# taz.de -- Dokumentarfilm „Body of Truth“: Meisterinnen der Inszenierung | |
> Evelyn Schels porträtiert im Dokumentarfilm „Body of Truth“ Marina | |
> Abramović und weitere Künstlerinnen – und stellt sie episodisch vor. | |
Bild: Marina Abramović betrachtet sich in der zweiten Dimension | |
Marina Abramović. Shirin Beshat. Sigalit Landau. Katharina Sieverding. Vier | |
Namen mit Gewicht im internationalen Kunstbetrieb. Geboren sind sie in den | |
Jahren 1944 bis 1969, verbunden durch Krieg, Gewalt und gesellschaftliche | |
Umbrüche geprägte Familien- und Lebensgeschichten. | |
Marina Abramović’ Kindheit als Tochter jugoslawischer Partisan*innen in | |
der Zeit des Zweiten Weltkriegs prägt ihr ganzes Werk. Die Israelin Sigalit | |
Landau kommt aus einer Familie österreichischer und rumänischer | |
Schoah-Überlebender und wurde zwei Jahre nach dem Sechstagekrieg in | |
Jerusalem geboren. Die Mutter war die einzige Überlebende ihrer Familie, | |
der Vater musste die ersten Jahre seines Lebens in einem Lager im besetzten | |
Osteuropa verbringen. | |
Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen bestimmte auch die Kindheit von | |
Katharina Sieverding, die 1944 in Prag geboren wurde, nach Kriegsende | |
führte der Weg der Familie durch mehrere Internierungslager gen Westen. Und | |
die 1969 in einer religiösen Kleinstadt in einer liberalen Familie geborene | |
Shirin Neshat lebte zur Zeit der iranischen Revolution als Studentin in den | |
USA und kehrte 1990 für einige Jahre in den fundamentalistisch | |
umgekrempelten Iran zurück, bevor sie endgültig ins New Yorker Exil ging. | |
Selbstverständlich finden sich nicht nur bei Abramović (der die Eltern | |
gelehrt hatten, für die Sache alles zu geben) Spuren dieser kollektiven, | |
familiären und individuellen Erfahrungen auch in der Kunst – in der sich | |
alle vier Künstlerinnen radikal mit den existenziellen gesellschaftlichen | |
Konflikten der Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzen. | |
## Dem Körpereinsatz kritisch gegenüber | |
Die Regisseurin Evelyn Schels (selbst Jahrgang 1955) packt sie nun | |
gemeinsam in einen Film, der gleich zu Anfang jede der vier in | |
programmatisch etikettierenden Statements vorstellt. Diese beschwören bei | |
Abramović und Landau menschliche Körperlichkeit („Der Körper kann niemals | |
lügen“, sagt Abramović), während Neshat von „einer sinnlichen Entität u… | |
politischem Raum“ spricht. Nur Sieverding sieht den Einsatz des eigenen | |
Körpers in der Kunst kritisch und hat sich, so sagt sie, in ihrer | |
politischen Fotografie „im Wesentlichen auf den Kopf und das Gesicht | |
konzentriert“. | |
Auch im Weiteren verlässt sich Schels ganz auf ihre Protagonistinnen, die | |
sie episodisch in Ausschnitten aus jeweils einem längeren Gespräch, aber | |
auch der kursorischen Begleitung einer aktuellen Arbeit und mit | |
Archivmaterialien früherer Arbeiten vorstellt. So sehen wir, wie sich | |
Abramović bei einer Performance einen blutigen Sowjetstern in die nackte | |
Bauchhaut schneidet oder Sigalit Landau in „Barbed Hula“ (2000) am Strand | |
des Mittelmeers einen rostigen Stacheldraht zum Bauchtanz nutzt. Aktuell | |
tüftelt sie – auch Trauerarbeit zum Tod der Mutter – an mehreren | |
Installationen am Toten Meer, das ein zentraler Ort für sie geworden ist. | |
Neshat arbeitet nach Videoinstallationen zum Geschlechterverhältnis im Iran | |
an der kalligrafischen „Bezeichnung“ und Beschriftung von Körpern, die dann | |
zu lebensgroßen Fotografien werden. Aktuell ist das ein Porträt der | |
Aktivistin Malala, eine Auftragsarbeit. Und Katharina Sieveking sucht Fotos | |
aus früheren Arbeiten zusammen, die für eine große öffentliche Installation | |
am Düsseldorfer Hauptbahnhof zu einem straßenüberspannenden Band | |
aufgeblasen werden sollen. | |
## Bringt sie allein ihr Frausein zusammen? | |
Wir sehen (neben dem Toten Meer) großzügige Studios oder Büros, in denen | |
meist Mitarbeiter*innen aufwendige Technik und teure Computer bedienen, | |
während es in den Kommentaren der Künstlerinnen viel um Wunden und | |
Verletzungen, Heilung und „Endurance“ geht. Doch in der durch die Form des | |
Vierer-Porträts gebotenen Kürze der Darstellung werden die begleiteten | |
Arbeitsprozesse wenig anschaulich und bleiben abstrakt. | |
Und auch Synergie- oder Schärfungseffekte zwischen den einzelnen | |
Persönlichkeiten und Arbeiten bleiben selten. So stellt sich die | |
ketzerische Frage, ob es vielleicht doch nur ihr Frausein ist, das die vier | |
Künstlerinnen hier zusammenbringt. Gerhard Richter, Jörg Immendorff, Anselm | |
Kiefer oder auch „Georg Baselitz“ (2013, von Evelyn Schels selbst) wurden | |
bisher in monografischen Filmen gewürdigt, in denen sich ihre Arbeit | |
komplex und in ihrer Widersprüchlichkeit entfalten konnte. | |
In „Body of Truth“ spiegeln sich essenzialistische Klischees von der | |
„Zerbrechlichkeit“ der Frau unwidersprochen in anderen ebenso | |
essenzialistischen Zuschreibungen, wenn Marina Abramović „woman“ als „the | |
most powerful being on the planet“ benennt. Alle vier dargestellten | |
Künstlerinnen sind auch Meisterinnen der Selbstinszenierung, was sicherlich | |
kein unwesentlicher Teil ihres Erfolgs ist. Es macht Spaß, ihnen bei diesem | |
Spiel vor der Kamera und für die Kamera zuzuschauen. Und so bleiben in | |
diesem Film am Ende am interessantesten diese Auftritte – und ernüchternd | |
unromantische, aber zu fragmentarische Einblicke in die schnöde Realität | |
der Produktion aktueller Großkunst. | |
10 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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