# taz.de -- Ausstellung „Picasso und der Comic“: Picasso als Leser von Comi… | |
> In Picassos Werk gibt es viele Bezüge zur Ästhetik des Comics, wie eine | |
> Pariser Ausstellung zeigt. Zeitgenössische Graphic Novels zitieren den | |
> Meister. | |
Bild: Proto-Comic-Protest gegen den Faschismus: Picassos Radierzyklus „Traum … | |
Pablo Picasso (1881–1973) hat im Laufe seiner langen künstlerischen | |
Schaffenszeit nahezu sämtliche Disziplinen und Techniken ausprobiert, die | |
einem bildenden Künstler seiner Epoche nur Verfügung standen, seien es | |
Malerei, Skulptur, Keramik, Collage oder Drucktechniken. Doch eine | |
Kunstform, deren Siegeszug – wie sein eigener – zu Beginn des 20. | |
Jahrhunderts begann, ließ er anscheinend links liegen: den Comic. | |
Gegen Ende seines Lebens (1966) bekannte er: „Das Einzige, was ich in | |
meinem Leben bereue, ist, keine Comics gemacht zu haben.“ Dennoch ist | |
gerade er von der Comickunst stark beeinflusst, eine Nähe, auf die sich | |
auch verschiedene Comicautoren immer wieder bezogen. | |
In einer Episode um den Comicdetektiv Alack Sinner von 1978 erzählen zum | |
Beispiel die [1][beiden Argentinier José Muñoz und Carlos Sampayo] von | |
einem hispanoamerikanischen Boxer, dessen Großvater Veteran des Spanischen | |
Bürgerkriegs ist. Am Ende ermordet der traumatisierte ehemalige | |
Freiheitskämpfer zwei korrupte Boxmanager. In der subjektiven Wahrnehmung | |
des Veteranen vermischten die Comicautoren eindrucksvoll die Gegenwart mit | |
Bildern von der Bombardierung Guernicas und Zitaten aus Picassos | |
gleichnamigem Gemälde. | |
Nicht zufällig nimmt die düstere Schlüsselszene dieses Comics Bezug auf | |
Picassos Antikriegsbild von 1937. „Guernica“ taucht als ikonisches Werk | |
auch in anderen Comics auf, etwa in der „Blake und Mortimer“-Geschichte | |
„Die teuflische Falle“ [2][des Belgiers Edgar-Pierre Jacobs] von 1962, | |
einer Endzeitvision, in der sich die Menschheit im 51. Jahrhundert bereits | |
selbst durch Atomkriege ausgelöscht hat. Hier dienen Fragmente des | |
berühmten Bildes als ausdrucksstarke Relikte des untergegangenen, | |
kriegerischen „Anthropozäns“. | |
Auch eine Ausstellung im Pariser Picasso Museum legte 2020 Picassos enge | |
Beziehung zur Comickunst bloß. Sie offenbarte dabei erstaunliche | |
Entdeckungen. Der Radierzyklus „Traum und Lüge Francos“ von 1937 hatte | |
schon zuvor als „Picassos einziger Comic“ in der Kunstgeschichte Erwähnung | |
gefunden. Die zwei Blätter mit jeweils neun Bildern (durch den Druck | |
spiegelverkehrt angelegt, von rechts nach links zu lesen) illustrieren auf | |
surrealistische Weise die Erschütterungen Spaniens durch die Eroberungen | |
General Francos im Bürgerkrieg. | |
## Politisches Statement gegen Franco | |
Die Bilderfolge stellt, wie man heute weiß, eine wichtige Zäsur im Werk | |
Picassos dar. 1937 ist Picasso bereits 56 Jahre alt, er hatte bis dahin | |
unmittelbar politische Äußerungen eher vermieden. Erst Francos Putsch von | |
1936 änderte seine Haltung. „Traum und Lüge Francos“ zeichnet die Karikat… | |
eines operettenhaften (von Picasso als „Polyp“, Meerestierchen, | |
entworfenen) Monster-Generals auf einem Pferd. Der kämpft gegen einen | |
stolzen, widerspenstigen Stier an – der Stier als symbolische Verkörperung | |
der spanischen Bevölkerung. | |
Nach der verheerenden Bombardierung der baskischen Kleinstadt Guernica | |
durch die Luftwaffen der mit Franco verbündeten Deutschen und Italiener, | |
bei denen Hunderte Zivilisten getötet wurden, unterbrach Picasso die Arbeit | |
am Zyklus und begann sein Tableau „Guernica“ für die Weltausstellung in | |
Paris. | |
Nach dessen Vollendung innerhalb von sechs Wochen zeichnete Picasso die | |
noch fehlenden vier Bilder des „Traums“ und stellte nun eine um ihr totes | |
Kind weinende Mutter in den Mittelpunkt, ein „Guernica“-Motiv. Picasso | |
stellte eine Mappe zusammen, in der er die zwei Drucke um ein surreales | |
Klage-Gedicht ergänzte, und nahm sie mit zur Weltausstellung. Doch diese | |
Mappe sollte im Schatten des großformatigen Antikriegsbildes wenig | |
Beachtung finden und wurde lange als Nebenwerk betrachtet. | |
## Eigene Versuche der sequenziellen Erzählung | |
Es ist bekannt, dass sich der junge Picasso bereits um 1900 für Comics und | |
Karikaturen interessierte. Er kannte die katalanischen Auques (im | |
Spanischen Aleluyas genannt), populäre Bildergeschichten, die im 19. | |
Jahrhundert ihre Blüte erlebten und als Vorläufer des Comics gelten. | |
