| # taz.de -- Hamburger Hommage an Leonore Mau: Magische Kamera | |
| > Die Deichtorhallen ehren die kürzlich verstorbene Fotografin Leonore Mau | |
| > mit ihren Bildern der Geheimkulte und Synkretismen Afrikas und | |
| > Südamerikas. | |
| Bild: Leonore Mau, Trance, Haiti 1972 | |
| „Die Rituale der katholischen Nonnen-Ordination haben mich schon als Kind | |
| fasziniert.“ Später hat Leonore Mau extremere Rituale fotografiert: Voodoo | |
| in Haiti, Santería auf Kuba, Macumba und Candomblé in Brasilien. | |
| Einweihungen mit Tierblut, Trancen und Besessenheit durch Gottheiten waren | |
| das – alles nicht für Außenstehende gedacht. Erst recht nicht für eine | |
| neugierige Europäerin mit Kamera. | |
| Aber Leonore Mau hat es geschafft, da hineinzukommen. Und da sie am 22. | |
| September 2013 mit 97 Jahren in Hamburg starb, haben ihr die Deichtorhallen | |
| zeitnah eine Hommage mit ihren Porträts gewidmet, die von | |
| Ingeborg-Bachmann-Bildnissen bis zum Karneval in Haiti reichen. Mau war | |
| nämlich Lebensgefährtin des experimentellen Schriftstellers Hubert Fichte, | |
| der Romane wie „Versuch über die Pubertät“, „Die Palette“ und “Gesc… | |
| der Empfindlichkeit“ schrieb, offen über seine Homosexualität sprach und | |
| schon in den 1970er Jahren afrikanische und südamerikanische Kulte | |
| erforschte. | |
| Leonore Mau verband sich als 46-Jährige mit dem damals 27-Jährigen, der | |
| sich als „Ethnopoet“ verstand. Sie waren bis zu Fichtes Tod 1986 auch | |
| künstlerisch ein gutes Paar und gaben mit „Xango“ und „Petersilie“ | |
| Text-Bild-Bände über die bereisten Regionen heraus, die sich aber schlecht | |
| verkauften. Zu Unrecht, denn diese Bücher drangen tief ins Innenleben | |
| geheimer Kulte ein. | |
| ## Ethnopoetische Gratwanderung | |
| Dass es eine Gratwanderung war, wusste Fichte, der gern Geheimnisträger wie | |
| Priester interviewte: Man wandere stets auf dem Grat zu Kolonialismus und | |
| Ausbeutertum, fand er. Folglich brachte er seinen Output nicht in eine | |
| wissenschaftlich korrekte, aber einengende Systematik ein, sondern in | |
| Ethnopoesie, die die Grenze zwischen Forscher und Objekt aufhob. | |
| Für Leonore Mau, mit dem indiskreten Genre „Foto“ unterwegs, war diese | |
| Osmose komplizierter, aber sie gelang: Der venezolanische | |
| Maria-Lionza-Priester mit blutendem Huhn auf dem Kopf und die | |
| brasilianische Condomblé-Priesterin, die Punkte auf einen Körper tupft: Sie | |
| sind hochkonzentriert arbeitende Menschen, die eine genauso wichtige | |
| Tätigkeit verrichten wie andere Werktätige. | |
| Auch die Authentizität des vom Schlangengott Besessenen und der | |
| Macumba-Frauen in Trance hat Mau nie bezweifelt. Ihre Fotos atmen eine | |
| dezente Ehrfurcht, aber auf Distanz. Einmal allerdings nahm Mau ohne Kamera | |
| an einer Voodoo-Zeremonie teil und wurde ohnmächtig. „Mit Kamera wäre mir | |
| das nie passiert“, sagte sie später. „Da ist man so wach.“ | |
| ## Gott Eschu bespuckt die Foografin mit Bier | |
| Die Gefahr des Eingesogenwerdens, des In-einen-Kult-Hineingeweihtwerdens | |
| war also da. Vielleicht hat es auch stattgefunden, Mau sprach nie darüber. | |
