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# taz.de -- Picasso-Rezeption in BRD und DDR: Der Trumpf-Trink-fix-Deal
> Die Ausstellung „Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der
> BRD und der DDR“ in Köln erzählt spannend von Bildern im Gebrauch.
Bild: Reproduktion einer Anzeige der Bundeswehr mit Picassos Bild „Guernica�…
Die Redaktionskonferenz wolle lieber Picasso-Ausstellungen besprochen
sehen, meldete mein [1][damaliger Redakteur Harald Fricke] (R.I.P.)
zurück, und drückte dennoch Texte zur 90er-Kontext-Kunst in diese
Kulturseiten. Die „Marke Picasso“ war uns Synonym für gut abgehangene
Klassiker-Ausstellungen mit abschließendem Poster-Verkauf und passte so gar
nicht zur damals ja auch noch etwas raueren Zeitung.
[2][Das Museum Ludwig Köln – Hort von knapp eintausend Werken des Meisters,
die der Namensgeber Peter Ludwig über Jahrzehnte angesammelt hatte] – macht
nun selbst eine Kontext-Kunst-Ausstellung zu Picasso. Und plötzlich wird
der so aufgefrischte Großkünstler richtig sympathisch: „Der geteilte
Picasso“ ist feinste Sahne Konzeptfilet, spröde serviert als hochkopierte
Zettelkunst auf Stellwänden.
Es geht gleich damit los, dass der vor dem Franco-Faschismus geflohene
Pablo Picasso 1944 in die Kommunistische Partei eintrat, und endet mit dem
ehemaligen HJ-Mitglied Peter Ludwig. Der zu Picasso promovierte
Schokoladenfabrikant wusste im Kalten Kriegs Geschäftliches mit
Sammelleidenschaft zu verknüpfen: Während „Trumpf Trink fix“ auf der
verlängerten Werkbank des VEB Kombinats Süßwaren Delitzsch kostengünstig
hergestellt wurde, umgarnte Ludwig den Maler und Verbandspräsidenten Willi
Sitte, um Westkunst im Osten und Ostkunst im Westen zeigen.
## Information Pop Art
Alben von Peter und Irene Ludwig zeigen die Vertragsunterzeichnung in der
Nationalgalerie der DDR im April 1977 wie auch einen Besuch der
Kakao-Fabrik im Januar 1983. Zum ersten Mal wurden in der DDR Werke von
Lichtenstein oder Rauschenberg neben Werken von Pablo Picasso ausgestellt.
Dies solle „Informationen geben“, erzählt Ludwig dem DDR-Fernsehen.
Noch vor dem Mauerfall bot das Ehepaar Ludwig Werke im Wert von 40
Millionen D-Mark als Schenkung sowie weitere sechzig Werke als
Dauerleihgaben nebst 1 Million Mark Spende an. Eine Vollversammlung der
Mitarbeiter*innen Ende 1989 lehnte die „Ludwig Galerie im Alten
Museum“ allerdings ab. Die retournierten Arbeiten bilden nun den Kölner
Kernbestand.
Picassos erste museale DDR-Ausstellung mit über dreihundert Grafiken,
Keramiken und Kleinbronzen wurde allerdings schon 1957 in der Alten
Nationalgalerie (in Ostberlin) eröffnet. Ein Großteil stammte von
[3][Daniel-Henry Kahnweiler], dem aus der Pfalz stammenden Kunsthändler und
Vertrauten Picassos, der sich während der deutschen Besatzung in Paris
verstecken musste. Lange vor Ludwig stiftete er dem Dresdner
Kupferstich-Kabinett 1967 ein Konvolut von grafischen Werken Picassos.
In einem Vortrag ein Jahr zuvor erklärte er Picassos politische Mission und
im weichen Singsang des Exilanten ist zu hören: „Sie dürfen sich nicht
vorstellen, dass der Kommunismus eines Picassos wissenschaftlich sei, dass
er Marx gelesen habe. […] Was stellen die Bilder von Picasso aus seinen
Jugendjahren dar? […] das Lumpenproletariat von Barcelona.“
## Reise nach Polen, Besuch in Auschwitz
Kahnweiler vertrat Picasso in aller Welt, während sich der Künstler nach
1945 selten aus seinen Ateliers entfernte. Doch bei den Friedenskongressen
in Rom, Moskau oder Sheffield war er stets dabei. Hinzu kam eine
zweiwöchige Reise 1948 nach Polen, die den Besuch von Auschwitz
einschloss. In die Nachfolgestaaten des Deutschen Reichs reiste Picasso
jedoch nie; eine Fotografie im Kreise der Freien Deutschen Jugend (FDJ)
stammt vom internationalen Jugendkongress 1950 in Nizza.