In Paris entstanden erste eigene Versuche Picassos in dieser Richtung, | |
skizzenhaft, aber deutlich als sequenzielle Erzählung lesbar. Im Blatt | |
„Klare und einfache Geschichte von Max Jacob“ (1903) zeichnet der junge | |
Picasso pointiert in sieben Kästchen den (fiktiven) Lebensweg seines | |
Dichterfreundes Max Jacob bis hin zu höchsten Ehren. | |
Einen weiteren Gefährten, Guillaume Apollinaire, verewigt er ebenfalls | |
mehrfach in Karikaturen. Und 1904 skizziert er mit Tusche und Buntstiften | |
einen lockeren Comic in sieben Bildern, wie er zusammen mit einem | |
Jugendfreund von Barcelona nach Paris reiste. Am Ende steht wiederum der | |
ersehnte Erfolg beim Bilderverkauf in einer Galerie. | |
In Paris entdeckte er auch die damals höchst modernen Comicstrips aus den | |
USA. Niemand Geringeres als [3][Gertrude Stein, die berühmte amerikanische | |
Kunstsammlerin] (1874–1946), saß Picasso ab 1905 Modell. Sie brachte ihm | |
auch die Zeitungsbeilagen aus den Staaten mit, die farbige Comics | |
enthielten wie „Little Nemo“ von Winsor McCay, „Krazy Kat“ von George | |
Herriman oder „Little Jimmy“ von James Swinnerton. Picasso soll sich mit | |
seiner damaligen Lebensgefährtin Fernande Olivier darum gestritten haben, | |
wer die Comics zuerst lesen durfte. | |
## Comics haben Picasso inspiriert | |
Eine Auswertung von Picassos Bibliothek offenbarte im vergangenen Jahr, wie | |
elementar Comics für die Kunst des Meisters waren. Der Spanier sammelte | |
zeit seines Lebens Comics, Karikaturen und Bildergeschichten jeder Art. | |
Neben den frühen US-Strips finden sich in seiner Bibliothek spanische und | |
katalanische Comic- und Satiremagazine (Pulgarcito, Papitu), wie auch | |
französische Hefte (L’Épatant, Spirou). | |
Picasso betätigte sich selbst nicht als Comiczeichner im klassischen Sinne, | |
doch war er stets begierig, diese zu lesen. Comics haben ihn eindeutig | |
inspiriert und in seiner Ästhetik beeinflusst. Gerade wenn es um die | |
Abstraktion der Formen ging, etwa bei der Darstellung der Gesichter und | |
Augen, die in Picassos Werken oft hervorstechen. In Picassos Porträt | |
Gertrude Steins von 1907 sahen die Pariser Ausstellungsmacher 2020 | |
Anlehnungen an eine Figur aus dem Strip „The Katzenjammer Kids“ von Rudolph | |
Dirks. | |
Seit den 1930er Jahren wurden in zahlreichen Comics Picassos bekannte Werke | |
zitiert. Ab den 1960er Jahren taucht Picasso auch als Figur in Erzählungen | |
selber auf. In einer Karikatur zeichnet Philippe Geluck den Altmeister im | |
Atelier, dem bewusst wird, dass er der einzige Maler auf der Welt ist, der | |
keine falschen Picassos machen kann. | |
In einem weiteren Comic von Marcel Gotlib fungiert er in einer TV-Show als | |
prominenter Vertreter der „Hochkunst“, der originelle Zeichnungen | |
improvisieren soll. Während sein Kontrahent, der Cartoonist Jean-Marc | |
Reiser, über die Resultate die Nase rümpft – eine schön humorvolle | |
Rollenverkehrung. | |
## Hommage an Picasso als Comic | |
In den letzten Jahren gab es mehrere biografische Annäherungen an die | |
Maler-Ikone in Comicform. „Pablo“ (Deutsch bei Reprodukt) zeichnet dessen | |
junge Boheme-Jahre in Paris eindrucksvoll nach. Und Daniel Torres | |
veröffentlichte zuletzt 2019 eine fiktive Erzählung – „Picasso zieht in d… | |
Krieg“ (Delcourt Verlag). In dieser bittet der alternde Meister den | |
Comicautor, seine Biografie so umzuzeichnen, dass er, deutlich verjüngt, am | |
Spanischen Bürgerkrieg hätte aktiv teilnehmen können. | |
Nicht zuletzt hat sich Art Spiegelman als Kenner und Fan von Picassos Werk | |
erwiesen. Er widmete 1974 in „Ace Hole“ (auf Deutsch im Band „Breakdowns�… | |
bei S. Fischer) dem Spanier eine achtseitige Hommage im Stil des Noir. | |
Darin sucht ein Detektiv nach gefälschten Picassos. Er begegnet einer | |
kubistisch gezeichneten Femme fatale (angelehnt an Dora-Maar-Bildnisse) und | |
schließlich in Traumsequenzen auch Picasso selbst, der andauernd seine Form | |
ändert und kunsttheoretische Bonmots von sich gibt. | |
Wie nicht zuletzt die wegen Corona vorzeitig geschlossene Pariser | |
Ausstellung zeigte, pflegte der Maestro [4][nicht zwischen Hoch- und | |
Populärkultur zu unterscheiden]. Obwohl der Kunstbetrieb und ein breites | |
Publikum Picasso feierten, haben sie dies zu seinen Lebzeiten kaum | |
reflektiert. | |
9 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ralph Trommer | |
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