# taz.de -- Soziale Brennpunkte im Kamerafokus: Eine Welt, die es gar nicht gibt | |
> Niemals voyeuristisch, sondern würdevoll: Die Hamburger Fotografin | |
> Leonore Mau hat soziale Brennpunkte und afroamerikanische Riten | |
> fotografiert Ihre Bilder wirken dabei niemals voyeuristisch, sondern | |
> würdevoll | |
Bild: Leonore Mau 1962: Selbstporträt mit Leica | |
HAMBURG taz | Eine schwarze Frau in gelbgepunkteter Bluse mit weißer Jacke | |
und rotem Turban trägt in einer polierten Kupferschale den abgetrennten | |
Kopf eines Ziegenbocks: Es ist das Porträt von „Mother Darling“, einer | |
Priesterin eines afroamerikanischen Kults. Aufgenommen wurde es 1974 auf | |
der Karibikinsel Trinidad von der Hamburgerin Leonore Mau. Zu ihrem 100. | |
Geburtstag ist der Fotografin nun in ihrer Heimatstadt eine Ausstellung | |
gewidmet. Und die bringt bis April exotische Fotografien unter das Dach des | |
ehemaligen Landsitzes des Hamburger Senators Martin Johann Jenisch. Der | |
Untertitel dazu lautet: „Von Hamburg in die Welt“. | |
Das erinnert an die legendäre, jahrzehntelang vom NDR ausgestrahlte Sendung | |
„Von Hamburg nach Haiti“, die am Sonntagmorgen Fernweh weckte. Tatsächlich | |
war es immer der Wunsch von Leonore Mau zu reisen. Und als Fotografin | |
konnte sie dies zusammen mit dem poetischen Ethnographen Hubert Fichte auch | |
ausleben – sie waren monatelang in Afrika, Brasilien oder der Karibik | |
unterwegs. | |
Aber das war erst in der zweiten Hälfte ihres 97-jährigen Lebens. Denn die | |
mit einem Architekten verheiratete Mutter zweier Kinder begann erst mit 34 | |
Jahren professionell zu fotografieren – zuerst machte sie | |
Architekturaufnahmen für Hochglanzmagazine und dokumentierte den sozialen | |
Wohnungsbau zwischen Aufbruch und Tristesse im Hamburg der 60er-Jahre. | |
Aber als sie bei der Arbeit im Reeperbahn-Milieu den jungen Hubert Fichte | |
kennenlernte, änderte sie ihr Leben radikal: Sie verließ 1962 ihre Familie | |
und teilte danach das Leben mit dem 19 Jahre jüngeren Schriftsteller, der | |
durch den St.-Pauli-Roman „Palette“ bekannt geworden war. | |
Doppelte Exotik aus ferner Fremde und vergangener Zeit | |
Vor einem knappen halben Jahrhundert waren Reisen meist beschwerlicher als | |
heute. Man fuhr mit dem Schiff nach Lissabon oder hatte Schwierigkeiten, | |
ohne Pass nach Paris zu kommen. Was hier in der Ausstellung vom Tagesablauf | |
eines „Unständigen Hafenarbeiters“, über afrikanisches Leben in Paris oder | |
synkretistische Kulten in Bahia zu sehen ist, hat inzwischen eine doppelte | |
Exotik: die der fernen Fremde und die einer anderen Zeit. | |
Dabei zeigen sich wahrlich nicht die Klischees der Reiseprospekte. Im | |
Gegenteil: Im ethnographischen Blick auf soziale Brennpunkte und | |
afroamerikanische Riten ist auch eine Stimmung zu spüren, die der | |
Anthropologe Claude Lévi-Strauss im Titel seines Textes über seine | |
Brasilienreise 1955 als „Traurige Tropen“ bezeichnete. | |
Die aufgereihten Tierköpfe und Skelette auf dem Zaubermarkt in Bé bei Lomé | |
in Togo lassen die Besessenheit erahnen, die in machtvollen nächtlichen | |
Voodoozeremonien ausgelebt wird. Das für solche Rituale notwendige | |
Blutopfer wird aber noch seltsamer, wenn es in doppelter Diaspora der | |