1953 bittet Brecht den „lieben Genossen Picasso“, für das Berliner Ensemble
den „herrlichen Plakatentwurf“ der französischen Delegation verwenden zu
dürfen. „Lassen Sie mich Ihnen auch gleich gestehen, dass wir Ihre Taube
seit Gründung des Theaters als Vorhangzeichen benutzen.“ Seit dem Einzug
ins neue Haus des Berliner Ensembles bis 1993 blieb die Taube im Einsatz.
Jenseits der Friedenstauben war der „Formalist“ Picasso den DDR-Behörden
jedoch suspekt: Deformierte Körper passten nicht zum Menschenbild des
Sozialistischen Realismus. Eine Debatte in der Zeitschrift Bildende Kunst
zeigt 1955 die Spannbreite der Diskussion.
Picassos fachliche Rezeption im Westen hatte ihren Höhepunkt mit der
Einladung zur documenta1955 schon überschritten. Das 1964 erschienene Buch
„Leben mit Picasso“ der Malerin Françoise Gilot festigte Picassos
schillernden Ruf als Frauenheld. Bei der nochmaligen Lektüre stößt der
Katalogautorin Émilie Bouvard vor allem die „gelegentlich perverse
Herrschaft eines Mannes über eine Frau“ übel auf. Das 1959 veröffentlichte
Buch „Bei Picasso“ von Hélène Parmelin bleibt körperlich auf Distanz. Die
Kunstkritikerin bringt den Genossen Picasso dazu, sich gegen die
Unterdrückung des Ungarnaufstands oder der von Frankreich geführten
Kolonialkriege öffentlich zu positionieren.
## Adorno erzählt von „Guernica“
Georg Seeßlen erinnert an die von Adorno erzählte Anekdote, wo ein
deutscher Botschafter Picasso fragte, ob er das Bild „Guernica“ gemacht
habe, und Picasso antwortete: „Nein, Sie!“. Das erste Flächenbombardement
der europäischen Geschichte, eine Art Vorübung für den totalen Luftkrieg
deutscher und italienischer Truppen, wurde von Picasso innerhalb eines
Monats im spanisch-republikanischen Zweck-Pavillon der Weltausstellung von
Paris 1937 als gemalte Klage ausgestellt.
Picasso hielt im Exil über einen befreundeten Friseur Verbindungen zur
illegalen spanischen KP und spendete viel Geld für die GenossInnen.
[4][Erst nach Francos Tod 1975 durfte „Guernica“ in Spanien gezeigt werden]
und war auch nur einmal 1955/56 in Westdeutschland zu sehen. „Besonders vor
dem Bild mit dem Namen einer baskischen Kleinstadt drängelten sich die
Kunstinteressierten, waren fasziniert, erschreckt, entsetzt oder fühlten
sich in ihren Vorurteilen bestätigt“, schreibt Hubert Brieden. Knapp vor
der „Wiedervereinigung“ veröffentlichte die Bundeswehr eine doppelseitige
Anzeige mit einer Reproduktion des Gemäldes und der Schlagzeile
„Feindbilder sind die Väter des Krieges“.
Das epochale Picasso-Projekt im Museum Ludwig wurde von der Hauskuratorin
Julia Friedrich konzipiert, die nun ans Jüdische Museum Berlin wechselt.
Ohne die raffinierte Kulissenlandschaft des Konzeptkünstlers Eran Schaerf
wäre es nicht vorstellbar. Ihre gemeinsame Ausstellung über Ausstellungen,
politische Interventionen und Schriftstücke wird qua Berichterstattungen,
Filmen sowie Büchern und Unikaten, großformatigen Reproduktionen oder Peter
Nestlers Auftragsfilm „Picasso in Vallauris“in Gestalt gebracht.
Die eigenwillige Wucht der Großinstallationen macht die Artefakte zwar
klein, aber lässt sie zugleich zart erscheinen. Die Ausstellung
funktioniert auch als Referenzsystem: Kunst im aktiven Gebrauch ist eben
nicht die des konsumierenden Verbrauchs.
4 Jan 2022
## LINKS
[1] /Textsammlung-von-Harald-Fricke/!5141650
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[4] /Politische-Kunstgeschichte-in-Paris/!5608336
## AUTOREN
Jochen Becker
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