| # taz.de -- Ausstellung würdigt Huneke: Brüchiges im fließenden Feld | |
| > Zum erstem Mal nach ihrem frühen Tod werden in der Lüneburger Halle für | |
| > Kunst die flüchtigen Werke von Helena Huneke gezeigt. | |
| Bild: Sie erschaffte Wesen aus Plastiktütenstreifen oder Rollschuhen: Künstle… | |
| LÜNEBURG taz | Noch etwas ratlos sitzt Stefanie Kleefeld auf dem Boden der | |
| Lüneburger Halle für Kunst und schaut auf das Wirrwarr, das vor ihr liegt: | |
| mit Farbe bekleckste Stoffbahnen winden sich, eine raue Holzlatte ragt | |
| unter dem Stoff hervor. Ein Tennisball und ein Tuschkasten liegen mitten | |
| auf dem Stoff; daneben zwei Paar abgetragene Schuhe, als habe sie gerade | |
| jemand irgendwie hastig von sich abgeschüttelt.„Atelierklischee“ ist mit | |
| schlichter, weißer Binderfarbe an den Rand der Stofffläche geschrieben. Und | |
| nun stellen sich einige Fragen: Ist es ein Werk? Und wenn, ist es | |
| vollständig? Und wenn, sollte es als Bodenarbeit präsentiert werden oder | |
| als Wandarbeit? | |
| Gefunden hat es Stefanie Kleefeld, die zusammen mit Valérie Knoll die Halle | |
| künstlerisch leitet, im Keller der Berliner Wohnung der im Dezember 2012 | |
| verstorbenen [1][Künstlerin Helena Huneke], wo es mehr zusammengeknüllt | |
| denn zusammengefaltet lag. | |
| Helena Huneke wurde 1967 in Münster geboren. Von 1988 bis 1995 studierte | |
| sie an der Hamburger HFBK, zunächst Produktdesign. Doch dass sie mit einer | |
| auf unmittelbare Verwertung abzielenden Laufbahn wenig anfangen konnte, | |
| zeigen schon ihre Stühle, die sie damals als Abschlussarbeit vorstellte: | |
| banale, ruhig etwas schäbige Alltagsstühle und Hocker, die sie mit | |
| Teppichstücken, Polstern oder Brettern drapierte – so dass ihr Humor | |
| durchblitzte, den es in ihrem Werk immer wieder auch zu entdecken gibt. | |
| Immer wieder und immer stärker beschäftigte sie sich aber vor allem mit der | |
| Kunstwelt an sich. Sollen sich die in ihr wohnenden Künstler einfach in die | |
| üblichen Marktabläufe einfügen? Soll sie selbst eine individuelle | |
| Gegenstrategie entwickeln und wie könnte die aussehen? Oder geht es nicht | |
| vielmehr darum, dem Wesen der Kunst generell neues Leben einzuhauchen und | |
| sie auf ganz andere Füße zu stellen? | |
| 1996 gründete Huneke zusammen mit gut 20 anderen Künstlern und | |
| Künstlerinnen wie Gudny Gudmundsdottir, Robertho Ohrt oder Jonathan Meese | |
| die „Akademie Isotrop“. Eine Gruppierung, die weit mehr sein wollte als | |
| eine politisch-künstlerische Aktionsgruppe wie „Park Fiction“ oder nur eine | |
| Vereinigung, „um zusammen auszustellen und zu trinken“. Stattdessen | |
| formierte die Gruppe sich so: „Die Akademie Isotrop ist eine unscharfe | |
| Organisation zur gegenseitigen Verstärkung, ständigem Anstoß und Verteilung | |
| durch Wände hindurch.“ Im Pudel Club auf St. Pauli fand man eine Art | |
| Home-Base. | |
| Man traf sich, veranstaltete Seminare, stürzte sich dabei auch mit Verve in | |
| kunsttheoretische Debatten, organisierte zugleich Ausstellungen und tourte: | |
| nach Berlin, Wien und Köln, nach Stuttgart und damals auch nach Lüneburg, | |
| in die Halle für Kunst, wie sich der Kunstverein nennt. | |
| Es muss eine sowohl anregende wie auch anstrengende Zeit gewesen sein – im | |
| Jahr 2000 war aber die Luft raus und die Akademie löste sich wieder auf. | |
| Helena Huneke wechselte wie viele von Hamburg nach Berlin, kurz mischte sie | |
| in der Galerie Maschenmode mit; war dafür bekannt, dass sie bei | |
| Ausstellungen kurz vor der Eröffnung Werke zurückzog. | |
