# taz.de -- Textsammlung von Harald Fricke: Ein Werk wie ein DJ-Set | |
> Kein Platz für Ideologien: Harald Fricke schrieb mit dem Bewusstsein für | |
> die Ästhetik und Integrität von Texten. Drei Jahre nach seinem Tod | |
> erscheint eine Auswahl seiner Artikel. | |
Bild: Aufmerksamer Beobachter: Taz-Kulturredakteur Harald Fricke | |
Selten ruft der Tod eines Journalisten solche Reaktionen hervor. Als Harald | |
Fricke vor drei Jahren am 6. Juni 2007 im Alter von 44 Jahren starb, | |
erschien eine Reihe genauer und liebevoller Nachrufe in Feuilletons und | |
Magazinen. Das allerdings verwunderte nur diejenigen, die seine Texte nicht | |
gelesen hatten. Warum? | |
Wenn Harald Fricke über eine neue Platte des Funk-Meisters George Clinton, | |
über Pasolini, über den hyperschnellen Technosound des Rotterdam Hardcore, | |
über den Musikproduzenten Ahmet Ertegun, über Martin Kippenberger und | |
Louise Bourgeois oder die Love Parade schrieb, dann wollte man das lesen. | |
"Begeisterung muss man teilen", lautet der erste Satz seines Textes über | |
ein Brian-Wilson-Konzert von 2006. Dieser Satz lässt sich als Motto | |
verstehen. Begeisterung war der Motor für die hochtourige Arbeitsweise | |
Harald Frickes. Diese Begeisterung übertrug sich auf seine Texte und von | |
diesen auf seine Leser. | |
Und so gab es Leute, die hätten in den frühen Neunzigern die taz gar nicht | |
erst in die Hand genommen, wenn sie nicht auf die Texte Haralds neugierig | |
gewesen wären. Denn in diesen Texten wurde nicht nur spürbar, mit wie viel | |
Aufmerksamkeit und Liebe sich der Autor seinen Gegenständen näherte. In | |
diesen Texten wurde gedacht, und dieses Denken ließ sich im Lesen | |
nachvollziehen. Wenn Harald Fricke schreibend dachte, dann war das nicht | |
akademisch und nicht kanonisierend. Es war nicht auf Durchsetzung der | |
eigenen Position bedacht. Sondern immer verständlich, ganz offen und | |
dialogisch. Harald Fricke schrieb auf eine lässige, beschwingte und | |
ziemlich witzige Art und Weise. | |
Dass nicht nur der Schreiber Fricke, sondern auch die Person Harald ein | |
Mann voller Humor war, kann jeder bestätigen, der in den Neunzigern die | |
ständig wechselnden Orte der Berliner Kunstszene besuchte. Deren Übergänge | |
zum Club, zur Theorie und zum Aktivismus waren fließend, was den | |
vielfältigen Interessen Frickes entgegenkam, der in der taz mehr als der | |
offizielle Kunstredakteur war. Werfen wir einen Blick in eine der frühen | |
Ausstellungen der Kunst-Werke in der Auguststraße. Schauen wir am Abend im | |
Friseur in der Kronenstraße vorbei, wo sich Netzkritiker mit Jungle-DJs und | |
Konzeptkunstkollektiven trafen. Oder versetzen wir uns kurz in eine | |
Vernissage der jungen Galerie Allgirls. Dann sehen wir einen großen, | |
schlaksigen Mann, verschmitzt grinsend, die Augen verdrehend, lachend, | |
rauchend, eine Bierflasche in der Hand (es waren immerhin die Neunziger, in | |
denen Disziplin höchstens gegenüber den tyrannischen Beats von Techno | |
geboten war, nicht beim Genuss). Wir sehen den großen Mann mit den | |
angegrauten Haaren, aber immer nur im Gespräch, nie auf dem Tanzboden. | |
Harald Fricke war ein Mann des Worts und der Mimik, keiner der Gliedmaßen. | |
Wenn der Chronist am Montag aufschrieb, was er sich am Wochenende in | |
Gesprächen, beim genauen Hinsehen in einer Ausstellung, beim Hören einer | |
CD, beim Lesen eines Buchs überlegt hatte, dann geschah das unter | |
Zuhilfenahme von Texten und Bildern aus Kunst und Pop. Aber nicht zuletzt | |
auch von Denkfiguren, die an den Texten der Franzosen geschult waren, die | |
man in den Achtzigern und Neunzigern unter anderem bei Merve übersetzte und | |
verlegte. | |
Umso schöner ist es, dass nun gerade hier, bei Merve, eine Auswahl von | |
Texten Harald Frickes aus den Jahren 1990 bis 2007 erschienen ist. Der | |
Titel ist schlicht: "Texte 1990 - 2007". Die meisten dieser Texte waren | |
ursprünglich in der taz veröffentlicht worden, ein paar andere in | |
Katalogen. Im Gegensatz zu anderen Kollegen hatte Harald Fricke zu | |
Lebzeiten kein Buch mit eigenen Texten veröffentlicht. Dabei wäre das | |
weitaus interessanter gewesen als so manches Produkt der sogenannten | |
Popliteratur. Und obwohl seine Texte absolut zugänglich waren wie Popsongs | |
- also für jeden, der es wirklich will - blieb er doch ein authors' author. | |
