# taz.de -- Ausstellungen zu Künstler Joseph Beuys: Deutschlands liebster Anth… | |
> Zwei Ausstellungen in seiner Heimat ehren den Künstler Joseph Beuys. Er | |
> war spiritueller Heiler, demokratischer Streiter und | |
> Institutionskritiker. | |
Bild: Der Künstler als spiritueller Heiler: Joseph Beuys 1985 | |
Die NRW-Museen feuern [1][im 100. Geburtsjahr von Joseph Beuys] aus allen | |
Rohren. Doch wer den Kern seines Schaffens ergründen will, muss an den | |
Niederrhein gehen. In Kleve ist [2][der spätere Düsseldorfer | |
Kunstprofessor] aufgewachsen und zur Schule gegangen, von der Innenstadt | |
führt der Voltaire-Wanderweg zum Schloss Moyland in Bedburg-Hau. | |
Hier lagern fast 5.000 Arbeiten von Beuys, vor allem Zeichnungen – das ist | |
der größte Bestand weltweit. Angereichert mit ethnologischen Objekten ist | |
aus diesem Bestand die Schau „Joseph Beuys und die Schamanen“ gewachsen, | |
die staunen lässt: Wofür andere kritisiert würden, dafür wird der | |
Filzhutträger gefeiert. | |
Wie in einem Naturkundemuseum führt die Ausstellung im Schloss Moyland tief | |
in die Geschichte und Praktiken von Schamanen in Osteuropa und Asien, für | |
die sich Beuys schon früh interessiert hat. In einer Vitrine liegen Bücher | |
über die historisch-mythische Figur Dschingis Khan. | |
Die Geschichten über den Herrscher, der mit seinen nomadischen Reiterheeren | |
den eurasischen Kontinent durchquert hat, pflanzten dem jungen Mann, der | |
einmal Künstler werden sollte, den Samen der Vision von der Verbindung der | |
östlichen und westlichen Welt ein. | |
## Beuys eine Reinkarnation Rudolf Steiners? | |
Über die Beschäftigung mit der geheimnisumwitterten Grabstätte des | |
Mongolenherrschers entstand auch ein Interesse an asiatischer | |
Spiritualität. Später führte ihn dieser Weg zu einem an die Konzepte der | |
Romantik anknüpfenden Nachdenken über die Verbindung zu Natur und Tierwelt | |
zur Esoterik Rudolf Steiners. | |
Die Künstleridentität, die sich Beuys nach dem Zweiten Weltkrieg schuf, | |
könnte auch eine Schamanen-Identität sein – oder die einer Reinkarnation | |
Steiners. Sie basiert auf mythischen Initiationssituationen: Bekannt ist | |
die Geschichte über den Flugzeugabsturz über der Krim 1944, wo ihn | |
nomadisierende Tataren mit Fett und Filz gesund gepflegt haben sollen. | |
Weniger bekannt ist, dass Beuys einmal äußerte, dass ihm bereits als | |
vierjähriges Kind ein schwarz gekleideter Mann begegnet sei, der aus einem | |
Zug ausstieg und ihm sagte: „… ich habe es versucht mit meinen Mitteln, | |
versuche du es – nur! – aus deinen Mitteln.“ | |
## Das Bild des Künstlers als spiritueller Heiler | |
Mit etlichen Zeichnungen im Beuys-typischen Braunkreuz, aber auch frühen | |
Aquarellen wie „Im Haus des Schamanen“, Objekten wie einem Filzanzug, | |
Schlitten in verschiedensten Ausfertigungen (von Beuys mit Fett, Filz, | |
Schnur und Taschenlampe ausgestattet oder als ethnografisches Objekt aus | |
Sibirien), gewachsten Hasenpfoten, dem „Eurasienstab“, Fotos berühmter | |
Aktionen wie der mit dem toten Hasen oder dem lebenden Kojoten, entsteht im | |
Schloss Moyland das Bild des Künstlers als spirituellen Heilers, als | |
Mittler zwischen Natur und Kosmos, sichtbarer und unsichtbarer Welt, Leben | |
und Tod, Leben und Kunst und Politik. | |
Und während man im Erdgeschoss in einen Sitzsack sinkt und in einem | |
Dokumentarfilm aus Melanie Bonajos „Night Soil“-Trilogie die Initiatorin | |
