# taz.de -- Kritische Picasso-Jubiläumsschau: Wenn die Brusthaare explodieren | |
> Die queere Komikerin Hannah Gadsby kuratierte zum Picasso-Jubiläumsjahr | |
> eine Ausstellung. Sie geht den Künstlerpapst hart an. | |
Bild: Pablo Picasso (1920) und Hannah Gadsby (2018) für „It's Pablo-matic“ | |
Eine Radierung von Pablo Picasso hängt an der Wand des Brooklyn Museums. | |
Sie zeigt einen nackten Mann, ihm gegenüber eine Frauenbüste. Als Kommentar | |
steht daneben: „Ich bin so männlich, meine Brusthaare sind gerade | |
explodiert.“ Ein paar Schritte weiter eine weitere Radierung von Picasso. | |
Zu sehen ist eine nackte Frau, die auf dem Kopf eines Mannes sitzt. Der | |
Kommentar dazu: „Schlimmste. Hämorrhoide. Jemals.“ | |
Das ist in etwa das intellektuelle Niveau, auf dem sich die Ausstellung | |
„It’s Pablo-matic – Picasso According to Hannah Gadsby“ bewegt. Anfang … | |
hat die Schau im New Yorker Brooklyn Museum als Teil der | |
Jubiläumsfeierlichkeiten zu Picassos 50. Todestag eröffnet. Kuratiert hat | |
sie die [1][queere australische Komikerin Hannah Gadsby]. Die hat zwar | |
einen Bachelor in Kunstgeschichte, aber noch nie zuvor eine | |
Kunstausstellung verantwortet. Und dann das: Pablo Picasso, Jubiläumsjahr, | |
Brooklyn Museum, New York. | |
Die Kunstkritik reagiert entsetzt: „Traurig und peinlich berührt“ verließ | |
der New-York-Times-Kritiker Jason Farago die Schau. Alex Greenberg vom | |
Kunstmagazin Artnews beurteilt sie als „katastrophal“. In der Tat wirkt die | |
Ausstellung willkürlich zusammengesetzt und ist inhaltlich dünn. Trotzdem | |
ist sie vielleicht der bis jetzt wichtigste Beitrag zur Diskussion über | |
Picassos Erbe fünfzig Jahre nach seinem Tod. | |
Wenn es um den Künstlerpapst Picasso geht, ist Hannah Gadsby sehr direkt: | |
„Ich hasse ihn“, sagt sie in ihrer 2018 von Netflix ausgestrahlten | |
preisgekrönten Comedy-Show „Nanette“. Gadsby geht es um ein System der | |
modernen Kunst, das Frauen und ihre Sicht der Dinge aus dem gültigen Kanon | |
lange ausschloss. Der Geniekult um Picasso ist für sie das prominenteste | |
Beispiel. Er werde uns als „leidenschaftliches, männliches, gequältes | |
Genie“ verkauft und nicht als das, was er wirklich gewesen sei: ein | |
Frauenfeind. | |
[2][Picasso hatte ein problematisches Verhältnis zu Frauen]. Das ist | |
inzwischen hinlänglich bekannt. Frauen seien für ihn „entweder Göttinnen | |
oder Fußabstreifer“, soll er zu seiner kürzlich verstorbenen Geliebten | |
Françoise Gilot gesagt haben. Doch so vehement und hart wie Gadsby hat ihn | |
wohl noch niemand kritisiert, vor allem nicht so massentauglich. „Nanette“ | |
war ein Blockbuster-Hit und machte Gadsby zum Popstar. | |
## Gelungen ist die Schau nicht | |
Die Direktorin des Brooklyn Museum, Anne Pasternak, schrieb Gadsby einen | |
Fanbrief. Das Museum und die Komikerin kamen ins Gespräch über mögliche | |
gemeinsame Projekte. Als das Brooklyn Museum vom Pariser Musée Picasso | |
eingeladen wurde, einen Beitrag zu den Feierlichkeiten zum 50. Todestag von | |
Picasso zu organisieren, erschien dies die Gelegenheit, Gadsby prominent | |
einzubinden. | |
„It’s Pablo-matic“ stellt nun 50 Werke von Picasso neben die von weiblich… | |
Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts, darunter so bekannte und | |
unterschiedliche Namen wie [3][Käthe Kollwitz], Cindy Sherman, Mickalene | |
