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# taz.de -- Doppelausstellung in Hamburg: Gespinst und Serie
> Die Kunsthalle Hamburg zeigt Werke von Eva Hesse und Gego – zwei
> jüdischen, vor den Nazis emigrierten Künstlerinnen.
Bild: Gego während der Installation von „Reticulárea“. Museo de Bellas Ar…
„Skulptur: aus festen Stoffen körperhafte Gebilde. So etwas mache ich nie!“
Dieser Satz ist symptomatisch für die jüdische Künstlerin Gertrud
Goldschmidt, die 1939 aus Hamburg nach Caracas floh und in Venezuela zu den
wichtigsten Künstlerinnen ihrer Zeit avancierte.
Sie starb 1994 und ist hierzulande immer noch kaum bekannt. Deshalb hat ihr
die Hamburger Kunsthalle – zusammen mit der Hamburger Jüdin Eva Hesse, die
gleichfalls vor den Nazis floh – eine Doppelausstellung gewidmet, und das
Konzept geht auf: Es vereint zwei Künstlerinnen, die die Skulptur neu
erfanden und sehr eigenwillige Ideen von deren Volumen entwickelten.
Da wäre einmal Gertrud Goldschmidt, die sich nach einem Kindheits-Kosenamen
Gego nannte. Sie studierte zunächst Architektur und kam erst mit 41 zur
Kunst. Zentrales Thema wurde schnell die Linie, die Gego aus ihrer
dienenden Funktion befreien wollte. „Autobiographie einer Linie“ heißt
deshalb ein frühes Buch, in dem eine Linie – gedreht, gestaucht, gedehnt –
auf ewig fortgeschrieben wird.
Später verband Gego Linien zu geometrischen Formen, schuf Muster, die wie
gekrümmter Raum aussehen. Dort kam Gego auch bald an: Zunächst ragen sie
noch etwas starr in die Luft, die zu Drähten mutierten Parallel-Linien. Ab
1969 begann sie aber ihre „Reticularea“-Netze zu flechten, bestehend meist
aus Dreiecken, die zu multipel verflochtenen Drahtkonstruktionen wurden.
## Ihre Bichotos, also Viecher
Gego war handwerklich geschickt, und dieses intuitive Flechten, für das sie
nie Vorzeichnungen machte, gefiel ihr, weil sie so quasi live Leben
erschuf. Tatsächlich hat sie ihre späten Skulpturen „Bichitos“ – Vieche…
genannt.
Aber es ging nicht nur ums Handwerk. Denn diese Netze mit ihren
unregelmäßigen Löchern umfassen den Raum, definieren ihn für eine Weile,
spielen mit der Leere. Da werden kugelförmige Gebilde verbunden, und innen
wachsen neue, als gäbe es eine Zellteilung im Atom.
In der Tat simulieren diese Gespinste die stetige Veränderung auf der
molekularen Ebene, aber diese Bewegung ist fein und drängt sich nicht auf.
Deshalb wollte Gego auch nie kinetische Künstlerin sein, obwohl sie den
venezolanischen Cinetismo von Alejandro Otero und Jesús Rafael Soto ja
kannte.
Aber Gego ist moderner, auch in ihrem Interaktionsangebot, denn man kann
durch ihre Werke hindurchgehen und Teil der Performance sein. Zudem sind
ihre Arbeiten mit ihren Unregelmäßigkeiten frei von konzeptueller Strenge
und der zugehörigen Hierarchie: Die geodätischen, aus gleichberechtigten
Vernetzungen geformten Kuppeln Richard Buckminster Fullers hat Gego sehr
geschätzt – und damit das, was Gilles Deleuze und Félix Guattari als Rhizom
bezeichnen: eine nichthierarchische Querverbindungsstruktur.
## Der innere Kreis
Die aber stand bei Gego für mehr, wie sie schrieb: „Mit jeder Linie, die
ich zeichne, warten Hunderte weitere darauf, gezeichnet zu werden. Das ist
der mit einem Ring umgebene Kreis des Wissens, man dehnt den inneren Kreis
aus, und der äußere wächst ins Endlose.“
Ins Endlose wuchs auch das Spektrum ihres Materials: Für ihre späten
Skulpturen – jene „Bichitos“ – verwandte sie nicht mehr Draht, sondern
alles, was sie fand: Plastiknetze, Eisen, Kupfer – eine Readymade-Methode,
mit der sie industriellem Material Leben einhauchte.
Mit noch künstlicherem Material hat die zweite in Hamburg gezeigte
Künstlerin gearbeitet. Eva Hesse, die 1970 mit 34 Jahren starb, lebte –
abgesehen von einem Stipendiatenjahr in Deutschland – in den USA und schuf
als erste Skulpturen aus Polyester, Glasfaser und Latex. Eine Reihe
glasartiger Behälter namens „Repetition Nineteen“ wurde in Hamburg auf ein
weißes Bodenkarree gesetzt, als handle es sich um Funde aus der Römerzeit.
Die Objekte sind transparent, und eigentlich dürften sie so perfekt nicht
aussehen: Mühsam ist hier restauriert worden, womöglich gegen Hesses
Willen. Die hatte ja bewusst vergängliche Stoffe gewählt – und das
ausgerechnet für scheinbar streng serielle Arbeiten. Aber der Widerspruch
war gewollt. Hesse war zwar vom Serialismus eines Sol LeWitt beeinflusst
und schätzte auch manche Minimalisten. Aber deren Sterilität, das
Diktatorisch-Normative ewig gleicher Serien mochte sie nicht.
## Hesse hatte Humor
Das unterlief sie nicht nur mit ihrem Material, sondern durchs Spiel mit
der Illusion: Ihre „Gläser“ und Polyester-Schachteln sind ähnlich, aber
nicht identisch. Und wenn sie identisch zu werden drohten, beulte sie sie
aus. Denn Hesse hatte Humor und glaubte einerseits, dass Wiederholung
Absurdität anzeige.
Andererseits wusste sie, dass exakt Identisches in der Natur nicht
existiert und der Grat zwischen organischem und künstlichem Material schmal
ist: Da liegen Objekte, die wie Moosteppiche aussehen, aber es ist
latexbeschichtete Leinwand.
Zugleich hat Hesses Trompe-l’OEil eine zeitliche Dimension: Der scheinbar
gleiche Abstand zwischen den Halbkugeln in „Addendum“ vergrößert sich in
Wahrheit in mathematisch exakter Weise. Man denkt an die Zahl Pi, die immer
noch nicht fertig ausgerechnet ist. Hesses Serien – eine Anspielung auf die
ewige Ausdehnung auch des Universums?
Wenn man es zu Ende denkt, liegen Hesse und Gego gar nicht so weit
auseinander in ihrem Rekurs auf die in Distanz, Form und Ausdehnung
mäandernde Welt. Der Kniff, nur scheinbare Regelmäßigkeit zu bieten, zeigt
zudem ihren erkenntnistheroretischen Ansatz. Denn Berechenbarkeit ist
Illusion. Und die Serie ist gar keine.
12 Dec 2013
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Ausstellung
Hamburg
Künstlerin
Exil
Haus der Kunst München
Kunsthalle Hamburg
Fotografie
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