# taz.de -- Textilkunst und Eigensinn: Die schönen Fäden sind politisch | |
> Gestickte Szenen staatlicher Gewalt, afroamerikanische Quilts: | |
> Textilkunst ist international. Das zeigt die Ausstellung „Soft Power“ in | |
> Potsdam. | |
Bild: Die Ausstellung „Soft Power“ bespielt alle Ebenen | |
In der Vergangenheit galten textile Arbeiten zwangsläufig als die Domäne | |
von weiblichen Künstlerinnen. [1][Anni Albers wurde im Weimarer Bauhaus] | |
noch selbstverständlich der Weberei zugeteilt. Gleichzeitig schien das | |
Medium auch durch seine Nähe zu kunsthandwerklichen Techniken lange Zeit | |
weniger Aufmerksamkeit zu genießen. | |
Doch nicht zuletzt das derzeit wachsende Interesse an der Gestaltung des | |
Alltäglichen, aktuelle Identitätsdiskurse und globale Perspektiven haben | |
den Blick auf das Textile in der zeitgenössischen Kunst inzwischen | |
verändert. | |
Aber was ist eigentlich Textilkunst? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine | |
Ausstellung im Potsdamer Kunsthaus Das Minsk. „Soft Power“ zeigt eine | |
umfangreich Auswahl internationaler Künstler:innen, die alle und vielseitig | |
mit textilen Strukturen arbeiten. | |
Ein großformatiger Wandteppich des südafrikanischen Künstlers und | |
mehrfachen [2][Documenta-Teilnehmers William Kentridge] eröffnet | |
programmatisch den Ausstellungsrundgang. Die Mohair-Tapisserie zeigt eine | |
dunkelflächig skizzierte Figur, die mit gestreckten strommastartigen Beinen | |
über eine historische Landkarte schreitet. Die stellt „Deutschland und die | |
angrenzenden Länder im Süden und Osten“ dar. | |
Für den britischen Kurator Daniel Milnes bildete diese Neuerwerbung aus der | |
Sammlung Hasso Plattner den Ausgangspunkt der Schau. Auch die | |
Textilcollagen der [3][polnischen Rom*nja-Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas] | |
haben die konzeptionelle Entwicklung des Projekts entscheidend beeinflusst. | |
Auf großen figurativen Gemälden hält Mirga-Tas den Alltag der | |
gesellschaftlich marginalisierten Gemeinschaft fest und verarbeitet dafür | |
die abgelegte Kleidung der Porträtierten. | |
## Gestickter Protest | |
Eine enge narrative Verbindungen zwischen Form und Inhalt geht auch Rufina | |
Bazlova in „Saga of Protest“ ein. Auf sieben Meter langem Leinen zeichnet | |
die 1990 geborene Künstlerin gewaltsame Szenen staatlicher Repression gegen | |
die belorussische Zivilgesellschaft 2020/ 2021 nach. In den Darstellungen | |
der Proteste greift Bazlova auf Motive traditioneller Stickerei ihres | |
Heimatlandes zurück, angefertigt in rot-weißer Maschinenstickerei. | |
Andere Arbeiten der Ausstellung wirken abstrakter. Wie das Wandrelief | |
[4][von El Anatsui aus aus alten Flaschenverschlüssen], Aluminiumteilen und | |
Kupferdraht. Der 1944 in Ghana geborene Künstler aber verbindet mit dem | |
Verknüpfen des Materials auch eine Erzählung über Gemeinschaft, | |
Kolonialismus und Sklavenhandel. 2019 widmete ihm das Haus der Kunst in | |
München die erste Überblicksschau in Europa. | |
Auf zwei Ebenen präsentiert „Soft Power“ nebeneinander die Werke von mehr | |
als 35 Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlicher Generationen und | |
Kontexte. „Es war mir wichtig, dass alle Perspektiven vorkommen“, begründet | |
Daniel Milnes die sehr breit angelegte Auswahl. | |
Das Minsk, ein Museum für Kunst nach 1945, [5][wurde 2022 in einem Gebäude | |
der DDR-Moderne von der Hasso Plattner Foundation eröffnet]. Das Kunsthaus | |
in dem ehemaligen Terrassenrestaurant bemüht sich in seinem Programm um | |
einen Dialog und größere Aufmerksamkeit für die Werke von Künstlerinnen | |
und Künstler der DDR. „Soft Power“ macht solche Verflechtungen zwischen | |
internationaler und lokaler Kunst sichtbar. | |
Neben einer streng geometrisch konzipierten Patchwork Decke der Ostberliner | |
Textilgestalterin Elrid Metzkes (1932–2014) präsentiert die Ausstellung | |
auch zwei [6][Arbeiten von Gabriele Stötzer]. Die 1953 geborene Erfurter | |
Schriftstellerin und Künstlerin arbeitet mit unterschiedlichsten Medien. | |
Eine 1985 in herbstlichen Farben gewebte Wandarbeit zeigt einen erigierten | |
Penis in leuchtendem Rot und Orange. Sie trägt den Titel „Der große | |
Schwanz“. Auf dem Ölgemälde „Seher in der Wüste“ erscheint eine Gestalt | |
vollständig von hellem Tuch verhüllt. Das Kleinformat entstand 1978 | |
[7][nach ihrer Haft im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck]. | |
## Zirkel Textilgestaltung | |
Während der DDR existierte in Potsdam ein umtriebiger „Zirkel für | |
künstlerische Textilgestaltung“. In einem Nebenraum der Ausstellung | |
dokumentieren Filmausschnitte und eine Vitrine das Schaffen des ehemaligen | |
Freizeit-Kollektivs – während ein Wandteppich derselben Gruppe mit | |
Jagdszenen vor historischer Kulisse durch seine Biederkeit verblüfft. | |
Der Kontrast zu den Gee’s Bend Quiltmakers könnte nicht größer sein. Welten | |
liegen dazwischen. Seit Generationen entwerfen die afroamerikanischen | |
Frauen von Gee’s Bend, einer abgelegenen Gemeinde und ehemaligen | |
Baumwollplantage im Süden Alabamas, Steppdecken aus Stoffresten in | |
Handarbeit. Ihre eigenwilligen Quilts wurden in den 1970er Jahren von der | |
Kunstwelt entdeckt. Die New York Times zählte sie zu den „wunderbarsten | |
Werken moderner Kunst, die Amerika je hervorgebracht hat“. Ihre | |
geometrischen, farbintensiven Muster sind nun auch in Potsdam zu sehen. | |
20 Mar 2024 | |
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[5] /Neues-Museum-in-Potsdam/!5884528 | |
[6] /Underground-Kunstszene-im-DDR-Erfurt/!5889404 | |
[7] /Ausstellungen-ueber-dissidente-DDR-Kunst/!5319560 | |
## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
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