| Fichte schon – im Roman „Hotel Garni“ zum Beispiel, mithilfe der Alter Eg… | |
| Jäcki und Irmi sowie in Versen. „Eine Fotografin wird von dem Gott Eschu | |
| mit Bier bespuckt“, schreibt er. „Eine Fotografin wird Teil der Zeremonie.�… | |
| Mau habe „die ganze Geschichte in einer Tausendstelsekunde“ erfasst, | |
| schrieb Fichte, und das heißt auch: Diese Bilder können nicht vorab | |
| konzipierte oder gar gestellte Kunstwerke sein, sondern eher „Work in | |
| Progress“. Was hat Mau den Leuten erzählt, um fotografieren zu dürfen? | |
| Vermutlich haben die Priester der Kamera irgendwann eine Magie | |
| zugeschrieben, die stärker wog als das Bilderverbot. | |
| Tatsache ist jedenfalls, dass Voodoo-Priester in einer New Yorker Schau | |
| kleine Zauber vor Maus Fotos vollzogen, um sie vor dem Blick der Europäer | |
| zu schützen. Fichte beneidete Mau darum, dass sie „schwarz geworden“ war | |
| und es geschafft hatte, von Afrikanern geliebt zu werden. | |
| Fichtes Texte brachten es nie zu einer schwarzen Leserschaft. Wohl aber zu | |
| exklusivem Vertrauen: Kaum jemandem sonst haben afrikanische Psychiater so | |
| ausführlich von ihrem Lavieren zwischen West-Medizin und Kult erzählt. Und | |
| nur Leonore Mau hat damals die togoischen Dörfer, in denen Geisteskranke | |
| und Pfleger lebten, fotografiert. | |
| ## Der World-Press-Preis 1975 | |
| Eins davon hängt in der Hamburger Schau: Der „Junge mit Blister-Maske aus | |
| Benin“. Er hat eine Aluminium-Tablettenpackung als Brille vors Gesicht | |
| gehängt. Für dieses Foto hat Mau 1975 den World-Press-Preis bekommen, und | |
| zum Titel der Hamburger Schau passt es perfekt. Denn die Janusköpfigkeit | |
| westlicher Medizin kann man gut als „Zweites Gesicht“ deuten, ist sie doch | |
| ein später Ausfluss des Kolonialismus. | |
| Dieses Politikum betrifft fast alle von Fichte und Mau erforschten | |
| Religionen: Die meisten sind synkretistisch, vereinen Katholizismus und | |
| Kult, weil die missionierten Sklaven ihre Riten – teils mit Billigung der | |
| Missionare, die gute Konversionszahlen brauchten – beibehielten. Im Voodoo | |
| etwa verkörpern die Bildnisse katholischer Heiliger zugleich afrikanische | |
| Geistwesen. Und der Obatalá-Gott der kubanischen Santería ist identisch mit | |
| Jesus Christus. Ein guter Kompromiss für die Menschen, für die Tradition | |
| bis heute Identität bedeutet. | |
| Das ist auch das Fazit, das die Mau-Ausstellung in Hamburg nahelegt: Kulte | |
| – auch deren formale Strenge – als stabilisierenden Akt zu betrachten, der | |
| sich in Teilen auch im Westen findet. Pina Bausch, erzählt Mau in einem | |
| Film, habe sie einmal gefragt, wie sie die Vorstellung fand. „Ich kam mir | |
| vor wie beim Voodoo“, habe Mau geantwortet. „Diese Riten sind auch sehr | |
| streng choreographiert.“ Pina Bausch habe das gefallen. | |
| ## ■ Bis 23. 3. 2014, Hamburg, Deichtorhallen. Ausstellungsbroschüre, ca. | |
| 20 Seiten, 2 Euro | |
| 20 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| ## TAGS | |
| Fotografie | |
| Soziale Brennpunkte | |
| Deutsches Schauspielhaus | |
| Ausstellung | |
| Rote Armee Fraktion / RAF | |
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