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# taz.de -- Künstlerbücher von Gerhard Richter: Ist das hier ein Spiel?
> Das eigene Werk zerlegen: Das passiert in Gerhard Richters
> Künstlerbüchern, ausgestellt in der Neuen Nationalgalerie in Berlin.
Bild: Ausschnitt aus Gerhard Richters Buch „ Patterns. Divided – Mirrored �…
Strickmuster für Norwegerpullover? Handgestickte Bordüren für alte
Trachten? Es prangt sehr bunt und ornamental auf den 452 Seiten des Buchs
„Patterns. Divided – Mirrored – Repeated“, das man tatsächlich in die …
nehmen und durchblättern darf in der Ausstellung „Gerhard Richter
Künstlerbücher“ in der Neuen Nationalgalerie.
Auf den ersten Seiten des Buchs entsteht das Ornament noch vollziehbar aus
der Drehung und Spiegelung eines Motivs, über die letzten Seiten laufen nur
noch dünne farbige Streifen.
Wie die 221 Muster entstanden sind, steht nicht im Buch, aber im kleinen
Katalog der Ausstellung. Der Ausschnitt eines Abstrakten Bildes von 1990,
von Richter gemalt und später in Details fotografisch vergrößert, wurde
digital bearbeitet, geteilt, gespiegelt, wiederholt, und das immer wieder.
So entstehen aus einem Motiv immer weitere neue Muster, bis nur noch
Streifen bleiben. „Patterns“ ist von 2011 und wie die meisten
Künstlerbücher Richters im Verlag der Buchhandlung Walther König
erschienen.
Vieles in der Ausstellung macht Spaß und erscheint wie ein Spiel. Man kann
sich den Künstler nicht anders denn als einen glücklichen Menschen denken.
Hups, da ist die Tusche umgekippt und hat einen Stapel saugfähigen Papiers
durchtränkt. Aber wer mit dem Zufall spielt, weiß auch diesen Atelierunfall
zu nutzen, die Spuren werden auf beiden Seiten bearbeitet, reproduziert,
und das Buch „November“ nimmt 2008 seine Gestalt an.
## Eine Spur der Romantik
Man blättert durch zarte Farbwolken, von gewittrig dunkel bis hellblau und
rosa Dämmerlicht, nach und nach weniger werdend, bis nur ein Punkt bleibt.
Man kann in diesem Buch eine Hommage an romantische Wolkenbilder lesen oder
auch ein Protokoll eines fortlaufenden Arbeitsprozesses.
[1][Gerhard Richter] ist am 9. Februar 90 Jahre alt geworden, die meisten
Künstlerbücher gehören zu seinem späten Werk. Teils nutzt er dafür
Fotografien, die lange zuvor entstanden sind. Schon 1972 hatte er eine
Reise nach Grönland unternommen, auch aus Sehnsucht nach einer
entgrenzenden Erfahrung, wie sie Caspar David Friedrich in „Das Eismeer“
gemalt hatte. Richter fotografierte aus dem Flugzeug und vom Schiff aus
Eismassen, Geröll und Schnee. Das erste Buch, das daraus 1981 entstand, war
noch ohne Text, in der Neuauflage 2011 kam ein Artikel aus einer
Enzyklopädie über Grönland von 1871 dazu. Schon das Eis spiegelt sich im
Wasser, aber auch die Bilder werden gespiegelt, stehen teils Kopf. Nimmt
man das Buch jetzt zur Hand, hat das auch einen Aspekt von Trauerarbeit,
ein Gedenken an das Schwinden des Eises.
Für die Neue Nationalgalerie, die seit Januar von Klaus Biesenbach geleitet
wird, ist die Ausstellung, die aus der benachbarten Kunstbibliothek kommt
und von Michael Lailach eingerichtet wurde, nicht nur ein Blick auf einen
wenig bekannten Aspekt des Malers, sondern auch ein Vorbote: Biesenbach und
Lailach bot sie bei der Pressekonferenz mehrfach Anlass hervorzuheben, wie
sie sich auf Richters [2][künftige Leihgabe von 100 Bildern für das Museum
des 20. Jahrhunderts freuen].
Allein ob die Aufmerksamkeit für Richter, die ihm zurzeit sein großer
Erfolg im Ausstellungsbetrieb und im Kunsthandel sichert, noch viele
Jahrzehnte anhält, lässt sich jetzt kaum abschätzen. Denn nicht selten
verlischt die Neugier auf das allzu Gepriesene. Deshalb ist die Ausstellung
der Künstlerbücher jetzt eine sehr sympathische Schau, intim statt
Blockbuster-Format.
## Manipulation der Reproduktion
Reproduktionen von Malerei gelten einerseits in vielen Katalogen als
unhinterfragte Wiedergabe, sind andererseits aber in ihrer Qualität von
vielen technischen Parametern abhängig und keineswegs so objektiv, wie sie
genutzt werden. Künstler reflektieren das häufig und stecken auch viel
Arbeitszeit da hinein. Gerhard Richter nutzt in seinen Büchern offensiv den
Raum der Manipulation in der Reproduktion.
Der erste Schritt erfolgte in Halifax, Kanada während einer Gastprofessur
1978. Richters Atelier war zu klein für seine großformatigen Bilder. Aber
er spannte ein Abstraktes Bild ab und fotografierte die Leinwand in
Großaufnahme, Stück für Stück, legte sie dabei auch über einen Stuhl,
sodass im Bild auch unscharfe Partien sind. Das Relief der Farbe, die
Rauheit der Striche, die unterschiedlichen taktilen Spuren der von Pinsel
und Rakel aufgetragenen Farbe nehmen in den schwarzweißen Fotografien die
Anmutung einer Landschaft an. Vielleicht der eines fernen Planeten. Aus den
128 Fotografien entstand später zuerst eine Edition, dann ein Buch.
Die eigene Kunst als Material zu sehen, das man noch einmal anders
betrachtet, in einen anderen Kontext rückt, bedeutet auch, Distanz zum
eigenen Werk zu schaffen und die Bedeutung, die ein Bild mit seiner
Entlassung in die Welt angenommen hat, wieder von ihm zu trennen.
Die Arbeit an den Künstlerbüchern, so erzählt Michael Lailach, begleiteten
Richter oft auch in einer reflexiven Phase, einer Zeit des Umbruchs in
seinem Werk. Sie sind also auch ein Werkzeug, sein Bild von sich selbst als
Künstler etwas von sich abzurücken.
15 Feb 2022
## LINKS
[1] /Gerhard-Richter-in-Potsdam/!5524104
[2] /Museum-der-Moderne-in-Berlin/!5638685
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Bildende Kunst
Buch
Gerhard Richter
Neue Nationalgalerie
Adorno
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Theater
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zeitgenössische Kunst
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