# taz.de -- Bundestagsanhörung zum NetzDG: Eine Million Meldungen pro Jahr | |
> Künftig soll das Bundeskriminalamt Hasspostings überprüfen und an die | |
> Landespolizei abgeben. Bis zu 250.000 Ermittlungsverfahren könnten | |
> folgen. | |
Bild: Viel Aggression in Deutschland: BKA soll gegen Hassposts vorgehen | |
BERLIN taz | Das Bundeskriminalamt (BKA) soll zur zentralen Stelle der | |
Bekämpfung von Hass im Internet werden. Bei einer Experten-Anhörung des | |
Bundestags war aber umstritten, ob das BKA dabei eher zu wenig oder zu | |
viele Daten erhalten wird. | |
Geht es nach dem [1][Gesetzentwurf zur „Bekämpfung des Rechtsextremismus | |
und der Hasskriminalität“], den die große Koalition im März eingebracht | |
hat, sollen soziale Netzwerke wie Facebook künftig verpflichtet werden, | |
strafbare Hasspostings stets dem BKA zu melden. Das BKA würde dann das | |
Posting zunächst vorprüfen, und – wenn es einen Anfangsverdacht bejaht – | |
den Fall an die zuständige Landespolizei abgeben. Mit dem Entwurf soll das | |
2017 eingeführte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verschärft werden, | |
das bisher nur eine sofortige Löschung strafbarer Inhalte verlangt. | |
Die neue Anzeigepflicht könnte zu einer Million Meldungen pro Jahr führen, | |
vermutet Henning Lesch vom Verband der Internetwirtscchaft (eco). Daraus | |
könnten rund 250.000 Ermittlungsverfahren pro Jahr folgen, schätzt Andreas | |
May von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main. | |
Bisher ist die Zahl der Strafanzeigen noch sehr gering. In ganz Bayern gab | |
es im ersten Quartal 2020 nur 356 Strafverfahren wegen Hassreden im | |
Internet, so Klaus-Dieter Hartleb von der Generalstaatsanwaltschaft | |
München. Grund ist wohl, dass die meisten Betroffenen annehmen, das | |
Verfarhen werde am Ende eh eingestellt. Doch auch mit der Einführung einer | |
Meldepflicht bestehe die Gefahr, dass aus einer „Flut an Anzeigen“ nur ein | |
„Rinnsal an Verurteilungen“ folge, so Markus Hartmann von der | |
Staatsanwaltschaft Köln. | |
## „Sondereinheiten“ bei Polizei und Staatsanwaltschaft | |
Dabei sahen die Experten vor allem drei Probleme. Zum einen speichern die | |
sozialen Netzwerke ihre Daten oft in den USA oder in Irland. Teilweise | |
könnte eine automatische Weitergabe von Hasspostings inklusive IP-Adresse | |
nach dem Recht vor Ort verboten sein. Oder die Meldung des Netzwerks kommt | |
zu spät, so dass die IP-Adresse keinem realen Nutzer mehr zugeordnet werden | |
kann. Außerdem ist bei Mobiltelefonen zur Identifizierung oft noch eine | |
Port-Adresse erforderlich, die aber viele Telekom-Provider gar nicht | |
speichern. | |
In all diesen Fällen muss die Polizei dann mit klassischen | |
Ermittlungsmethoden den Autor des Hasspostings herausfinden, zum Beispiel | |
indem weitere Postings und Bilder ausgewertet werden. Staatsanwalt Hartmann | |
fordert daher „operative Sondereinheiten“ bei Polizei und | |
Staatsanwaltschaften. | |
In eine andere Richtung geht die Sorge der Organisation „Hate Aid“. Sie | |
befürwortet zwar die Meldepflicht, will aber verhindern, dass das BKA auch | |
Menschen speichert, deren Postings Facebook [2][fälschlich als strafbar | |
einstufte], etwa weil Satire nicht erkannt wurde. Rechtsprofessor Matthias | |
Bäcker schlägt daher ein zweistufiges Verfahren vor. Zunächst soll das BKA | |
das gemeldete Posting prüfen. Nur im Falle eines Anfangsverdachts, soll das | |
BKA dann auch die Nutzerdaten bekommen. Damit die Daten vorher nicht | |
gelöscht werden, könnte die IP-Adresse parallel schon an den jeweiligen | |
Telekom-Provider weitergeleitet werden, der dann die Nutzerdaten vorläufig | |
sichert („Quick Freeze“). | |
BKA-Vizepräsident Jürgen Peter versicherte, dass Nutzerdaten vom BKA sofort | |
gelöscht werden, wenn an einer Meldung „gar nichts“ dran ist. „Wenn aber | |
das Hass-Posting nur knapp unter der Strafbarkeitsschwelle bleibt und sich | |
einem bekannten Straftäter zuordnen lässt, dann dürfen wir so etwas | |
speichern.“ Das wollte dann auch der liberale Rechtsprofeässer Bäcker | |
„nicht verteufeln“. | |
6 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Netzwerkdurchsetzungsgesetz/!5662774 | |
[2] /Diskussion-um-NetzDG/!5563748 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Netzwerkdurchsetzungsgesetz | |
NetzDG | |
Datenschutz | |
Hasskriminalität | |
Netzwerkdurchsetzungsgesetz | |
NetzDG | |
Unabhängigkeit | |
antimuslimischer Rassismus | |
Marina Abramovic | |
Datenschutz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Erfolg von Google und Meta: Gericht kippt Meldepflicht für Hass | |
Soziale Netzwerke sollten seit Februar strafbare Hasspostings ans BKA | |
melden. Doch das Verwaltungsgericht Köln stoppte dies nun. | |
Gesetz gegen Hassrede im Netz: NetzDG führte nicht zu Overblocking | |
Seit drei Jahren gilt die verschärfen Löschpflicht für Facebook und andere | |
Netzwerke. Befürchtungen der Kritiker haben sich bisher nicht realisiert. | |
BGH zu richterlicher Unabhängigkeit: Rüge für Richter akzeptiert | |
Thomas Schulte-Kellinghaus ist gründlicher und damit langsamer als andere | |
Richter. Er durfte deshalb ermahnt werden, entschied der Bundesgerichtshof. | |
Zahlen zu antimuslimischen Rassismus: Muslime erfahren immer mehr Hass | |
Verdoppelung der Vorfälle: Die Diskriminierung nimmt beänstigend zu, sagt | |
das Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan). | |
Hass auf Performance-Künstlerin: Als Microsoft einknickte | |
Die Performance-Künstlerin Marina Abramović wird von Rechtsradikalen als | |
Satanistin diffamiert und bedroht. Nun wehrt sie sich öffentlich. | |
Online-Konferenzen gestört: Hitler-Fotos bei Holocaust-Gedenken | |
Antisemit*innen haben mehrere digitale Holocaust-Gedenkveranstaltungen in | |
Deutschland gestört. Dabei zeigten sie Hakenkreuze und Hitler-Bilder. |