| # taz.de -- Kuratorin über Kunst-Ikone: „Eine Leitfigur der Feministinnen“ | |
| > Bekannt geworden ist Louise Bourgeois als alte Frau. Davor hat sie | |
| > jahrzehntelang fernab vom Kunstmarkt ihre Skulpturen geschaffen. | |
| Bild: Vielleicht Spinne, vielleicht Weberknecht, auf jeden Fall wegweisend: Lou… | |
| taz: War es für Louise Bourgeois ein Vorteil, erst als alte Frau von der | |
| breiten Öffentlichkeit entdeckt zu werden, Frau Fink? | |
| Luisa Fink: Wir haben das Ausstellungsplakat mit ihr als sehr alter Frau | |
| gewählt, weil wir ihre späten Werke zeigen. Aber natürlich ist es auch für | |
| ihr Kunstschaffen interessant, dass sie fast ein Jahrhundert lang gelebt | |
| hat und 80 Jahre lang Kunstentwicklung miterlebt hat. Dazu kommt, dass | |
| sich, anders als bei vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern, ihr Werk | |
| in den letzten Jahren noch einmal sehr verdichtet. | |
| Wenn man ihre Werke ansieht, hat man nicht das Gefühl einer politischen | |
| Zeitzeugenschaft. | |
| Es gibt wenige Arbeiten, die explizit politisch sind. Eine Skulptur, die | |
| sich auf den Vietnamkrieg beziehen lässt, ist „Molotov Cocktail“ aus dem | |
| Jahr 1968. Aber die gesellschaftlichen Themen brannten ihr nicht unter den | |
| Nägeln. Wenn man nach dem Gesellschaftlich-Sozialen Ausschau hält, dann | |
| muss man das Pferd von einer anderen Seite aufzäumen. Man muss gucken, was | |
| bei ihr stattfindet und inwiefern das gesellschaftliche Dimensionen hat. | |
| Die gibt es – nicht umsonst haben die Feministinnen sie zu einer ihrer | |
| Leitfiguren erklärt. | |
| Aber da war sie ja durchaus widerstrebend. | |
| Sie hat sich nie vor einen Karren spannen lassen. Sie hat sich für die | |
| Feministinnen engagiert, sie hat an institutionskritischen Ausstellungen | |
| teilgenommen, wo es darum ging, dass nicht weiße Männer weiße Männer | |
| ausstellen. Etwa bei der Eröffnungsausstellung im Guggenheim Soho 1992, wo | |
| vehement gegen die Auswahl der Künstler rebelliert wurde, weil keine Frau | |
| vertreten war. Aber es stimmt, glaube ich, sie selbst hat sich nicht als | |
| feministische Kämpferin gesehen. Obwohl schon ihre Mutter eine emanzipierte | |
| Weberin war. | |
| Und zugleich arbeitete sich Louise Bourgeois ein Leben lang an der | |
| Ablehnung ihres Vaters ab. | |
| Das wurde in der Rezeption sehr stark polarisiert: der schreckliche Vater | |
| und die gute Mutter. Es gibt aber viele Hinweise, dass beides ambivalente | |
| Verhältnisse waren. Es gibt zum Beispiel ein Foto, auf dem sie ihren Vater | |
| anhimmelt. | |
| War das eine Ambivalenz, die sie sich selbst nicht eingestanden hat? | |
| Ich glaube doch. Beziehungen haben sie beschäftigt, sie war sehr stark an | |
| anderen Menschen interessiert. Sie hatte über zwölf Jahre einen | |
| sonntäglichen Salon, wo Künstler Arbeiten zu ihr bringen konnten. Die | |
| meisten waren aufgeregt, zu ihr zu kommen und haben irgendwelche | |
| Weltsysteme geschildert und Bourgeois hat dann irgendwann streng gesagt: | |
| „Yes. But what does it mean to you?“. | |
| War es für sie ein Thema, Mutter, Frau und Künstlerin in den USA der 50er | |
| Jahre zu sein? | |
| Es gibt viele Arbeiten, die eine Hommage an die Mutter sind – unter anderem | |
| die Skulptur „Maman“ aus dem Jahr 1999 – und sie meinen nicht nur ihre | |
| Mutter, sondern auch die eigene Mutterschaft. Sie hat einmal gesagt: „I am | |
| a mother, I have a mother and I am searching for a mother.“ Aber im Sinne | |
| einer Frage „Was bedeutet es für eine Frau in den 50er, 60er Jahren Mutter | |
| zu sein und gleichzeitig so radikal sich der eigenen Arbeit zuzuwenden?“ – | |
| kenne ich keine Äußerungen von ihr. | |
| „Maman“ ist ein Weberknecht – oder ist es eine Spinne? | |
| Es sieht aus wie ein Weberknecht, wird bezeichnet als Spinne. Ich würde | |
| sagen, ein Mischwesen. | |
| Auf mich wirkt sie durchaus lustig. Spielt das Komische oder auch Ironische | |
| eine Rolle in der Kunst von Bourgeois? | |
| Sie war ein bissiges Ding. Es gibt einen Dokumentarfilm über sie von den | |
