# taz.de -- Kirche, Körper & Kunst: Nackte Katholiken | |
> Das Diözesanmuseum Freising befasst sich mit katholischer Körperphobie in | |
> der Kunst – und zeigt, wie die Kirche über Jahrhunderte ihre eigenen | |
> Monster erschuf. | |
Bild: Entrückung der Heiligen Maria Magdalena von Francesco Cairo um 1650 | |
Das Ausmaß der sexualisierten Gewalt in der katholischen Kirche schockiert | |
noch immer. Erst am Dienstag wurde der Bericht über die Verbrechen in der | |
[1][Diözese Freiburg] entsprechend aufgenommen. Wobei niemand mehr | |
schockiert sein kann angesichts dessen, was seit Jahren [2][aus | |
katholischen Bunkern ans Tageslicht kommt]. | |
Obwohl [3][Orgasmushilfe], Beziehungs- und | |
Geschlechteridentitätsprobleme inzwischen zum alltäglichen | |
Berichtsgegenstand gehören, hält ein großer Teil der katholischen Kirche | |
Sex immer noch für Schmuddelzeug. Dieses als Schmuddelkram tabuisierte | |
Verhältnis zum eigenen Körper bildet den kulturellen Hintergrund, vor dem | |
es innerhalb ihrer Reihen massenhaft zu sexualisierter Gewalt kam und diese | |
verharmlost, verdrängt und vertuscht wurde. | |
Nun, das Christentum hat sich mit der Abschiebung von Adam und Eva aus dem | |
Paradies einfach einen ziemlichen Klopper in die Wiege gelegt. | |
Jahrhundertelang wurde diese Grundlagengeschichte der christlichen Kultur | |
als Sündenfall interpretiert, als Zeichen dafür, dass Sex, also Lust, | |
körperliches Begehren, ein Verbrechen ist. Entsprechend modelliert wurde | |
dazu ein keuscher Gottessohn, eine jungfräuliche Gottesmutter und eine zur | |
Heiligen bekehrte Hure, der nachgesagt wird, sogar Jesus rumgekriegt zu | |
haben. | |
## Scham, Sterblichkeit, Enthaltsamkeit | |
Wie sich die katholische Körperphobie in der Kunst, die jahrhundertelang | |
von der Kirche abhängig war, niederschlug, ist das Thema einer gerade | |
laufenden Ausstellung im Freisinger Diözesanmuseum. [4][Unter dem Titel | |
„Verdammte Lust – Kirche. Körper. Kunst“] sieht sie Erzbischof Reinhard | |
Marx höchstpersönlich als „wichtigen Beitrag zur aktuellen Diskussion um | |
eine in weiten Kreisen als rigide empfundene Sexualmoral der katholischen | |
Kirche“. In Theologie, Predigt und pastoraler Praxis sei „in der | |
Vergangenheit oft ein sehr negatives Bild menschlicher Sexualität | |
gezeichnet, sie mit Schuld und Sünde beschwert worden, was zu Verdrängung | |
und Doppelmoral geführt habe. | |
„Die im Bild geführten Körperdiskurse sind von religiösen Ideen dominiert�… | |
heißt es im Begleitkatalog der Ausstellungsmacher. Jedoch seien diese dort | |
„oft nur vordergründig dogmatisch repräsentiert und bieten einen | |
Interpretationsfreiraum“. | |
Die meisten ausgestellten Objekte stammen aus dem Zeitraum zwischen | |
ausgehendem Mittelalter und 18. Jahrhundert und zeigen den männlichen Blick | |
auf die Geschlechter: viel Phallus, viele behängte Geschlechtsteile, viel | |
männliche Gewalt und weibliche Verführung. Thematisiert werden auf den | |
Gemälden und Skulpturen die Themen Scham, Sterblichkeit, Reinheit, | |
Enthaltsamkeit und Fruchtbarkeit. In acht Kapiteln wird der „schamlose“, | |
der „sündige“, der „sinnliche“, der „reine“, der „verbotene“, … | |
„erlaubte“ und der „verletzte“ Körper aus verschiedenen Perspektiven | |
betrachtet. | |
Man begegnet sehr vielen nackten Frauen, mal als Venus mal als | |
„schlummernde Quellnymphe“, mal als „entrückte“ oder „büßende“ M… | |
Magdalena, meist mit einem Hauch von Nichts bekleidet, ausnehmend lasziv, | |
verzückt, wunderschön. Sind die abgebildeten Frauen bekleidet, dann | |
meistens nur, wenn es sich um Jesu Mutter Maria handelt. | |
## Mönche, die auf nackte Hintern von Nonnen schlagen | |
Gezeigt wird also das von der Kirche propagierte Frauenbild, das nur | |
Heilige oder Hure kannte. Zu sehen sind Darstellungen sexualisierter Gewalt | |
aus dem 17. Jahrhundert: der Raub der Sabinerinnen, eine von Satyr bedrohte | |
Nymphe, eine von zwei Alten zum Geschlechtsverkehr genötigte Susanna und | |
Mönche, die auf nackte Hintern von Nonnen schlagen. | |
Unter den ausgestellten Werken sind aber auch so groteske wie die | |