kubanisch-afrikanischen Santeria nun in sauber gekachelten Zimmern im Exil | |
in Miami oder New York vorgeführt wird. Das andere ist schon damals nicht | |
mehr allein in fernen Kontinenten zu suchen. | |
Schon 1967 und wieder in den Achtzigern zeigt Leonore Mau das | |
multikulturelle Leben in den Großstädten, vor allem in Paris anhand der | |
Menschen aus den früheren französischen Kolonien. Immer wahren ihre Bilder | |
dabei die Würde ihrer Bildsubjekte. Sie wirken niemals voyeuristisch noch | |
behaupten sie eine falsche Nähe, egal, wo in der sich nur mühsam als global | |
begreifenden Welt sie gemacht wurden: weder in der Pariser Metro noch an | |
heiligen Dschungelplätzen und nicht einmal, wenn Leonore Mau tagelang bis | |
zur Trance ein Ritual selbst mitgemacht hat. | |
Gemeinsame Welterkundung von Fotografin und Schriftsteller | |
Aber was sie mit der Leica dabei einfängt, ist eine Welt, die es gar nicht | |
gibt. Eine Welt, die es nur einmal gab – im Augenblick des Kameraklicks. Es | |
ist erst der Text, der all dies in Beziehung setzt, es bedeutend machen und | |
verallgemeinern kann. Obgleich sie selbst fünf Sprachen sprach, sagte sie | |
wenig zu ihren Fotos. Ihre Bildsprache wird vor allem ergänzt durch die | |
Worte des literarischen Forschers und Lebensgefährten Hubert Fichte. | |
Ein weiterer wichtiger Kontext sind die Texte in den großen Magazinen, in | |
denen Literatur und Bild zur Reportage zusammenschnurren. Wie das dann | |
gedruckt in Spiegel und Stern aussieht, ist auch im Jenisch-Haus in | |
Vitrinen zu sehen. | |
Die gemeinsame Welterkundung von Fotografin und Schriftsteller ist so | |
zentral für beider Werk, dass es schwer fällt, sich auf einzelne Fotos als | |
autonome Kunst einzulassen. Es wird deutlich, wie wichtig und sinnstiftend | |
die Bildserie und das Archiv sind und welch gutes Medium das Fotobuch ist, | |
wie es sich in den leider längst vergriffenen Büchern „Xango“ von 1976 od… | |
„Petersilie“ von 1980 zeigt. | |
Das Archiv wieder aufzuschlüsseln, testet die Ausstellung mit einer neu | |
zusammengestellten Wand von Bildern zu Graffiti und Wandmalerei aus | |
Ägypten, Bahrein, Chile, New York, Rom und Wuppertal. | |
Doch vielleicht ist mehr noch als eine Ausstellung der Film in seiner | |
Kombination von Sprache und Bild ein angemessenes Medium für diese | |
Bild-Welt-Forschung. Das meint nicht nur die vier hier in kleinem Format | |
gezeigten, zwischen 1968 und 1971 erstellten Fotofilme des Künstlerpaars | |
über den Hamburger Hafen, portugiesische Fischer, die Spanische Treppe in | |
Rom und das Leben im marokkanischen Agadir, sondern auch den ausführlichen | |
Dokumentarfilm von Nathalie David über die 2013 gestorbene Mau. | |
Von der Hamburger Regisseurin auf die Schwierigkeiten angesprochen, denen | |
sie aufgrund ihrer Entscheidung für Hubert Fichte und überhaupt bei der | |
Fotoarbeit in der ganzen Welt ausgesetzt war, antwortet Mau mit entwaffnend | |
schlichter Altersweisheit: „So ist die Welt – und wenn man es nicht | |
aushält, darf man es nicht machen.“ | |
„Die Fotografin Leonore Mau. Von Hamburg in die Welt“: bis 23. April, | |
Jenisch-Haus, Baron-Voght-Straße 50. Infos unter: www.jenisch-haus.de | |
31 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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