| # taz.de -- Retrospektive für Tomas Schmit in Berlin: „Gehen Sie nach Hause�… | |
| > Schreibmaschine, Buntstifte, Anweisung: Mit feinen Mitteln und Witz | |
| > arbeitete Tomas Schmit an der Erosion des Kunstbegriffs. | |
| Bild: Tomas Schmit. Stücke, Aktionen, Dokumente 1962–1970, Ausstellungsansic… | |
| Zuerst schauen links oben zwei Füße aus dem Bett, am Ende rechts unten. | |
| Dazwischen hat Tomas Schmit mit Buntstift Zeilen von Gegenständen | |
| gezeichnet, die den Tag so strukturieren: Zigarette, Dusche, Socken, | |
| Zahnbürste, Geschirr, Bücher und ab der Blattmitte Bierchen, Bierchen, | |
| Glotze und noch ein Bierchen. „diverse lustobjekte“ benannte er dies 1985 | |
| entstandene Blatt, ein skurriles Protokoll eines nicht allzu anstrengenden | |
| Tages. | |
| „diverse lustobjekte“ ist jetzt Teil einer Retrospektive von Tomas Schmit, | |
| die in Berlin vom Kupferstichkabinett und dem Neuen Berliner Kunstverein | |
| (n.b.k.) gemeinsam ausgerichtet wird. Im Kufperstichkabinett sind | |
| Ausschnitte aus seinen verschiedenen Phasen von Zeichnungen zu sehen, der | |
| n.b.k. legt den Fokus auf den Aktionskünstler Schmit zwischen 1962 und | |
| 1970. | |
| Dieser Teil, mit Plakaten, Filmaufzeichnungen und alten Zeitungstexten voll | |
| des Fremdelns über einen Kunstbegriff, der die Verfestigung in statischen | |
| Werken unterlief, passt auch gut in das [1][Beuysjahr,] fanden doch einige | |
| der Aktionen, an denen Schmit mit Wolf Vostell, Nam June Paik, George | |
| Macunias und weiteren Fluxuslegenden beteiligt war, in dessen Zeit als | |
| Professor an der Kunsthochschule Düsseldorf statt. | |
| In den Vitrinen liegt viel Kleingedrucktes zu den Abläufen von ausgeführten | |
| und auch nur gedachten Aktionen – „das publikum wird in einen bus gebeten, | |
| genau 100 km gefahren und dann wieder entlassen“ – das Menschengewusel in | |
| den Filmaufzeichnungen erzählt vor allem, dass die Fernsehteams keinen | |
| Fokus in den Aktionen fanden. | |
| ## Nähe zum Alltäglichen stiften | |
| Und doch hat das alles, zumindest von heute aus betrachtet, großen Charme | |
| im Versuch, der Kunst das Erhabene, das schon zu so vielen Dingen | |
| missbraucht worden war, und ihre Distanz zum Alltäglichen auszutreiben. | |
| „Gehen Sie nach Hause“, hört man im Eingang des n.b.k. Schmits Stimme, und | |
| viele Vorschläge folgen, was man dort machen kann: „Küssen Sie ihren | |
| ältesten Sohn“, „Trinken Sie ein paar Glas Bier“, „Denken Sie über ni… | |
| nach, aber sagen Sie etwas“, „Waschen Sie sich die Hände“. Daneben hängt | |
| dazu die Partitur, auf Schreibmaschine geschrieben. | |
| Einige der Aktionen Schmits nahmen zu Beginn der Ausstellung | |
| Performance-Künstlerinnen der Gegenwart wieder auf. 1962 hatte Schmit einen | |
| Zyklus für Wassereimer oder Flaschen entwickelt, die im Kreis aufgestellt | |
| wurden, um dann so lange Wasser aus einem Gefäß in das Folgende zu | |
| schütten, bis durch Kleckern und Verdunsten nichts mehr übrig war. Man | |
| könnte daraus heute fast eine Aufforderung zum schonenden Umgang mit der | |
| Ressource Wasser interpretieren. Harun Farocki hat die Aktion „Umgießen“ in | |
| einem Video neu intepretiert, in dem ein motorisierter Roboterarm die | |
| Arbeit ausführt. | |
| Tomas Schmit, der 2006 in Berlin starb, ist weniger bekannt als andere | |
| Fluxusgrößen, obwohl er zu den Pionieren gehörte. Ende der 1960er Jahre war | |
| er vom Rheinland nach Berlin gezogen und hier vor allem in der [2][Galerie | |
| von Barbara Wien] zu sehen. In Auflage-Objekten, Büchern – in der Typologie | |
| der Schreibmaschinenschrift – und in seinen Zeichnungen folgte er einem | |
| Bündel von Themen, die sich mit dem Sehen, der Wahrnehmung von Farben, der | |
| Evolution, der Entwicklung der Sinne beschäftigten. In seinen Zeichnungen | |
| unterstützte ihn dabei eine Vielfalt von Wesen, Krabbeltieren, Chamäleons, | |
| Elefanten, Vögeln, Fischen. Aber viel Tierisches, das sich mit | |
| geometrischen und abstrakten Formen verbinden konnte. | |
| ## Vom Zellhaufen zur Gesellschaft | |