Geschätzt wurde er von Kollegen, Künstlern, Galeristen, Musikern mit | |
theoretischen Interessen und einem Bewusstsein für die Ästhetik und | |
Integrität von Texten: Harald Fricke stellte seine Sujets in den | |
Vordergrund, nicht seine Befindlichkeit. Er war also gerade das Gegenteil | |
dessen, was der journalistische Mainstream mit dem vermeintlichen lobenden, | |
in Wirklichkeit leeren und dümmlichen Begriff der "Edelfeder" bezeichnet. | |
Die Nachworte der Herausgeber, Bettina Allamoda, Jens Balzer, Detlef | |
Kuhlbrodt und Cord Riechelmann, beleuchten Harald Fricke als | |
Universalisten, als analytischen wie leidenschaftlichen Kritiker, als | |
Plattensammler und Leser, als einen, der das Hier und Jetzt beobachtet und | |
durchdringt. Und schließlich als Freund, Liebenden und Sterbenden. Vor | |
allem aber lässt dieses kleine Bändchen noch einmal einige von Harald | |
Frickes Texten sprechen, die zwar für den Augenblick gedacht waren, diesen | |
aber überdauert haben. Nun stehen sie da, als wäre die Love Parade eben | |
über den Ku'damm gezogen, hätte Rainald Goetz gestern seine | |
Poetik-Vorlesung in Frankfurt gehalten, hätte Motown gerade 40. Geburtstag | |
gefeiert, als wäre Susan Sontag am vergangenen Wochenende gestorben. | |
Man kann heute noch besser als zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Texte | |
sehen, dass Harald Fricke ein großer Stilist war. Nicht im | |
pompös-manieristischen Sinn, in dem das Wort gern gebraucht wird, sondern | |
im allerbesten: Da sitzt jedes Wort, da gibt es nichts Überflüssiges, da | |
wird mit minimalen Mitteln maximal viel gesagt. Das ist das Ergebnis harter | |
Arbeit am Text. Was der Autor Fricke selbst über Stil gedacht haben mag, | |
lässt sich an folgendem Satz über Susan Sontag erahnen: "Als sie in ihrem | |
Text über Camp den Satz ,Stil sticht Inhalt' schrieb, war dies keineswegs | |
ein Lobgesang auf den schönen Schein der Oberflächen, sondern eine gezielte | |
Provokation gegen den Kanon der Erbaulichkeit." So ist es auch wenig | |
erstaunlich, dass Harald Fricke den Slang liebte, "der von unten kommt und | |
das oben verspottet", wie er anderswo schrieb. | |
Die althergebrachten, aber wirkungslos gewordenen Hierarchien von Kunst und | |
Pop, High und Low, Mainstream und Underground interessierten ihn nicht. | |
Harald war ein freundlicher, weil antielitärer und von Grund auf | |
demokratischer, aber auch ein strenger Mensch. Diese Strenge - genau sein! | |
hinhören! nachdenken! -, die er sich und den anderen gegenüber an den Tag | |
legte, war die Voraussetzung dafür, dass oft bestechend elegant und | |
humorvoll war, was er dachte, sagte und schrieb. Zum Beispiel dieser kleine | |
Satz aus der Besprechung von Andy Warhols "Blue Movie" von 1990: ",Sex', | |
das ist was anderes als Porno, wahrscheinlich auch was anderes als Sex." | |
Dass einen immer wieder einzelne Sätze innehalten lassen, macht deutlich, | |
was für ein Autor hier am Werk war. Im Grunde gibt es nicht die zwei, drei, | |
zehn "großen" Texte von Harald Fricke. Seine Brillanz steckt jeweils im | |
Satz, im einzelnen Gedanken, der von Anspielungen funkelt und mit Wörtern | |
spielt. Wer Harald Frickes Werk verstehen will, muss es wie ein DJ-Set | |
lesen. Es geht hier nicht um einzelne Stücke, sondern um die Performance, | |
die sich auf den jeweiligen Moment konzentriert. Mal wird die Euphorie | |
größer, die Hände fliegen in die Höhe. Mal muss Luft geholt werden, bevor | |
der nächste kleine Gipfel von vielen weiteren kommenden erklommen wird. | |
"Die neunziger Jahre kosten den einzelnen so viel Mut zur Lebensphilosophie | |
und so viel Kraft bei den Bemühungen um eine praktikable Selbsttechnik, | |
dass kein Platz für Ideologien übrig bleibt", schrieb Harald Fricke 1992. | |
Das ist ein Satz, dessen Ausmaße heute viel klarer zu sehen sind als | |
damals. Umso wichtiger ist es vielleicht geworden, jene Begeisterung zu | |
teilen, die Harald Frickes Texte so lebendig macht. Sie zeigt sich nur | |
vermittelt, in einem genauen Blick, dessen kritische Wachsamkeit gerade auf | |
einem Moment der Hingabe beruht. Es ist keine Metapher, wenn man sagt, dass | |
er an dieser Hingabe auch gestorben ist. | |
4 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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