor allem Suchtmittel Bild: Seitdem erzielt Richter | |
Rekordpreise. | |
Heute ist er ein Künstlerstar, dem anwesende Kunstjournalisten gern ein | |
eigenes Museum wünschen, wie es Picasso, dem sie Richter gleichstellen, | |
doch mehrfach habe. Ihm behagt aber ein „Einmannmuseum“ nicht: „Ich möch… | |
dass meine Bilder mit anderen zusammen zu sehen sind.“Er ist natürlich der | |
Intellektuelle, der zu sein er verneint, wenn er klug den Schulterschluss | |
mit seinen Vorgängern, seiner eigenen Generation und der der künftigen | |
KünstlerInnen sucht. Denn seine Kunst besteht in der Auseinandersetzung mit | |
ihr, den Möglichkeiten, die bleiben, wenn man ein Maler im 20. und 21. | |
Jahrhundert ist. | |
Mit leichter, aber unverkennbarer Ironie reflektiert er diese | |
Voraussetzungen und Umstände in seinem Werk. Und diese Ironie ist schon | |
alles, was Richter an Romantik kennt. Schon die Idee, gar das zwangsläufige | |
Pathos eines Museums in eigenem Namen läge weit unter dem Niveau, auf dem | |
er sich mit den Freuden, aber auch Bürden der Kunst der Malerei | |
auseinandersetzt. | |
9 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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