| Im Kupferstichkabinett ist zum Beispiel das Blatt „Vorbeispaziert“ zu sehen | |
| (1985), auf dem unterschiedliche Gruppen über- und nebeneinander angeordnet | |
| sind. Ein Haufen von Kreisen mit Punkten, eine Gruppe Billiardspieler, ein | |
| Band von Fischen, einige davon kariert, Mäuse und eine Gruppe Sonnenschirme | |
| mit Tischchen. Das hat etwas von systematischen Zeichnungen, die | |
| Zusammenhänge in der Welt vom Zellhaufen bis zur Gesellschaft erklären | |
| wollen, bleibt gleichwohl aber auch spielerisch und rätselhaft. | |
| Einmal habe ich Tomas Schmit getroffen, für ein Porträt im Tagesspiegel, | |
| 1998. Auf den Berliner Kunstbetrieb, der ihn wenig beachtete, – seine | |
| Sammler saßen eher im Rheinland -, war er nicht gut zu sprechen. Damals | |
| nannte er seine Kunst „Sitzkunst“, weil sie am Schreibtisch entstand und im | |
| Sitzen wiederum zu rezipieren war, beim Blättern in seinen Heften. Ein | |
| Begriff, der aber auch Abstand nahm von den Rezeptionsformen im Museum. | |
| Ein anderer Begriff taucht im Kupferstichkabinett auf, „Schwabbel“, für | |
| Zeichnungen ab den 1980er Jahren, in denen die Umrisslinien teilweise | |
| Konkretes meinen konnten, wie einen Hahnenkamm, dann aber auch im Zickzack | |
| oder eben schwabbelnden Linien ausbrachen und Innen nicht mehr klar von | |
| Außen trennten. Von der Funktion, etwas zu bezeichnen, entfernten sich | |
| diese Linien, schlugen Kapriolen, um dann eventuell zum Konkreten | |
| zurückzukehren. | |
| Diese Eigenwilligkeit greift der Titel „sachen machen“ der Ausstellung im | |
| Kupferstichkabinett auf, der damit die Zeichnung auch als Ereignis betont, | |
| das auf der Bühne des Blattes Papier stattfindet. Teils ist Sprache in die | |
| Zeichnungen einbezogen, sie spielen mit den Zeichen und Verschiebungen | |
| zwischen Wort, Ding, Abbild, Symbol. Drei rote Kringel nebeneinander, in | |
| die kleine Querstriche – im Folgenden „stosszähne“ genannt – ragen, si… | |
| unterschrieben mit: „der elefantenbulle hat zwei stosszähne, die | |
| elefantenkuh hat keine, das q einen.“ Voilà! | |
| 30 Oct 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /100-Geburtstag-von-Joseph-Beuys/!5765964 | |
| [2] /Archiv-Suche/!5587695&s=Barbara+Wien&SuchRahmen=Print/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
| ## TAGS | |
| Bildende Kunst | |
| Aktionskunst | |
| Fluxus | |
| Zeichnung | |
| Retrospektive | |
| Skulptur | |
| Bildende Kunst | |
| zeitgenössische Kunst | |
| Schreibmaschine | |
| zeitgenössische Kunst | |
| Porträt | |
| Joseph Beuys | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Cadillacs am Rathenauplatz: Weiterhin geschätzt und gepflegt | |
| Wolf Vostells Skulptur „Zwei Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja“ am | |
| Ende des Ku’damms wurde renoviert. Jetzt erstrahlt es wieder wie neu. | |
| Künstlerbücher von Gerhard Richter: Ist das hier ein Spiel? | |
| Das eigene Werk zerlegen: Das passiert in Gerhard Richters Künstlerbüchern, | |
| ausgestellt in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. | |
| Gruppenschau in Berlin: Die Fassbarkeit der Welt | |
| Die Ausstellung „Scheitere an einem anderen Tag“ in der Galerie Nord | |
| schlägt einen anregenden Bogen zwischen Haltung und Ästhetik. | |
| Ode an die Schreibmaschine: Tack, tack, tack-tack-tack, tack | |
| Der 8. Januar ist der Internationale Tag des Maschinenschreibens. Vier | |
| Erinnerungen an Prä-Laptop-Zeiten. | |
| Ausstellungen zu Künstler Joseph Beuys: Deutschlands liebster Anthroposoph | |
| Zwei Ausstellungen in seiner Heimat ehren den Künstler Joseph Beuys. Er war | |
| spiritueller Heiler, demokratischer Streiter und Institutionskritiker. | |
| Perfomerin Isabel Lewis im Porträt: Den ganzen Körper ansprechen | |
| Isabel Lewis will mit ihrer Kunst zum gemeinsamen Erleben anstiften. Damit | |
| trifft sie einen Nerv, nicht nur in Zeiten von Social Distancing. | |
| 100. Geburtstag von Joseph Beuys: Raus aus dem Kino, rein ins Museum | |
| Happy Birthday, Joseph Beuys: Statt ihm weiter Altare zu bauen oder ihn als | |
| Hitlerjungen zu verdammen, sollte man sich seinem Werk zuwenden. |