| # taz.de -- Hass auf Performance-Künstlerin: Als Microsoft einknickte | |
| > Die Performance-Künstlerin Marina Abramović wird von Rechtsradikalen als | |
| > Satanistin diffamiert und bedroht. Nun wehrt sie sich öffentlich. | |
| Bild: Die Performance-Künstlerin Marina Abramović | |
| Wie kaum eine Künstlerin ihrer Generation macht sich Marina Abramović die | |
| Digitalisierung zu eigen: In Apps und Mixed-Reality-Experimenten überwindet | |
| sie Kategorien von Raum und Zeit. So wird sie etwa in ihrer jüngsten Arbeit | |
| „The Life“ als Hologramm in einem Galerieraum sichtbar. Durch Datenbrille | |
| und Virtual Reality findet sie einen Weg, ihr Lebenswerk als | |
| Performancekünstlerin nicht auf ihre Existenz zu begrenzen und [1][ihre | |
| epochemachende Arbeit „The Artist is present“ (2010)] durch technische | |
| Mittel für die Nachwelt zu erhalten. | |
| Während die in Belgrad geborene Performerin früher Themen wie Liebe, | |
| Abscheu und Schmerz künstlerisch aufgegriffen hat, steht hier die | |
| Endlichkeit des Lebens buchstäblich im Raum. Am 10. April nun | |
| veröffentlichte Microsoft einen 19-minütigen Promotion-Clip für das im | |
| Projekt genutzte Headseat HoloLens2 und löschte ihn dann auch gleich wieder | |
| im Youtube-Kanal der Firma – nach 24.000 Dislikes. Gepostet hatte Microsoft | |
| das Video, um die Nähe des Konzerns zur Kunst zu spiegeln und die | |
| innovative Digital-Performance aus Imagegründen zu feiern. | |
| Der digitale Massenangriff auf ihre Kunst und der überraschende Rückzieher | |
| des Megakonzerns waren jetzt Grund für Abramović, sich erstmals an die | |
| Öffentlichkeit zu wenden. [2][Sie müsse ihr Herz öffnen, sagt sie gegenüber | |
| der New York Times (NYT]). „Ich möchte diese Leute wirklich fragen: Könnt | |
| ihr bitte damit aufhören, mich zu belästigen?“, schreibt sie. „Könnt ihr | |
| nicht sehen, dass das die Kunst ist, die ich die vergangenen 50 Jahre | |
| meines Lebens gemacht habe?“ Bis zu drei Todesdrohungen erhalte sie pro | |
| Tag. | |
| „Ihr“, das sind Rechtsradikale, die Abramović als Satanistin abstempeln und | |
| sie seit Jahren in sozialen Medien diffamieren. So waren die Dislikes nach | |
| Medienangaben die direkte Folge davon, dass der rechtsextreme US-Blog | |
| Infowars auf den Clip hinwies und ihn mit [3][„Spirit Cooking“ in | |
| Verbindung] brachte: Vor vier Jahren, während des US-Wahlkampfs, | |
| verabredete Marina Abramović ein „Geisterkochen“ mit Hillary Clintons | |
| Ex-Wahlkampfmanager John Podesta, mit dessen Bruder, einem Kunsthändler, | |
| sie befreundet ist. | |
| Bei der Performance, uraufgeführt in einer italienischen Galerie, schrieb | |
| die Künstlerin mit Schweineblut Anweisungen wie „with a sharp knife cut | |
| deeply into the middle finger of your left hand eat the pain“ an die Wand | |
| und kochte für die Gäste. In Mails verabredeten Podesta und Abramović eine | |
| mögliche Wiederholung mit Clinton-Anhängern. | |
| ## Gerüchte gestreut | |
| Diese Korrespondenz kochten Verschwörungstheoretiker zur „Pizzagate-Affäre�… | |
| hoch – Gerüchten, die Ende 2016 laut wurden und Hillary Clinton | |
| bezichtigten, gemeinsam mit ihren Wahlkampfmanagern im Keller einer | |
| Pizzeria in Washington einen Kinderpornoring zu betreiben, zu dem Abramović | |
| als wichtige Strippenzieherin beitrage. | |
| Dass Abramović einen großen Freundeskreis unter Prominenten hat – sie | |
| unterrichtete etwa [4][Lady Gaga in Performance-Kunst] – und mit großen | |
| Firmen kooperiert, macht sie nur noch mehr zur Zielscheibe von rechten | |
| Hatern. Jäh wurden auch andere Kunstwerke der Performerin in | |
| Satanismus-Verdacht gezogen: Auf der Biennale von Venedig 1997 schrubbte | |
| sie in „Balkan Baroque“ einen Haufen Rinderknochen. Das Kunstwerk sollte | |
| auf das Blut hinweisen, das in Exjugoslawien während des Balkankriegs | |
| geflossen ist und von dem sich die Verantwortlichen niemals reinwaschen | |
| können. | |
| Heute, sagt Abramović im NYT-Interview, habe sie Angst, „dass irgendwann | |
| ein Wahnsinniger mit einem Gewehr auftaucht und mich erschießt, weil er | |
| denkt, dass ich Satanistin sei“. | |
| Gerade Angst ist ein Wort, das Abramović sicher nicht leichtfertig in den | |
| Mund nimmt. 1974 legte sie in ihrer Performance „Rhythm 0“ selbst eine | |
| geladene Pistole – und 71 andere Gegenstände, teils Folterwerkzeuge – auf | |
| einen Tisch und forderte ihr Publikum auf, mit ihr zu verfahren, wie auch | |
| immer es wolle – eine Performance, die Qual, Übergriffe und auch | |
| Tötungsabsichten Fremder offensiv künstlerisch aufgreift. | |
| Wenn Microsoft dem Angriff der Rechten auf die Kunstfreiheit nicht | |
| standgehalten und das Video gelöscht hat, hat es den Anschein, als knicke | |
| ein innovativer Großkonzern lieber vor einer gesichtslosen Masse ein, statt | |
| eine etablierte Künstlerin zu stützen. | |
| 27 Apr 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Dokumentation-ueber-eine-Performerin/!5078417 | |
| [2] https://www.nytimes.com/2020/04/21/arts/design/marina-abramovic-satanist-co… | |
| [3] https://www.youtube.com/watch?v=3EsJLNGVJ7E | |
| [4] /Lady-Gagas-neues-Album/!5055395 | |
| ## AUTOREN | |
| Johanna Schmeller | |
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