eines Gartenprojekts erzählen hört, was der Kontakt eines nackten Fußes mit | |
der Erde in einem Menschen auslösen und lösen kann, stellt sich plötzlich | |
diese Frage: Warum lässt man Beuys das eigentlich alles durchgehen? | |
Warum gilt der so offensichtlich von Rudolf Steiner Inspirierte in einer | |
Zeit, in der alles Anthroposophische quasi geächtet wird, als nah an | |
Querdenkertum oder völkisch-nationalem, mindestens rassistischem | |
Gedankengut gebrandmarkt, nach wie vor als einer der größten Künstler | |
unserer Zeit? | |
## Die Museen zu Universitäten machen | |
Wahrscheinlich weil er den Balanceakt doch geschafft hat und die aus seiner | |
Sicht „materialistischen“, rationalen Diskurse der westlichen Welt | |
ebenfalls bedienen konnte. Verführerisch waren seine Diskussionsangebote, | |
seine stete Bereitschaft mit allem und jedem zu streiten. Zum Beispiel mit | |
dem niederländischen Kunsthistoriker Frans Haks über die Institution | |
Museum. | |
[3][Der schöne Band,] der zu diesem Gespräch 1993 erschienen ist, liegt in | |
einem Raum im grandios und gründlich verwinkelten Architektur-Schatz des | |
Mönchengladbacher Museums Abteiberg aus und bildet dort das heimliche | |
Zentrum der Beuys21-Schau „Institutionskritik – Das Museum als Ort der | |
permanenten Konferenz (J. B.)“. | |
„Man kann also nicht sagen: Das Museum ist tot“, erklärt Beuys da. Es kön… | |
sich durchaus einem „totalisierten Kunstbegriff öffnen.“ Man müsse die | |
Museen zu Universitäten machen, zu Orten, durch die das Leben strömt. Vier | |
von Beuys’ typischen Vortrags-Bleistiftzeichnungen hängen um den Tisch mit | |
dem Gesprächsband und man kann nur ahnen, was er hier als Gedankenstütze | |
visualisieren wollte: die Umlenkung der Geldströme, die Umstrukturierung | |
der demokratischen Gesellschaft, das Museum als Epizentrum der Veränderung. | |
## Die Kunst und ihre Institutionen lebendig halten | |
Doch an diesem Freitag in Mönchengladbach, also ebenfalls am Niederrhein, | |
der Herkunftsregion des heiligen Joseph, da strömt nicht viel. Einzelne | |
Besucher stromern durch die Hallen, Treppen und winzigen Sackgassen-Räume. | |
Die Künstlerin Ghislaine Leung hat hier eine durchaus stimmige | |
Institutionskritik zwischen die Dauerausstellung und einige | |
Beuys-Skulpturen geschaffen: Weiße, aufblasbare Willkommensbögen schnaufen | |
einsam in verlassenen Ecken oder mitten im Gang. Ein Raum besteht quasi nur | |
aus brauner Wandfarbe in Höhe der „Standardmitte der Hängung von Bildern“ | |
und einem winzigen Öl-Stillleben mit braunen Zwiebeln. | |
Unter dem Titel „Daughters“ finden sich immer wieder bunte | |
Kinder-Bonbon-Ketten zwischen Uecker-Nagelbildern oder | |
Polke-Punktmalereien. Und wenn man sich schließlich inmitten Gerhard | |
Richters acht großen, komplett grauen Ölbildern wiederfindet, die blind | |
starren, neugierige Blicke ermatten lassen, dann erscheint der Gedanke doch | |
irgendwie logisch, dass es ab und zu Gestalten wie den zwischen Welten | |
irrlichternden Beuys braucht, um die Kunst und ihre Institutionen lebendig | |
zu halten. | |
21 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /100-Geburtstag-von-Joseph-Beuys/!5765964 | |
[2] /Joseph-Beuys-beerben/!5758310 | |
[3] https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Angebote/titel=Das+Museum+-+Gespr%C3%… | |
## AUTOREN | |
Max Florian Kühlem | |
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