# taz.de -- Kiki Smith in München und Freising: Madonna legt den Schutzmantel … | |
> Die bald 70-jährige New Yorker Künstlerin Kiki Smith bleibt radikal. In | |
> ihren zwei Ausstellungen geht es um Herzen und ultraästhetische | |
> Frömmigkeit. | |
Bild: Reaktion auf die Aids-Krise: Kiki Smith „Untitled (Heart T-Shirt)“, A… | |
Kiki Smith ist mild geworden, geradezu weise. Und seit den 1980er Jahren | |
ist sie die präzise denkende und arbeitende Künstlerin geblieben. Die | |
natürlichen und die spirituellen Zusammenhänge interessieren sie. Ihr | |
Metier ist die Skulptur, sei es Glas oder Bronze, die Radierung und | |
anverwandte Drucktechniken, die Zeichnung, die Fotografie. | |
Die 1954 in Nürnberg geborene New Yorkerin Kiki Smith wird 70 Jahre alt. Zu | |
diesem Anlass widmen sich ihr gleich zwei Münchner Ausstellungen. Und geben | |
vorsichtig Auskunft über ihre Entwicklung von der zornigen Feministin zur | |
versöhnlich mahnenden Künstlerin. „From My Heart“ heißt eine Schau in der | |
Staatlichen Graphischen Sammlung, für die auf einen reichen Fundus | |
zurückgegriffen werden konnte, denn Kiki Smith hat dem Museum ihr gesamtes | |
in Auflagen erschienenes druckgrafisches Œuvre übereignet. | |
Das Diözesanmuseum Freising bei München feiert die Fertigstellung einer | |
kleinen, nach Smiths Vorgaben entstandenen Kapelle am Domberg mit einer | |
eigenen Präsentation von Skulpturen, Installationen und Fotografien unter | |
dem Titel „Empathy“. | |
Kiki Smith wuchs im intellektuell-künstlerischen Umfeld in New Jersey auf. | |
„Wir waren eher ein Hippie-Haushalt“, sagte sie einmal. Der Vater Tony | |
Smith, der berühmte Bildhauer, gilt als Wegbereiter des Minimalismus. | |
Studienjahre verbrachte sie in Hartford und San Francisco, bis sie in New | |
York blieb. | |
Sie beschäftigt sich mit den tradierten Aspekten des menschlichen, vor | |
allem weiblichen Körpers. Und sie kehrt das Innerste nach außen. | |
Schonungslos präsentiert sie, geschult nach einer kurzen | |
Krankenhausausbildung sowie dem Vorbild anatomischer Bildwerke folgend, | |
skulpturales Gedärm, Muskeln, Arterien. | |
In Zeiten hart geführter Debatten um den Schwangerschaftsabbruch provoziert | |
sie 1986 mit „womb“, einem bronzenen Uterus. Er lässt sich aufklappen und | |
ist: leer. Eine Reminiszenz an dieses leidenschaftliche wie rabiate | |
Frühwerk ist in der Münchner Ausstellung das weiße T-Shirt mit dem | |
schockierend realistischen Bildaufdruck eines Herzens – in den 1980er | |
Jahren auch [1][eine Reaktion auf grassierende HIV-Infektionen] mit damals | |
noch fatalem Ausgang; eine ihrer beiden Schwestern starb 1988 an den Folgen | |
von Aids. | |
Das Herz als Motiv, Objekt oder Symbol im Werk von Kiki Smith ins Zentrum | |
der Ausstellung zu stellen, leitet ein wenig in die Irre. Etliche rote | |
Herzen fliegen durch die Schau, gezeichnet, radiert oder kunstvoll in | |
gläserne Scheiben integriert, auch als hölzerne Skulptur („Heart in Hand“, | |
was etwa „Barmherzigkeit“ bedeutet) festgehalten. | |
## Die schonungslose Pietà | |
Das Ergebnis ist freilich entzückend, zumal die Künstlerin einen | |
ungebremsten Hang zu Glitter und Glanz hat, auch die hinzugefügten | |
Beispiele historischer „herziger“ Objekte aus dem Bayrischen Nationalmuseum | |
sind hübsch. Doch ein derart verengter Fokus wird Smiths | |
gesamtkünstlerischem Anliegen keineswegs gerecht. Denn ihr geht es um eine | |
Erfassung von Natur und Leben, Mensch und Tier. | |
Seit den frühen 1990er Jahren ist Kiki Smith der Überzeugung, „das ganze | |
Universum“ sei „in einer Art Liebesvereinbarung“ verknüpft. Sie | |
interessiert sich nun für Traditionen, historische Erzählungen, Mythen, | |
aber auch Glaubensfragen beschäftigen die Katholikin. Und insbesondere | |
archaische Frauenfiguren. Gleich neben dem Diözesanmuseum am Freisinger | |
Domberg ist nach längerer Planungs- und Bauphase kürzlich eine winzige | |
Kapelle nach Smiths Entwürfen fertiggestellt worden. Ein veritables Kleinod | |
architektonischer und handwerklicher Kunstfertigkeit. | |
„Mary’s Mantle“ ist dem christlichen Motiv der Schutzmantelmadonna | |
gewidmet, ein spitzgiebliger Bau, aufgemauert aus „Kirchenbibern“, aus | |
Dachziegeln einer alten Kirche im oberbayrischen Ruhpolding. Ein | |
vergoldeter Aluminiumvogel, Symbol für den Heiligen Geist, schwebt von der | |
Decke, an einem Wandhaken hängt ein blau gemustertes Tuch (der recht | |
weltlich abgelegte Schutzmantel der Gottesmutter) und draußen auf dem | |
Dachfirst setzt eine vergoldete, barock anmutende Bronzetaube mit | |
ausgebreiteten Flügeln zum Flug an. | |
Dieses ultraästhetische, extrem reduzierte Beispiel zeitgemäßer | |
Frömmigkeit, gesellt sich zu den jüngeren Erwerbungen des Museums, [2][zur | |
grandiosen Lichtinstallation von James Turrell etwa], oder zu Berlinde De | |
Bruyckeres verstörendem „Arcangelo“ im Lichthof. | |
In den Sälen der Freisinger Ausstellung versammeln sich, neben Smiths | |
lebensgroßen Frauenskulpturen und wandgroßen Fotografien, auf einer quasi | |
wandfüllenden Collage Eule, Rabe, Katze in Gesellschaft einer mächtigen | |
Schlange. Die innige Verbindung von Mensch und Tier zeigt die | |
Federzeichnung [3][„Pietà“], ein Selbstbildnis der Künstlerin mit zwei | |
toten Katzen im Schoß. Lakonisch, weder sich noch den Betrachter schonend. | |
Da ist sie wieder, die Radikale. Nicht belehrend, sondern ganz im Duktus | |
der von ihr verehrten [4][Alten Meister] erzählt sie von einer Banalität | |
der Katastrophe, den Zumutungen des Lebens, schlicht vom Lauf der Dinge. | |
19 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Annegret Erhard | |
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