Thomas oder [4][Louise Bourgeois]. Dank dieser Arbeiten soll ein | |
„kritischer, zeitgenössischer und feministischer“ Blick auf das Werk | |
Picassos geworfen werden. Gelungen ist die Schau nicht. Zumindest nicht, | |
wenn es um neue [5][Sichtweisen auf Picassos Rolle in der Kunstgeschichte] | |
geht. | |
Die 49 ausgewählten Arbeiten der Künstlerinnen hinterfragen patriarchalisch | |
geprägte Sehgewohnheiten, Strukturen und Frauenbilder. Also ein ganzes | |
System, nicht einen einzelnen Künstler. Davon ist in der Ausstellung jedoch | |
nicht viel zu sehen. Der einzige Repräsentant dieses Systems ist hier | |
Picasso. Seine kunstgeschichtliche Bedeutung wird damit eher untermauert | |
als demontiert. | |
Außerdem fehlen Bilder von Picassos Künstlerzeitgenossinnen, die eben | |
systembedingt lange Zeit unsichtbar waren. Allen voran selbstverständlich | |
die Werke der Frauen, die direkt unter Picasso gelitten haben. Seine | |
Geliebten Dora Maar und Françoise Gilot zum Beispiel, beide bedeutende | |
Künstlerinnen. | |
## Radikaler, feministischer Blick | |
Auch Gadsbys deftige Kommentare in dem von ihr gesprochenen Audioguide oder | |
auf den Schildern neben den Bildern tragen nicht zur Vertiefung der | |
Ausstellung bei. Am Ende laufen sie immer darauf hinaus, dass Gadsby | |
Picasso für ein misogynes Arschloch hält. | |
Die vernichtenden Kritiken der Ausstellung haben daher ihre Berechtigung. | |
Doch die Art der Kritik entblößt wiederum die Kritiker selbst. Jason Farago | |
schreibt etwa in der New York Times, er finde den Titel der Ausstellung so | |
albern, dass er ihn nicht tippen könne, er habe die Copy-paste-Funktion | |
dafür nutzen müssen. Das zeugt von einem beachtlichen intellektuellem | |
Dünkel. | |
Die Ausstellung überzeugt nicht, doch auf einer anderen Ebene ist das | |
Experiment aufgegangen: Sie versucht in diesem sanft begangenen | |
Picasso-Jubiläumsjahr einen eher radikalen, feministischen Blick auf sein | |
kunstgeschichtliches Erbe zu entwickeln. Diese Anerkennung hat sie bei | |
aller Kritik verdient. | |
11 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Comedy-Star-Hannah-Gadsby/!5517757 | |
[2] /Zum-50-Todestag-von-Picasso/!5926618 | |
[3] /Kaethe-Kollwitz-Museum-in-Berlin/!5879900 | |
[4] /Louise-Bourgeois-im-Gropius-Bau/!5876677 | |
[5] /Picasso-Rezeption-in-BRD-und-DDR/!5821979 | |
## AUTOREN | |
Verena Harzer | |
## TAGS | |
Jubiläum | |
Pablo Picasso | |
Ausstellung | |
Feministische Kunst | |
Feminismus | |
wochentaz | |
Kunst | |
Pablo Picasso | |
Netflix | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Graphic Novel „menschen vertrauen“: So wirklich gut ist es nie | |
Der Comic „menschen vertrauen“ erzählt von Beziehungen und seelischen | |
Krisenzuständen. Kribbelnde Ambivalenzen machen das Werk zum Klassiker. | |
Zum 50. Todestag von Picasso: Am Sockel darf gerüttelt werden | |
Gerade weil er ein Popstar der Kunstgeschichte ist, sollte Pablo Picasso | |
hinterfragt werden. Was seine Rezeption braucht, ist: Kontext. | |
Picasso-Rezeption in BRD und DDR: Der Trumpf-Trink-fix-Deal | |
Die Ausstellung „Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der | |
BRD und der DDR“ in Köln erzählt spannend von Bildern im Gebrauch. | |
Comedy-Star Hannah Gadsby: Die Prügel zum Schluss | |
Die australische Comedian Hannah Gadsby rechnet in ihrer Show mit der | |
Comedy-Branche ab. Dafür wird sie gefeiert. |