# taz.de -- Von den Absurdheiten der Weltwirtschaft: Seltsamer als die Kunst is… | |
> Nina Beier stellt im Hamburger Kunstverein aus | |
Bild: Mittels Porzellan, Gläsern oder Teppichen die Warenförmigkeit vor Augen… | |
Auf der Treppe grüßt ein Bildschirm mit einer pulsierenden Kartoffel, ihrer | |
Verbreitungsgeschichte, ihrem Nahrungswert. Aber das Objekt selbst ist | |
nicht nur ein Monitor, es ist der mit einem Heizlüfter hinterlegte | |
Bildschirm eines industriell gefertigten elektrischen Kaminfeuers, dessen | |
Bildebene gehackt wurde. So tritt statt eines neumodischen | |
Lagerfeuererlebnisses ein für die Welternährung zentrales Element in den | |
Fokus einer betrachtenden Versammlung. | |
Seltsame Materialkonstellationen also und globale Wirtschaftsprozesse: | |
Darauf rekurriert die 1975 im dänischen Aarhus geborene Nina Beier in ihrer | |
ersten großen Einzelausstellung in Deutschland, die jetzt in Hamburg zu | |
sehen ist. Die Waage haltend zwischen verkopfter ökonomischer Theorie und | |
künstlerischer Arbeit zur Materialität, fragmentiert und inszeniert sie | |
gefundene Objekte und Medienbilder. | |
Mittels solider Materialien - Keramik und Bronze, Glas und Acryl - sucht | |
sie abstrakte Prozesse greifbar zu machen: Es geht um Handelsrouten und | |
Klischeeproduktion, um die Gleichstellung ganz unterschiedlicher Dinge und | |
Werte in der globalen Ökonomie, um eine flache, als Ornament beliebig | |
gewordene Welt mit weggeblendeten Widerständigkeiten: Zwar arbeiten viele | |
Menschen lange und handwerklich an Dingen und Bildern, aber Teppichknüpfer, | |
Porzellanmaler oder Modeartikelhersteller bleiben anonym und werden für | |
neue Marken in Dienst genommen. Eine Traumproduktion unter wenig | |
traumhaften Umständen. | |
Als Beispiel vorgeführt werden die im Rapport gemusterten Krawatten der | |
Pariser Luxusmarke Hermès. Die Design-Politik des Hauses lässt alle Motive | |
zu - außer Sex und Crime. Das unterschiedslose Abgreifen von Formen aus | |
aller Welt, von Bananen über Pagoden bis zu den Sternen, gilt dabei nicht | |
als Crime. In dieser Aneignung kann auch eine Manifestation des avancierten | |
Kapitalismus erkannt werden, den die vermögenden Träger dieser | |
Luxuskrawatten praktizieren. | |
Am Anfang der Ausstellung stehen Bodenvasen aus China und lebensgroße Hunde | |
aus Italien. Beier hat diese handgearbeiteten Porzellane aufgebrochen und | |
bewirkt eine weitere Verschiebung an der an sich schon paradoxen, weil | |
handgefertigten Massenware: Mit Loch wird die nützliche Hohlform der Vase | |
zum bloßen Bild, das Abbild eines Hundes zeigt sich durch die Beschädigung | |
als durchaus hohler Schein. | |
Mit Porzellan, Teppichen oder großen Gläsern mit nachgebauten Fotomotiven | |
aus virtuellen Archiven: Nina Beier thematisiert die weitgehend | |
sinnentleerte oder zweckentfremdete Form von Bildern und Objekten als bloße | |
Ware. Nikotinersatzkaugummis werden achtlos in Orientteppiche getreten. | |
Badehandtücher mit aufgedruckten Geldscheinen werden kombiniert mit | |
getrockneten und gepressten Exotenpflanzen von Ikea - alles ist weltweit | |
billig zu haben. Auf den ersten Blick unerklärbare Erdhaufen aus Bronze | |
sind eigentlich Sockelgebilde für pathetische Reiterstatuen - Dreck, der | |
als beherrschte Erde zur Würdeformel geeignet ist. | |
Sichtbar wird die fast widersinnige Aneignung der Natur und die Verdrängung | |
der Wertvorstellungen der Hersteller, zu erahnen ist die seltsame Fähigkeit | |
des Wirtschaftsprozesses, neue, andere Wertigkeiten dagegen zu setzen. | |
Nicht die monatelang arbeitenden Teppichknüpfer erhalten schließlich das | |
meiste Geld, sondern der Händler. Nicht das triviale Bild ist wichtig, | |
sondern seine Verfügbarkeit in Datenbanken. | |
Oder auch: Nicht der Turnschuh an sich ist teuer, er wird es durch seine | |
für das Branding gefundene Geschichte. Das hier gezeigt Exemplar in Größe | |
55 ist zur Beglaubigung mit industriell hergestelltem Schweiß getränkt und | |
mit synthetischen Tränen. Seltsam erscheint hier weniger die Kunst als der | |
Alltag. | |
Am kuriosesten sind aber die geplünderten Statuen: Wie Terroristen auf | |
Geldbeschaffung hat Beier alles wertvolle Metall herausgeschnitten. So | |
bleiben vom mexikanischen Revolutionär Emiliano Zapata nur der Schmuck und | |
die Waffen, vom englischen Antiquitäten-Ritter nur die Rüstung. Diese für | |
Altmetallsammer wertvollen Elemente werden hübsch wie wertvolle historische | |
Bruchstücke in Glasvitrinen präsentiert. Sie erhalten einen Kunstwert | |
zurück, den ihre auf den Materialwert orientierte Entfernung zuvor gerade | |
verleugnet hat. | |
Gänzlich paradox wird das allerdings, wenn die ganze Statue ohnehin aus | |
Bronze war: Dann wird nur das Metall herausgebrochen, das auch so aussieht, | |
nicht die nachgeformte Kleidung oder Körpermasse. Und so wird die Arbeit | |
über den Diskurs zu den verschiedenen Wertvorstellungen auch ein | |
Metadiskurs über Repräsentanz, also die scheinbare Gleichheit und doch | |
unauflösbare Differenz zwischen Abbild und Abgebildeten. | |
Klar: Ein Bronzepferd lebt nicht, aber warum kann man mit einem teuer | |
gekauften Geldschein-Handtuch nicht bezahlen - wo Geld seit Aufhebung der | |
Gold-Standard-Vertrages von Bretton Woods doch ohnehin fiktiv ist? | |
Ein Kurator kann im Rahmen der Kunst auch „Das Kapital“ von Karl Marx | |
vorlesen lassen - so wie jetzt auf der Biennale in Venedig. Ist aber die | |
Kunst ein eigenes Erkenntnissystem, dann ist es wesentlich besser, die | |
Ideen finden ihren eigenen Weg ins Material. | |
Die politischen Objekte von Nina Beier stehen dabei in der Mitte zwischen | |
essaydicker Überlegung und kostbarem Porzellanobjekt, machen aus Erdhaufen | |
Kunstwerke und aus luxuriösen Krawatten Objektkollagen. Es ist eine Kunst, | |
die Wertvorstellungen infrage stellt - und in der üblichen Paradoxie des | |
Kunstbetriebs wiederum selbst als Wertschöpfung in den | |
Kunst-Waren-Kreislauf eintritt. | |
Nina Beier: „Cash for Gold“. Bis 26. Juli, Hamburg, Kunstverein Die Waage | |
haltend zwischen ökonomischer Theorie und künstlerischer Arbeit, macht sie | |
abstrakte Prozesse greifbar | |
5 Jun 2015 | |
## TAGS | |
Retrospektive | |
Sebastian Edathy | |
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