| # taz.de -- „Queen Lear“ im Berliner Gorki Theater: Das große Augenzwinkern | |
| > Aus König wird Königin: Christian Weises Inszenierung von Shakespears | |
| > Drama ist so lustig, dass man die Konflikte am Ende nicht mehr ernst | |
| > nimmt. | |
| Bild: Queen Lear (Corinna Harfouch) zwischen ihren garstigen Söhnen | |
| Berlin taz | Das ist großes Kino auf großer Leinwand. Halt, nicht ganz: Die | |
| Kulissen sehen sehr gemalt aus. Raumschiffe, Stationen auf fernen Sternen. | |
| Und irgendwann sieht man unter der Leinwand die Füße der Darsteller, die | |
| diese Kulissen betreten und dort live gefilmt werden. Es ist eben doch | |
| Theater, die Inszenierung von „Queen Lear“ [1][am Maxim Gorki Theater]. | |
| Shakespeares Drama um einen alten König und sein Erbe wurde vom | |
| Autorenkollektiv Soeren Voima umgeschrieben, jetzt ist es eine alte | |
| Königin, die zwei heuchlerischen Söhnen ihr Reich vermacht; ihre Tochter, | |
| das einzig ehrliche Kind, aber verstößt. | |
| Der Regisseur Christian Weise wollte für die Rolle der Queen unbedingt | |
| Corinna Harfouch – und, klar, ist sie großartig in der Rolle der erst sehr | |
| strengen und in ihrer Machtfülle überheblichen Queen – in eine Art | |
| Darth-Vader-Steppmantel gequetscht –, dann in der Bitterkeit der | |
| Enttäuschten, von den Söhnen Betrogenen und Herumgestoßenen und endlich im | |
| luziden Wahn der einsam Herumirrenden. | |
| Wie passt das jetzt alles in ein Starship-Gewand? Das fragt man sich nach | |
| kurzer Zeit nicht mehr. Denn erstens geht es hier (Shakespeare) wie dort | |
| (Science-Fiction) um Macht, Dynastien, Eroberungen, Kriege, Ausgestoßene, | |
| Intrigen. | |
| ## Genderdebatten, Cancelculture, Transkulturen | |
| Zweitens ist das Spiel aller in diesem Ensemble so fulminant und ihr Text | |
| so intensiv mit satirischen Spitzen durchsetzt, dass man sich doch sehr | |
| darauf konzentriert, keinen der sprachlichen Hiebe zu verpassen, die | |
| ausgeteilt werden in Richtung Genderdebatten, Cancelculture, Transkulturen. | |
| Das ist ein Feuerwerk, das kaum Zeit lässt, über die einzelnen Funken | |
| länger nachzudenken. | |
| Christian Weise und Soeren Voima nehmen Shakespeares Drama als Vorlage für | |
| ein Stück über eine Umbruchszeit, in der Gewissheiten verloren gehen und | |
| alte Legitimierungszusammenhänge nicht mehr funktionieren. Der Clown, der | |
| Narr, mit grünen Haaren und Eselsohren, der Queen Lear treu begleitet, | |
| reflektiert darüber in einem Monolog, der auch den Veränderungsdruck der | |
| Gegenwart umfasst. | |
| Nicht nur Queen Lear muss erleben, wie das, was sie glaubte als Ordnung zu | |
| übergeben, einen Krieg auslöst, nicht allein einen Krieg der enterbten | |
| Tochter Cordelia gegen ihre Brüder Renegade Regan und Goneril, sondern auch | |
| der Brüder untereinander. | |
| Ähnlich geht es der Gräfin Bossy Gloster, deren Sohn Proud Boy Edmund seine | |
| Schwester Sister Eddi anschwärzt und ausbootet. Aram Tafreshian gibt ihn | |
| genüsslich als echten Shakespeare-Intriganten, nur haben sich seine | |
| Argumente verschoben: Weil er als Mann mit Schwanz jetzt immer der | |
| Schwester den Vortritt lassen müsse, sieht er sich zu hinterfotzigen | |
| Methoden genötigt. | |
| ## Voll von Rollen getauschter Geschlechter | |
| Shakespeares Dramen sind voll von Rollen der getauschten Geschlechter. Bei | |
| Soeren Voima wird aus dem Grafen Kent, der King Lear als Diener verkleidet | |
| ebenso treu wie der Narr folgt, eine sprachlich mehrfach betonte | |
| „menstruierende Person“, die nicht Frau genannt werden darf und mit | |
| genderfluidem Charme und spitzer Zunge den Gegnern der Königin die Stirn | |
| bietet. | |
| Fabian Hagen geht in dieser Rolle mit seinen Worten so biegsam um wie mit | |
| seinem Körper. (Dass er erst zwei Tage zuvor diese Rolle übernommen hat, | |
| erfuhr man durch eine Ansage zu Beginn und folgt ihm auch dafür mit | |
| Bewunderung.) | |
| Es dauert in der Inszenierung, bis das Live-Spiel hinter der Leinwand, auf | |
| die es Kameras übertragen, auf der Bühne direkt zu sehen ist. Da ist die | |
| Königin schon von beiden Söhnen als alt und lästig abgeschoben worden und | |
| begegnet nun Sister Eddi, der von Gräfin Gloster verstoßenen Tochter. Mit | |
| ihr wechseln auch Ort und Zeit des Spiels. | |
| Von Svenja Liesau gespielt ist Sister Eddi zu einer weiteren Narren-Figur | |
| geworden, eine Art Philosoph unter den Obdachlosen, gewaschen mit den | |
| Weisheiten des Überlebens auf der Straße, die Queen Lear schwer berlinernd | |
| in die Künste des Abtauchens einweiht. Als Zuschauer ahnt man vor den | |
| Beteiligten auf der Bühne, dass ihre Verrücktheiten Tarnung sind. | |
| Ironie war bei Shakespeare die Sache der Narren, die doppeldeutige | |
| Sprechweise derer, die sich schützen müssen, solange das Monopol auf | |
| Wahrheit bei den Mächtigen liegt. In der Inszenierung von Christian Weise | |
| irrlichtert die Ironie durch alles, schon das gemalte Starship-Outfit der | |
| Bühne von Julia Oschatz ist eine Ansage des großen Augenzwinkerns, großes | |
| Drama wird immer wieder gebrochen und durch die vielen Filter des Populären | |
| gejagt. | |
| Das hat Witz und unterhält, aber es schlingert auch etwas ziellos an | |
| Debatten der Gegenwart vorbei. Sympathisch zwar, aber nicht sehr erhellend. | |
| 22 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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