| Mehr wurde daher ihre Wohnung zum Austragungsort sowie Showroom ihrer | |
| Kunst: legendär ihre performativen, exakt durchgeplanten Abendessen – die | |
| nicht dokumentiert sind. | |
| Keine Protokolle, kaum Fotos, keine Handyfilme. Nur Weitererzähltes, | |
| Gerauntes, Vages darüber hält sich bis heute – was umgekehrt bestens passt: | |
| ist doch in ihrem Werk das Brüchige, das Flüchtige, das sich Auflösende | |
| geradezu angelegt. | |
| „Es gibt keine Titel; es gibt auch keine Anweisungen, wie welches Werk | |
| aufzustellen und zu präsentieren ist“, erzählt die Lüneburger Kuratorin | |
| Kleefeld.Und so hatten sie und ihr Team einiges zu tun, um anhand von | |
| einigen, wenigen Ausstellungsfotos ihre fragilen Werke in einen vermuteten | |
| Endzustand zu überführen: Liegen alle Falten dieser bizarr | |
| ineinandergeflochtenen Kleider richtig? | |
| Ist die Styroporkugel, die ein Kopf sein könnte, wenn die darunterliegende | |
| Waschschüssel der Körper ist, an der richtigen Stelle angebracht? Und kann | |
| man das überhaupt sagen: richtig oder falsch? Ein energisches Zitat, dass | |
| sich zwar auf die Akademie Isotrop bezieht, das aber gewiss ihre ganz | |
| eigene Haltung gegenüber ihrem Werk widerspiegeln dürfte, passt dazu: „Die | |
| Fiktion findet am ehesten im Wiederauffangen statt. Die Ausstellung ist | |
| natürlich real. Aber danach gibt es das Feld der Nachbearbeitung oder | |
| Veränderung.“ | |
| Kleefeld geht auf eine Wandarbeit aus beklebten und benähten Stoffteilen | |
| zu: „Die einzelnen Bahnen sind nur mit Stecknadeln zusammengesteckt, sie | |
| hat sie damals nicht fest vernäht.“ Und sie wagt kaum die Stoffarbeit zu | |
| berühren. Und so steht man da, versucht sich mit all den Prämissen im Kopf, | |
| dass die Kunst ein fließendes Feld ist, zu orientieren; schaut immer | |
| neugieriger auf ihre seltsamen skulpturalen Wesen auf Kinderrollschuhen, | |
| bewundert ihr Feenwesen aus sich auflösenden Plastiktütenstreifen auf | |
| Kleiderbügeln oder ihr Wandbild aus fleckiger Kinderbettwäsche. | |
| Dieser seltsame, kleine Wagen aus Ästen fällt einem auf, der einen | |
| Lampenschirm irgendwohin transportiert und man ist immer heiterer gestimmt, | |
| auch wenn ein Eintrag aus dem Sommer 2012, der ihr letzter sein wird, nicht | |
| so einfach weichen will. | |
| „Oh, könnte ich doch die Zeit zurückholen, als ich noch in der Ergotherapie | |
| ein wenig vertrockntetes Gestrüpp mit ein paar Resten Draht und Gummiband | |
| zusammenarrangierte, oder aus komisch verunglückten Aufbauformen einen | |
| schönen Aschenbecher machte. Da gab es noch mich und meinen produktiven | |
| Widerstand.“ | |
| Zum ersten Mal nach ihrem Tod gibt es nun diese Ausstellung mit wichtigen | |
| Teilen des Werkes von Huneke in Lüneburg – es ist quasi eine Retrospektive. | |
| Ein erster Schritt auch, um den Schock ihres Todes zu überwinden, der unten | |
| ihren Freunden und Wegbegleitern bis heute zu spüren ist. Noch ist völlig | |
| offen, wohin die Reise geht und was die nächsten Stationen sein werden. Und | |
| es bleibt auch die Frage, wie ihr Werk ohne sie als Person in dieser Welt | |
| nun klarkommen wird. | |
| ## Austellung Helena Huneke: bis 10. Mai 2015, Mi–So, 14–18 Uhr sowie nach | |
| Vereinbarung, Halle für Kunst, Reichenbachstraße 2, Lüneburg | |
| 21 Apr 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.halle-fuer-kunst.de/ausstellungen/2015/helena-huneke/ | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
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