| # taz.de -- Dokumentarfilm „Neo Rauch“: Falsche Fährten | |
| > Nicola Graef begleitete den Maler drei Jahre lang. Das daraus entstandene | |
| > Porträt überlässt es dem Betrachter, sich ein Bild von ihm zu machen. | |
| Bild: Der Maler in seinem Atelier | |
| Gerade erst hat Andres Veiels „Beuys“ im Berlinale-Wettbewerb recht | |
| deutlich die Achillesferse dokumentarischer Künstlerporträts angezeigt, | |
| eine Arbeit, die trotz brillanter Montage und beeindruckendem | |
| Archivmaterial an zu großer – und scheinbar unreflektierter – Faszination | |
| für ihren Protagonisten kränkelt. Damit steht Veiel nicht allein, fehlende | |
| Distanz ist ein Dauerzustand im Dokumentarfilm. Und die Grenzen sind fragil | |
| und fließend, schließlich werden von Publikum und Kritik gerne sowohl Nähe | |
| wie Kongenialität eingefordert. | |
| Die Gemengelage verschärft sich, wenn der/die Porträtierte noch lebt und | |
| nicht nur in Archivschnipseln ins Bild kommt. Oft ist schon für ein | |
| erfolgreiches Anpirschen ans Sujet filmischer Begierde, neben Jagdsinn | |
| Anbiederung nötig, auch beim Dreh selbst muss den Eitelkeiten der | |
| Protagonisten Rechnung getragen werden. Mit all dem hatte auch die | |
| WDR-Journalistin und Filmemacherin Nicola Graef schon 2008 in ihrem Porträt | |
| des mittlerweile verstorbenen Jörg Immendorf („Ich. Immendorf“) zu tun. | |
| Und als sie dann mit ihrer neuen Filmidee im Umfeld des Leipziger | |
| Künstlers Neo Rauch anklopfte, wurde dort erst mal klar abgewinkt. Der mit | |
| seinen düster surrealen Tableaus international erfolgreiche Künstler hätte | |
| – nach einer ersten Fernsehdoku 2007 – keine Lust auf Kameras. Danach half | |
| ihr neben der notwendigen Zähigkeit wohl die Faszination an ihrem Sujet, | |
| die starken Widerstände zu überwinden. | |
| ## Ausstellung in Aschersleben | |
| Das gelang, am Ende konnte sie ganze drei Jahre – auch bei der intimen | |
| Arbeit im Atelier – mit Rauch drehen, bis zu einer im Zentrum des Films | |
| stehenden 2016 eröffneten persönlichen Ausstellung, in der der Künstler in | |
| seiner Heimatstadt Aschersleben eigene Arbeiten mit dem zeichnerischen Werk | |
| seines Vaters Hanno gemeinsam ausstellte. Einem schmalen Werk, denn die | |
| Eltern, damals selbst Kunststudenten, waren wenige Wochen nach der Geburt | |
| ihres Sohns bei einem Bahnunglück verstorben. | |
| Ein Trauma, das sich in Rauchs somnambul melancholischen Kompositionen | |
| ebenso niederschlägt wie der Systemwechsel, den der junge Künstler nach | |
| seinem Studium an der Leipziger Hochschule für Buchdruck und Gestaltung | |
| erlebte. Auskunft zu diesen Zeiten gibt unter anderem Galerist Judy Lybke, | |
| seit damals ein enger Freund von Rauch und seiner ebenfalls malenden | |
| Ehefrau Rosa Loy, in einer starken Nebenrolle. | |
| Der Untertitel „Gefährten und Begleiter“ setzt allerdings falsche Fährten, | |
| denn Graefs Film ist alles andere als ein Generationenporträt und | |
| betrachtet Rauchs Werk auffällig immanent ohne kunsthistorische Verortung | |
| oder Rekurs auf die kontroverse Rezeption. | |
| ## Unheimliche nächtliche Besucher | |
| Vielleicht lässt er sich als Hinweis auf die von Rauch geschaffenen | |
| unheimlichen Figuren in den Bildern selbst verstehen, die den Maler nach | |
| eigener Auskunft (in befremdlich gestelztem Sprachduktus) nächtens besuchen | |
| und quälen. Deutungsversuche des Werks selbst kommen von Sammlern. | |
| Und die Besuche ihrer privaten Gefilde in New York oder Korea geben rare | |
| Einblicke in die Inszenierung sozialer Distinktion und die noch immer von | |
| Klischees wie von düsterer Romantik oder Diktatur umwehte exotistische | |
| internationale Rezeption „authentisch deutscher“ Kunst. | |
| Inwieweit Rauch an diesem Image bewusst mitstrickt, bleibt indes offen, der | |
| ausgiebige Blick der mit tastenden Fragen unsichtbar im Film präsenten | |
| Filmemacherin auf den Künstler lässt das Publikum sich sein eigenes Bild | |
| machen. Und die Brechung durch vielfältige Außenperspektiven gibt Material | |
| für weitgehendere Erkundungen. Schade nur, dass die offensichtlich | |
| schwierigen Produktionsbedingungen des Films im Unterschied etwa zu den | |
| Arbeiten von Corinna Belz im Endprodukt gänzlich ausradiert wurden. | |
| 1 Mar 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Silvia Hallensleben | |
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