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# taz.de -- Wie ein Perfomancekünstler arbeitet: Kleinteiliger Widerstand
> Die Einsamkeit zur Performance erheben: 2021 kam der montenegrinische
> Künstler Dante Buu dank der Martin-Roth-Initiative nach Berlin. Ein
> Atelierbesuch.
Bild: Er stickt, quilt, näht: Nicht nur das textile Produkt, auch die Tätigke…
Die Schuhe werden ausgezogen, dann betritt man das Kreuzberger Atelier des
Künstlers Dante Buu. Warm ist es hier, weich drückt der dicke Teppich unter
den Fußsohlen, es wird Kaffee gereicht. Der Raum ist geteilt, vorne
Atelier, hinten privat. Im hellen Neonlicht drücken sich Werke die Wände
entlang. Bei Dante Buu riecht es nicht nach Terpentin, es gibt keine
Farbflecken, keine benutzten Papiertücher, keine Werkzeuge liegen im Raum.
Dante Buus Kunst ist geduldig, leise, genau. Dante Buu stickt.
Verschiedene Werkgruppen hängen im Raum, da sind Arbeiten der Serie „I
waited for you blindfolded at the canal“ aus besticktem Camouflage-Stoff,
wie man ihn vom Militär kennt, auf dem Buu einige der Felder in den Farben
des Regenbogens mit minimalen Stichen ausmalt. Da hängen gestickte,
kubistische Selbstporträts, Werke der Serie „embroided Graffitis“ mit
stielgestickten, handgeschriebenen, verschlungenen Worten wie „bad cop,
worse cop“ oder „Oh honey, you are not a terrorist“ und einige mehr. Sie
alle eint die starke, kontrastreiche Farbigkeit der gewählten Stickgarne
und Buus präzise Handarbeit.
Eine ungewöhnliche Tätigkeit für Männer. Auch wenn die sogenannte
Nadelmalerei des Spätmittelalters und der Renaissance, bei der Kunststicker
Tapisserien und andere textile Werke für den sakralen und höfischen Bereich
herstellten, als männliche Kunst galt, rückte Stickerei doch während der
Frühen Neuzeit und mit zunehmender Herausbildung des Bürgertums in den
Bereich der weiblich konnotierten Haushaltssphäre. Sie galt als sittliche
Einkommensquelle für Mädchen und Notwendigkeit, um die Haushaltsaussteuer
zu verzieren und zu markieren.
## „Sie nahmen nichts und schafften daraus Schönes“
„Ich bin mit dieser Vorstellung von Mitgift aufgewachsen. Wenn ich als Kind
die stickenden Frauen ansah, war ich stets erstaunt. Sie nahmen nichts und
schafften daraus so Schönes, eine Explosion von Farben. Und was ist Kunst,
wenn nicht Ehe? Du kannst ihr nicht entkommen, die Kunst misshandelt dich
und man ist nie gut genug.“ Dante Buu wuchs in Rožaje, Montenegro, in einer
muslimischen Familie auf. Er verrät weder sein Alter, noch seinen
bürgerlichen Namen. „Die Stickerei in der Region, in der ich aufwuchs, war
eine kollektive Praxis. Die meisten Frauen taten dies in der Gemeinschaft,
während sie rauchten, tratschten und Kaffee tranken. Aber sie taten dies
auch, weil sie nichts anderes tun durften. Und da ich ein sehr weiches Kind
war – und schwul war –, wurde ich von meinen Mitschülern isoliert. Ich
hatte keine Freunde, bis ich ein erwachsener Mann war. Also habe ich auch
gestickt. Weil ich nichts anderes machen durfte. Es war mir nicht erlaubt,
mich zu beteiligen.“
Zuerst waren die Frauen in Buus Familie skeptisch, als auch der kleine
Dante sich für Handarbeit zu interessieren begann. Doch dann unterstützten
sie ihn, das „pinke Schaf“, wie der Künstler sich selbst bezeichnet. „Ich
komme aus einer Familie, aus einer Region, in der es sehr patriarchalisch
zuging, sehr geschlechtsspezifisch, wo Jungs Jungs sind und Mädchen
Mädchen. Ich lernte also zuerst durch Beobachtung. Bis die Frauen meiner
Familie merkten, dass es kein Zurück mehr für mich gibt.“
Sie behalten Recht mit ihrer Beobachtung. Dante Buu studiert Genderstudies
und Journalismus, wird jedoch Künstler, die Stickerei neben der Performance
sein Medium. Er bekennt sich als einer der ersten muslimischen Künstler des
Balkans offen zu seiner Homosexualität, erhält daraufhin Todesdrohungen.
„Die sehr traditionell geprägte Gesellschaft in Montenegro hat weder Geld
noch Bühne für jemanden wie ihn, ja nicht einmal Raum für ein freies
Leben“, heißt es auf dem Internetauftritt der Martin-Roth-Initiative, die
ihm 2021 ein Stipendium im Rahmen des [1][Artist-at-Risk-Programms] im
Berliner Künstlerhaus Bethanien ermöglicht. Ein Jahr später vertritt er
Montenegro auf der Kunstbiennale in Venedig. Bespielt einen Sommer lang den
Pavillon, erhält kurz danach durch einen Wechsel im Kulturministerium
jedoch Ausstellungsverbot in Montenegro.
