| # taz.de -- Skulpturen von Kiki Smith in München: Die Muskeln der Jungfrau Mar… | |
| > Körper, Frauen, Menschen: Das Haus der Kunst in München zeigt Werke der | |
| > US-amerikanischen Künstlerin Kiki Smith aus vier Jahrzehnten. | |
| Bild: „Lillith“, in talmudischer Überlieferung die erste Frau Adams, kauer… | |
| Ein Frauenkörper liegt auf dem Boden, eingerollt wie ein Embryo, | |
| blutüberströmt. „Blood Pool“ nannte Kiki Smith die Skulptur. Ihre | |
| provokanten und ehrlichen Darstellungen des Menschen charakterisieren mehr | |
| als vier Jahrzehnte des Künstlerischen Schaffens – jetzt sind sie zu sehen | |
| in der Ausstellung „Kiki Smith: Procession“ im Münchner Haus der Kunst. | |
| Das, was sich sonst meist im Inneren des Körpers befindet, hängt nun an der | |
| Wand, in Galerie 1, die Kiki Smith’ frühem Werk gewidmet ist. Darunter | |
| „Digestive System“, ein lebensgroßes Replikat des Verdauungstrakts, und | |
| „Womb“, eine Gebärmutter aus Bronze. Kein ästhetischer Ansatz wird hier | |
| verfolgt, sondern ein klinischer. Smith will die Aspekte des Körpers ans | |
| Tageslicht bringen, die normalerweise dem Blick verwehrt bleiben, und so | |
| das gesellschaftliche Unbehagen vor der funktionalen Seite des Menschen | |
| herausfordern – egal ob es für den durchschnittlichen Museumsbesucher dabei | |
| auch mal eklig werden kann. | |
| Sie zeigt, wie kulturelle Standards des Akzeptablen, Schönen oder Kranken | |
| am Körper ausgemacht und auf den Körper projiziert werden und wie der | |
| einzelne Mensch dabei im Zwiespalt zwischen eigener Identität und | |
| gesellschaftlichen Erwartungen zurückbleiben kann. | |
| Nicht einfach der Körper, sondern der weibliche Körper ist spätestens seit | |
| Mitte des letzten Jahrhunderts Bühne für die Austragung gesellschaftlicher, | |
| politischer und religiöser Debatten. Es ist also nicht zufällig, dass auch | |
| Kiki Smith sich speziell mit dem Frauenkörper beschäftigt. Die Künstlerin | |
| rückt die besonders tabuisierten Prozesse des weiblichen Körpers, wie die | |
| Menstruation, in den Fokus und bricht in ihren Darstellungen mit den | |
| Erwartungen des Betrachters beim Anblick eines nackten Frauenkörpers in der | |
| Öffentlichkeit. | |
| Auch bedient sich Smith immer wieder weiblicher Figuren aus biblischen und | |
| mythologischen Kontexten, die die widersprüchlichen und vieldeutigen Rollen | |
| der Frau in der Geschichtsschreibung verkörpern. „Lillith“, in talmudischer | |
| Überlieferung die erste Frau Adams, kauert nackt und kopfüber an der Wand | |
| von Galerie 4. Gewöhnlich als eine dämonische Kreatur interpretiert, kann | |
| sie bei Smith jedoch als Symbol für die lange Tradition der | |
| Hexenverfolgungen und Skepsis gegenüber ambitionierten Frauen gesehen | |
| werden. | |
| Im Zentrum von Galerie 1 befindet sich „Virgin Mary“, eine lebensgroße | |
| Frauenfigur aus Wachs in der Pose der Maria als Gnadenspenderin. Der Körper | |
| ist nicht nur nackt und haarlos, große Teile der Haut scheinen zu fehlen, | |
| sodass Muskeln und Sehnen sichtbar werden. Die Entblößung ihres Inneren | |
| verdeutlicht Marias vollständige Unterwerfung unter den Willen Gottes, | |
| während die Pose ihr eine eigene wichtige Rolle in den Narrativen der | |
| Erlösung einräumt. | |
| Auch wenn der Körper nach wie vor ein zentrales Element bleibt, ist in Kiki | |
| Smith’ künstlerischem Schaffen Ende der 90er Jahre ein neuer Fokus auf | |
| Tiere und Natur, Mythen und Märchen erkennbar. Ihr Stil wird poetischer und | |
| zarter, sie verwischt die Grenzen zwischen Mensch und Tier und verortet den | |
| Menschen als mystisches Konstrukt. | |
| Während ihr früheres Werk die Organe umfasste, die Leben erhalten, sind nun | |
| existenzielle Themen wie Tod und Vergänglichkeit wichtige Motive. Ihre | |
| neueren Werke sollten jedoch nicht als unpolitisch missverstanden werden – | |
| Smith plädiert beispielsweise für mehr Respekt vor der Natur. Deutlich | |
| macht das die Installation „Jersey Crows“, mit der Smith an Pestiziden | |
| verendeten Krähen ein Denkmal setzten will. | |
| Tote lebensgroße Krähen aus Metall liegen wie auf einem Schlachtfeld auf | |
| dem gesamten Boden verstreut, der Besucher läuft zwischen ihnen hindurch | |
| und über sie hinweg. Ihre traditionelle Symbolik der Bedrohung und Warnung | |
| wurde von der Künstlerin in ein Sinnbild für die Zerstörung der Umwelt | |
| durch den Menschen weiterentwickelt. | |
| „Kiki Smith: Procession“ ist eine Ausstellung, die für sich selbst spricht, | |
| ohne offensichtlich zu werden. Die Künstlerin zeigt den Menschen auf | |
| vielschichtige Weise und bietet dem Betrachter die Möglichkeit, eine | |
| eigene Lesart ihrer Werke zu finden. | |
| 27 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Luise Glum | |
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