Kupferstiche von Barthel Beham (Anfang 16. Jahrhundert), auf denen Gevatter | |
Tod feixend und mit steifem Glied zwischen dem nackten Adam und der nackten | |
Eva steht, die schamhaft ihre Hand vors Geschlecht hält. Botschaft: Sex | |
kills! | |
Am häufigsten begegnet man aber nackten Männern: vor allem Jesussen. An | |
Kreuze genagelt, nackt, mit knappem Höschen beziehungsweise fliehendem Tuch | |
ums Geschlecht. | |
Die beeindruckendsten Darstellungen sind die vom Heiligen Sebastian, einem | |
der ersten christlichen Märtyrer, der Legende nach Soldat unter Kaiser | |
Diocletian und von selbigem wegen der Verbreitung christlicher Propaganda | |
zum Tode durch Pfeilbeschuss verurteilt. Er wird immer attraktiv | |
dargestellt, mit gut gebautem Körper, reizendem Blick, an den Händen | |
gefesselt, manchmal hohe rote Stiefel tragend, das Geschlecht prächtig | |
ausgestellt oder anziehend bedeckt und immer androgyn. | |
Seit der Renaissance dient der Heilige Sebastian als homoerotische | |
Projektionsfläche, ist zur queeren Ikone geworden. So nannte sich | |
beispielsweise der Schriftsteller Oscar Wilde „Sebastian“, nachdem er zwei | |
Jahre lang wegen „homosexueller Unzucht“ im Gefängnis saß. Die | |
Darstellungen des Sebastian sind deswegen so aufschlussreich, weil sie | |
verdeutlichen, wie christliche Mythen Parallelmythen erzeugten und | |
kirchliche Propaganda subtil uminterpretiert wurde. | |
## Phallusse aus Marmor, Stein und Eisen | |
Das Highlight der Ausstellung hat ebenfalls mit queerer Ikonografie im | |
katholischen Kontext zu tun. Es ist die Zeichnung Leonardo da Vincis von | |
Angelo Incarnato, die zwischen 1513 und 1515 entstand und auf der die | |
abgebildete Person eindeutig uneindeutige, also hermaphroditische Züge | |
trägt. Dazu wird an einen Gedanken von Sigmund Freud erinnert, der in | |
Zeichnungen wie dieser die künstlerische Idee ausgedrückt sah, „erst die | |
Vereinigung von Männlichem und Weiblichem könne eine würdige Darstellung | |
göttlicher Vollkommenheit ergeben“. | |
Als Letztes wandert man noch an ein paar Phallussen aus Marmor, Stein und | |
Eisen vorbei und hat am Ende der Ausstellung das Gefühl, dass selbst die | |
zeitgenössische gegenwärtige Ikonografie der Geschlechter von Werbung bis | |
Pornografie noch heute an Posen orientiert ist, die seit Jahrhunderten | |
inszeniert werden. | |
Man könnte gegen die Ausstellung einwenden, dass der Kardinal, statt Kunst | |
aus dem Mittelalter zu zeigen, lieber dabei behilflich sein sollte, den | |
berühmten „Giftschrank“ zu suchen. Nach diesem fahndet die Münchner | |
Staatsanwaltschaft, weil dort Aufzeichnungen vermutet werden, die | |
Aufschluss über die Fälle sexualisierter Gewalt in der Diözese geben | |
könnten. | |
In diesem Zusammenhang wurde auch gegen den hier von 1977 bis 1982 | |
amtierenden Erzbischof und ehemaligen Papst Joseph Ratzinger wegen Beihilfe | |
zum Missbrauch ermittelt. Auch der amtierende Erzbischof Marx steht sowohl | |
in seiner früheren Funktion als Bischof von Trier als auch in seiner | |
jetzigen im Verdacht, die Aufklärung von Fällen sexualisierter Gewalt | |
behindert beziehungsweise sich dafür nicht persönlich eingesetzt zu haben. | |
Dennoch muss die aktuelle [5][Ausstellung mit ihrer Ausrichtung und an | |
diesem Ort als revolutionär gelten]. Denn in erster Linie wird hier | |
gezeigt, wie die Kirche über Jahrhunderte lang selbst daran gearbeitet hat, | |
ihre Monster zu erschaffen. Wie sie Geschlechterbilder transportiert hat, | |
die dazu führten, dass die Institution Kirche heute als quasi | |
unreformierbar gilt. Oder wie es Kardinal Marx im Jahr 2021 formulierte: | |
Die katholische Kirche sei an einem „toten Punkt“ angekommen. | |
20 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Missbrauchsgutachten-im-Bistum-Freiburg/!5928882 | |
[2] /Misshandlungen-in-der-Kinderverschickung/!5926733 | |
[3] /Vulvina-Erfinderin-Souzan-AlSabah/!5921895 | |
[4] https://www.dimu-freising.de/ausstellungen/aktuell/verdammte-lust | |
[5] /Neue-Kunst-im-Dioezesanmuseum/!5892400 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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