## Von Religion, Sexualität und Herkunft geprägt
Sexualität, Religion, Herkunft, Politik, Ungehorsamkeit. Dante Buus Arbeit
ist zutiefst von seiner Identität geprägt. Doch seine Kunst ist weder
dezidiert aktivistisch, noch wiederholt sie formal die spezifischen
Traditionen seiner Herkunftsregion oder der häuslichen Stickerei im
Allgemeinen. Dante Buu schafft etwas Eigenes: „Entsteht Kunst nicht, indem
man etwas nimmt und es in etwas Neues verwandelt, etwas, das immer noch dem
entspricht, was es zuvor war, aber irgendwie die Zukunft ist?“
Sticken, Quilten, Nähen, Häkeln, Stricken. In allen erdenklichen Varianten
wurde in den letzten Jahren im Rahmen der Sichtbarmachung marginalisierter
Gruppen und Frauen [2][die Textilkunst] aus den Schubladen der
Vergangenheit und den unbeleuchteten Ecken der Gegenwart geholt, blieb
dabei doch fast immer weiblich dominiert. Lediglich das KW Institut for
Contemporary Art zeigte vor wenigen Jahren die überaus berührende und
poetische [3][Schau des brasilianischen Künstlers José Leonilson]
(1957–1993). Ihn und Buu einen die offene Homosexualität, die
autobiografische Verarbeitung im Werk, die Liebe zur Sprache und das
Erschaffen eines ganz eigenen künstlerischen Bildkosmos. „Für mich ist die
Stickerei eine Praxis der Einsamkeit“, sagt Dante Buu. „Empty Man / Lone /
Ready“ stickt Leonilson 1991 mit rotem Faden in grobes Leinen.
Die Praxis der Einsamkeit, Dante Buu hat sie auch in die Performance
erhoben. Direkt nach seiner Ankunft in Berlin vor vier Jahren performte
Buu, dessen größte Mentorin Marina Abroamovic ist, die Godmother der
Perfomancekunst, sein Werk „and you – do you die happy?“ acht Tage lang, …
vier Stunden im Schaufenster des Künstlerhaus Bethanien. Er trug dabei
einen schwarzen Anzug, tränenverlaufene Wimperntusche im Gesicht, in der
Hand ein Wählscheibentelefon. Die Reaktionen der Passanten auf der
Kottbusser Straße reichten von an die Scheibe geschlagenen Fahrrädern bis
zu daran gehauchten und gemalten Herzen. Provokation durch Poesie, auch im
Titel. „Il y a longtemps que je t’aime, jamais je ne t’oublierai“ („S…
langer Zeit liebe ich dich, nie werde ich dich vergessen“) heißt Buus
Stickperformance von 2024. Zuletzt zeigte er sie bei der Bangkok Art
Biennale letztes Jahr. Mit freiem Oberkörper stickt Buu dabei acht Stunden
am Tag auf Stramin, zieht die bunten Fäden für das abstrakte Muster hervor.
Die Performance ist beendet, wenn der Stoff gefüllt ist. „Oh you remind me
so much of a man that I used to adore“ heißt eine anderer dieser lang
andauernden Performances, die er in Venedig aufführte – gemeinsam mit
seiner Mutter.
## Stich für Stich
Aus den Performances entstehen textile Werke mit gleichem Titel. „Die
Arbeit daran dauert wirklich ewig, allein für diese hier habe ich 108
Stunden gebraucht“ sagt Buu und zeigt auf ein kleines, überaus farbiges
Format. „Aber wie jede Arbeit erfordert auch die Kunst ein gewisses Opfer.“
Eine seiner wenigen grafischen Arbeiten ist momentan in der ifa-Galerie des
Instituts für Auslandsbeziehungen zu sehen. „Once We Were Trees, Now We Are
Birds“ heißt die Gruppenschau mit rund 50 Stipendiatinnen der
Martin-Roth-Initiative. I’m sorry, I know you are speaking. I see your
lips moving, but I can’t understand what you’re saying, cause I don’t spe…
Little Bitch“ zitiert Buu dort auf einem Plakat aus der Serie
„Supernatural“. Selten scharfe Worte für den sanften Poeten und doch ein
kluger Kommentar auf den Zustand der Welt, dem Dante Buu mit fast stoischer
Geduld seinen Ungehorsam in unermüdlicher Fleißarbeit entgegenhält. Stich
für Stich.
13 Mar 2025
## LINKS
[1] /Stipendien-fuer-politisch-verfolgte-Kuenstler/!5529933
[2] /Textilkunst-und-Eigensinn/!5996238
[3] /Ausstellung-Jose-Leonilson-in-Berlin/!5756739
## AUTOREN
Hilka Dirks
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