| Regisseurinnen Marion Cajori und Amei Wallach, die sie zehn Jahre lang | |
| begleitetet haben, da sieht man das. Ihr Assistent fragt einmal, weil er | |
| den Regisseurinnen helfen will: „Kannst du das noch einmal erklären?“, und | |
| da sagt sie: „No. You have to read between the lines.“ | |
| Hat ihr der späte Ruhm etwas bedeutet? | |
| Ich glaube, die Anerkennung war ihr sehr wichtig. Sie sagte selbst, dass | |
| das Streben nach Anerkennung und Zuneigung ein großer Motor in ihrem Leben | |
| war. Aber sie hat ihre Ausstellungseröffnungen nicht besucht, sie wusste | |
| nicht, welche ihrer Werke wo ausgestellt waren, sie hat sich nicht als | |
| öffentliche Person präsentiert. Sie hat ihr Leben nicht verändert: Sie | |
| hatte weder ein großes tolles Atelier noch zehn Angestellte. Ein eigenes | |
| Atelier hatte sie erst mit 70 Jahren, da wurde es dann auch großformatiger, | |
| davor hat sie immer zuhause gearbeitet. | |
| War ihr das Handwerkliche an ihrer Arbeit wichtig – und hat sie das Nähen | |
| und Meißeln selbst gemacht? | |
| Der körperliche Einsatz war ihr wichtig, sie sagte, dass das skulpturale | |
| Arbeiten in einer starken Beziehung zur eigenen Körperlichkeit steht, das | |
| Zeichnen war eher Konzentration und Beruhigung für sie. Sie ist oft mit | |
| viel Aggression gegen Material vorgegangen. Ihr Assistent musste immer | |
| wieder Arbeiten vor ihr retten. Das Beschlagen von Holz und Marmor, auch | |
| die Näharbeiten hat sie bis zuletzt selbst gemacht. Man sieht, dass bei den | |
| späten Näharbeiten die Stiche grober werden, auch bei den Radierungen sieht | |
| man zum Teil die Handschrift einer alten Frau. | |
| Ist sie Vorbild für andere Künstler geworden? | |
| Ja, vor allem für Künstlerinnen. | |
| Das fand sie vermutlich öde. | |
| Ich weiß es nicht. Auch dazu gibt es etliche Anekdoten. Die britische | |
| Künstlerin Tracey Emin und Louise Bourgeois wollten 2009 etwas zusammen | |
| machen, Bourgeois hatte Aquarelle gefertigt, die sie nach London schickte. | |
| Emin hat zwei Jahre gewartet, weil sie Hemmungen hatte, die Aquarelle zu | |
| überarbeiten – so war die Kooperation gedacht. Vor allem, weil Louise | |
| Bourgeois bei der ersten Begegnung schlecht gelaunt war. | |
| Wie zeigte sich das? | |
| Tracey Emin hatte ihr als Gastgeschenk einen Hut mitgebracht, den fegte sie | |
| vom Tisch und verließ den Raum. Ihr Assistent wollte schlichten und setzte | |
| sich den Hut auf, aber sie wischte ihn ihm vom Kopf und da war klar: Da ist | |
| nichts zu retten. Aber hinterher war sie sehr stolz darauf, was Emin aus | |
| ihren Bildern gemacht hat. Bourgeois ist schon zu einer Ikone geworden. | |
| Wegen ihres Selbstbewusstseins? | |
| Vielleicht. Aber ich glaube, vor allem auch wegen der künstlerischen | |
| Errungenschaften. Sie hat als eine der ersten Dinge gemacht, die erst | |
| später populär wurden. Anfang der 60er Jahre hat man gemerkt, dass der | |
| Minimalismus zu einem Ende kam. Louise Bourgeois hat als eine der ersten | |
| damit begonnen, mit organischen Formen zu arbeiten, Latex und Gummi zu | |
| benutzen. | |
| Man hat bei ihr das Gefühl eines sehr geglückten künstlerischen Lebens. | |
| Sie war damit gesegnet, so lange so wach arbeiten zu können. Und es war ein | |
| Schutzraum, dass sie lange relativ marktfrei arbeiten konnte. Aber man muss | |
| erst einmal die Disziplin und die Ausdauer haben, das unabhängig von einem | |
| Markt 70 Jahre lang zu machen. | |
| 6 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
| ## TAGS | |
| Haus der Kunst München | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Skulpturen von Kiki Smith in München: Die Muskeln der Jungfrau Maria | |
| Körper, Frauen, Menschen: Das Haus der Kunst in München zeigt Werke der | |
| US-amerikanischen Künstlerin Kiki Smith aus vier Jahrzehnten. | |
| Berliner Streit ums BMW Guggenheim Lab: Kreuzberg – kaum zu kalkulieren | |
| Klaus Wowereit will das umstrittene BMW Guggenheim Lab nach Berlin holen. | |
| Ein Hauch von Lower East Side in der Stadt oder nur kalkulierte | |
| Markenpolitik? |