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# taz.de -- Picasso-Ausstellung „Les Femmes d’Alger“: Trauerarbeit und Po…
> Die Ausstellung „Picasso – Les Femmes d’Alger“ im Museum Berggruen l�…
> zur Diskussion ein. Sie zeigt den Künstler als Dieb, Sexist und Befreier.
Bild: Ausstellungsansicht „Picasso & Les Femmes d'Alger“, Museum Berggruen,…
Die klassische, europäische Kunstgeschichte lehrt uns: Ein Kunstwerk steht
für sich, ist singulär, abgeschlossen und originell. Was aber, wenn das
Kunstwerk eine Serie von fünfzehn Gemälden ist, die nur gemeinsam ihre
volle Wucht entfalten und deren Motive fast vollständig von berühmten
Werken anderer Künstlerinnen übernommen wurden? Dann macht es richtig Spaß,
ins Museum zu gehen und Spurensuche zu spielen!
Das Berliner Museum Berggruen zeigt nun beeindruckende 11 von 15 Gemälden
der Serie „Femmes d’Alger“ von Picasso, die sonst in meist privaten
Sammlungen über die Welt verstreut hängen und erst selten in solcher Fülle
ausgestellt wurden.
Die von A bis O bezeichneten Gemälde sowie rund 100 Zeichnungen fertigte
Pablo Ruiz Picasso (1881–1973) in drei Wintermonaten 1954/1955 an.
Ihr Titel verweist auf ihr großes Vorbild, das Salonstück „Femmes d’Alger
dans leur appartement“ (1834) [1][von Eugène Delacroix]. Auf einer Reise
durch das seit 1830 von Frankreich kolonialisierte Algerien hatte Delacroix
den raren Einblick in einen Harem erlangt, den bewachten Bereich, in dem
sich Frauen und Kinder aufhalten, abgeschlossen von der patriarchalen
Außenwelt.
## Das Gefängnis des Privaten
Was Delacroix beobachtete, nahm er – wie die algerische feministische
Schriftstellerin Assia Djebar es 1980 formulierte – als „reines Bild“ wah…
Er idealisierte das Gefängnis des Privaten zu einer erotisch aufgeladenen
Welt, in der drei Konkubinen ruhen, Wasserpfeife rauchen und von einer
vierten Frau bedient werden. Ihre eleganten Posen und die gesenkten Blicke
legen jedoch nah, dass sie allzeit bereit sind für den Blick des Voyeurs,
des Mannes.
Dieses Gemälde, dessen zweite, etwas spätere Version in der Ausstellung zu
sehen ist, entwickelte Picasso weiter, indem er die Posen, Konstellationen,
Möbelstücke und Körperteile einer malerischen Performance unterzog oder –
nach Leo Steinberg – einer „ständigen Probe“. Die Rauchende wird zur
thronenden Madonna, die Dienerin hier zur Tänzerin, dort zur antiken
Läuferin, ein Tischchen bewegt sich von Bild zu Bild durch den Raum, dessen
Farbwelt von satten Grundtönen bis zur kubistischen Grisaille reicht.
Die Figur, die bei Delacroix auf der rechten Seite sitzt, macht Picasso zur
Odaliske, dem Typus einer auf einem Diwan liegenden, oft halbnackten Frau.
Doch hier präsentiert sie sich ganz nackt, ihre Glieder verrenken sich so,
dass sie zu Ende der Reihe gleichzeitig Bauch und Rücken zeigt.
## Der didaktische Ansatz zeigt Schwächen
Er habe die Odalisken von Henri Matisse geerbt, so Picasso, seinem Freund
und Rivalen, der 1954 gestorben war und dem Picasso die Serie als Hommage
und Trauerarbeit widmete. Außer bei Matisse, von dem zahlreiche Arbeiten in
der Ausstellung vertreten sind, bediente sich Picasso motivisch auch bei
Cézanne, Velázquez und Poussin, deren Bilder leider nur im Katalog erwähnt
sind.
Der didaktische Ansatz der Schau hat weitere Schwächen. Die einfache
Sprache der Wandtexte verallgemeinert, anstatt komplexe Sachverhalte
demokratisch zu entschlüsseln, wenn beispielsweise von „arabischen“
Kostümen die Rede ist oder davon, Picasso habe den Kubismus erfunden.
Die Begegnung mit zwei historischen Frauen aus Algerien im zweiten Geschoss
wirft die Frage auf, wie politisch Picassos Serie interpretiert werden
kann, die kurz nach dem Ausbruch des Algerienkriegs zur Befreiung von der
französischen Besetzung entstand.
## Sind die „Femmes d'Alger“ politisch?
Zwar zeichnete er ein Porträt der Aktivistin Djamila Boupacha, die aufgrund
eines Attentatsverdachtes gefoltert und 1961 zum Tode verurteilt wurde. Das
Bild schmückt den Umschlag der Dokumentation des Strafprozesses, den Simone
de Beauvoir so beeinflussen wollte. Doch reicht das, um die „Femmes
d’Alger“ politisch zu deuten?
Für die Historikerin und Schriftstellerin Assia Djebar schon. In ihrem
Roman „Die Frauen von Algier“ schreibt sie, indem Picasso die Frauen
ausziehe, verleihe er ihnen den „weiblichen Blick“, der dem männlichen
Blick nicht passiv ausgesetzt sei, sondern diesen herausfordere. Picasso
habe die Frauen aus der Grausamkeit von Delacroix’ Fantasie befreit und der
feministischen Bewegung ein Symbol geschenkt.
Djebar [2][wäscht mit dieser These Picasso nicht von seinem Sexismus rein],
sondern nutzt seine Bilder für ihre Zwecke. Wie Amanda Beresford es sagt:
Sie kolonialisiert den Eroberer Picasso.
## Die Picasso-Rezeption hätte reanimiert werden können
Das Kuratorenteam Gabriel Mantua und Anna Wegenschimmel hat es versäumt,
die subversiven Möglichkeiten eines solchen Clashs zu verfolgen. Hätten sie
den aktuell geführten Diskurs um die Befreiung kolonialisierter Körper
ernst genommen und durch entsprechende künstlerische Positionen integriert,
dann hätten sie die Picasso-Rezeption wahrlich reanimieren können.
Stattdessen liegt der Fokus auf dem Originalwerk des männlichen Genies, das
von seiner Rezeption räumlich klar getrennt ist.
Im oberen Stockwerk finden sich entsprechende Auseinandersetzungen, die
zwar ästhetisch sehr ansprechend sind, aber eher resignativ wirken, als
eine Befreiung voranzutreiben: Halida Boughriets Fotografie einer greisen
Witwe des Algerienkriegs als Odaliske vor offenem Fenster; oder eine
Videoarbeit von Zoulikha Bouabdellah, die einen marokkanischen Strand
zeigt, wo halbnackte Männer in traumhafter Zeitlupe laufen, spielen, sich
umarmen und so den Außenraum einnehmen, der vielen Frauen noch heute
verboten ist.
10 Jul 2021
## LINKS
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[2] /Picasso-Ausstellung-in-Bremen/!5755081
## AUTOREN
Zora Schiffer
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