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# taz.de -- Weibliche Kunst als Selbstinszenierung: Kaugummimuschis wie Furunkel
> Die Hamburger Kunsthalle zeigt die Arbeiten feministischer Künstlerinnen
> der 70er Jahre. Der Körper ist ihr Schlachtfeld.
Bild: Feministische Kunst an der Leine: Die Arbeit "Waschtag" von Renate Bertlm…
HAMBURG taz | Der Kunstbetrieb ist nach wie vor männlich dominiert. Wie
sollte er als Teil einer männlich dominierten Gesellschaft auch anders
sein? Ähnlich sieht es in der Kunstgeschichte aus. Noch 2003 sollte eine
Werkschau der großen österreichischen Medienkünstlerin Valie Export in der
progressiven Berliner NGBK ins Treppenhaus abgeschoben werden.
2006 hatte die Malerin Sibylle Zeh in einer aktuellen Ausgabe von Reclams
Künstlerlexikon sämtliche Artikel zu männlichen Künstlern mit weißer Farbe
übertüncht. Übrig blieb ein leeres Buch mit nur wenigen Einträgen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich einiges zum Besseren verändert.
Künstlerinnen sind um einiges sichtbarer geworden. Selbst die letzte
Ausgabe der documenta zeigte – unter der Leitung einer Direktorin – einen
großen Anteil an Künstlerinnen.
Zu verdanken ist diese Entwicklung nicht zuletzt einer überaus engagierten
feministischen Bewegung, die es in den 1970er-Jahren auch in der Kunstszene
gab – womit wir wieder bei der Kunstgeschichtsschreibung wären.
Denn jede noch so interessante künstlerische Aktivität geht schließlich
verloren, wenn man sie nicht in öffentlichen Sammlungen bewahrt und durch
Forschung, Publikationen und Ausstellungen für ihr Andenken Sorge trägt.
Seit 2004 kümmert sich die Kuratorin Gabriele Schor um feministische Kunst
der 1970er-Jahre. Sie betreut die Sammlung der österreichischen
Energiefirma Verbund. Die Besonderheit besteht nicht darin, dass eine Firma
in eine eigene Kunstsammlung investiert – nahezu jedes große Unternehmen
sammelt Kunst.
Die Deutsche Bank sammelt Minimal Art, die Sparkasse Stade Farbfeldmalerei.
Besonders ist die Ernsthaftigkeit der wissenschaftlichen Aufarbeitung des
Materials. Es ist ein seltenes Beispiel inhaltlichen Sammelns.
Die [1][Hamburger Kunsthalle] zeigt nun eine Auswahl der in den vergangenen
Jahren von Schor zusammengetragenen Kunstwerke. Zu sehen sind Arbeiten von
34 internationalen Künstlerinnen. In den Sammlungen der großen Museen sind
die wenigsten davon vertreten. Cindy Sherman mag da eine Ausnahme sein.
Wobei der Schwerpunkt hier auf ihrem Frühwerk liegt. Teil der Sammlung und
in Hamburg zu sehen ist etwa die Fotoserie „Bus Riders II“ von 1975.
Die Fotokünstlerin dekliniert mit dem eigenen Körper und etwas Verkleidung
die Passagiere eines Stadtbusses durch: weiße Busfahrer und Businessmen,
farbige Hipsterjungs und mädchen, alte Frauen unterschiedlicher Hautfarbe.
Die meisten anderen in der Sammlung vertretenen Künstlerinnen sind weit
weniger bekannt, wenn man sie kennt, dann aus der Literatur, seltener aus
dem Museum. So wie Lynda Benglis, Hannah Wilke und Ana Mendieta. Ganz
anders übrigens deren Lebensgefährten: Die Werke der Künstler Robert
Morris, Claes Oldenburg und Carl André sind in allen wichtigen Museen zu
sehen.
Manchmal manifestiert sich das Machtverhältnis ganz unmittelbar: Ana
Mendieta wurde 1985 von Carl André in Greenwich Village aus dem Fenster
geworfen. Sie starb, er wurde nicht verurteilt.
Viele der in Hamburg ausgestellten Arbeiten handeln wie Shermans „Bus
Riders II“ von Selbstinszenierungen und Rollenspielen. Es sind Strategien
der Selbstbestimmung über das eigene Bild, den eigenen Körper – schließlich
die eigene Position innerhalb der Gesellschaft.
Tatsächlich ist es zunächst stets der Körper, auf den patriarchale
Herrschaft zugreift. Selbstinszenierungen wie bei Sherman stellen den
Versuch dar, sich diesem Zugriff zu entziehen.
Auch im Werk der bereits genannten Lynda Benglis ist die Selbstinszenierung
wichtig. Ihre Arbeiten sind ebenfalls in Hamburg zu sehen. 1974 provozierte
sie mit einer doppelseitigen Anzeige im amerikanischen Kunstmagazin
Artforum International einen Eklat.
Dieses brachte einen längeren Beitrag über Benglis. Zur Illustration schlug
die Künstlerin eine Fotografie vor, auf der sie nackt und nur mit einer
Sonnenbrille bekleidet posiert und einen doppelseitigen Dildo zwischen
ihren Beinen hält. Die Aufregung war selbst im eher aufgeklärten
Kunstmilieu groß. Die gesamte Redaktionsspitze trat daraufhin zurück.
Den Doppeldildo produzierte sie daraufhin in einer kleinen Auflage als
Bronzeobjekt. Die heterosexuelle Künstlerin bestimmt in diesem Bild ihre
sexuelle Identität vollkommen neu, indem sie sowohl von dem ihr zugedachten
Körper als auch von der sexuellen Orientierung abweicht.
Ausgestellt ist die aufgeschlagene Ausgabe der Kunstzeitschrift – wenig
mehr. Es ist auffällig, wie wenig Materialschlacht hier betrieben wird.
Ganz anders als bei den männlichen Kollegen, die mit dem Gestus des Genies
Farbe auf große Leinwände auftrugen und Skulpturen aus schweren Materialien
schufen.
Hannah Wilke arbeitet neben ihren Performances auch mit bildhauerischen
Mitteln. Aus Textilien und Kaugummi formt sie organische, oft an Vaginas
erinnernde Objekte. Mit den kleinen Kaugummimuschis beklebt sie manchmal
den eigenen Körper oder ihr Gesicht. Das Geschlecht wird zum Makel gemacht
und als solcher erfahren.
Gina Pane hat in ihrer Arbeit „Le Lait Chaud“ von 1972 ihre Haut an
verschiedenen Stellen mit einer Rasierklinge bearbeitet. Ihr weißer Anzug
färbt sich rot. Die Bilder sind nahe dran an einer Art Hypostasierung von
Schmerz und Leid.
Die Künstlerin tut ihrem Körper jedoch etwas an, was der männliche Blick
nicht vorsieht. Und so wird die Selbstverletzung zur Notwendigkeit oder
Notwehr. Wenn Pane mit der Klinge über ihre Wange fährt, ist es eine Art
negativen Schminkens. Der Körper bleibt auch hier das Schlachtfeld.
## Die Ausstellung „Feministische Avantgarde der 70er Jahre“ ist noch bis
zum 31. Mai in der Hamburger Kunsthalle zu sehen
28 Apr 2015
## LINKS
[1] http://www.hamburger-kunsthalle.de/index.php/feministische-avantgarde-der-1…
## AUTOREN
Radek Krolczyk
## TAGS
Ausstellung
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