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# taz.de -- Dreierlei Kunst in Kiel: Die volle Weiche des Lebens
> „From texture to temptation“: Kiels Stadtgalerie würdigt das wuchtige
> Stoff-Werk von Silke Radenhausen und stellt ihr zwei Wesensverwandte zur
> Seite.
Bild: Schwere und Leichtigkeit: Hannah Bohnen, „Telephone Drawing“ 7, 8, 5 …
Morgens die Bettdecke, beispielsweise, nach dem Aufstehen. Wie sie da
liegt, in Falten; aufgeworfen, wulstig, flüchtig, später werden wir sie
wieder gehorsam glattstreichen und ihr eine feste Form in der Fläche geben.
Und wenn nicht? Wenn alles bleibt, jede Ein- und Ausstülpung, jede leichte
Erhebung wie Vertiefung, für immer – als sei alles aus Stein, aus Marmor?
„Weiche Skulpturen“, so nennt Hannah Bohnen ihre Arbeiten aus dünnen
Schaumstoffplatten, die sie faltet, die sie leicht biegt – und dann vor Ort
in Gips taucht. Der aushärtet, so dass eine feste Gestalt entsteht. Einige
von ihnen sind derzeit in der [1][Kieler Stadtgalerie] zu sehen – Bohnens
Beitrag zu einer Dreier-Ausstellung mit dem zusammenfassenden Titel:
[2][„From texture to temptation“], also von der Textur zur Versuchung.
## Aufgefüllte Fräsungen
Hannah Bohnen, Jahrgang 1989, lernt noch als Kind und dann Jugendliche bis
2004 klassischen Tanz an der Deutschen Oper in Düsseldorf. Acht Jahre
später nimmt sie ein Studium der freien Kunst und der Bildhauerei an der
Kieler Muthesius-Hochschule auf. Für ihre überaus gestischen Einfräsungen
in MDF-Platten, die sie anschließend mit Lack auffüllt, so dass das lose
Zeichenhafte eine skulptural-gültige Struktur bekommt, erhält sie 2019 den
renommierten Gottfried-Brockmann-Preis.
Bohnen geht danach weiter nach Berlin, setzt ihre Ausbildung fort als
Meisterschülerin an der Kunsthochschule in Weißensee. Und ist nun sozusagen
kurz zurück mit neuen Einblicken in ihr sich entwickelndes Werk, in denen
Schwere und Leichtigkeit so gekonnt miteinander ringen.
## Rückblick nach vorn
Im Zentrum der Ausstellung aber steht das Werk von Silke Radenhausen,
Jahrgang 1937, die heute in einem Altenheim in Kiel lebt. Dabei ist man
auch der eigenen Kunst-Geschichte auf der Spur: Schon 1997 hatte die
Stadtgalerie dem Werk Radenhausens eine große Einzelausstellung gewidmet.
Damals ein Statement, ein Projekt, ihr in der sonst eher von Epigonen
bevölkerten Kunstwelt Schleswig-Holsteins zu Anerkennung zu verhelfen. Nun
ist Zeit für einen Rückblick nach vorn: „Wir wollen Radenhausens
konzeptionell spektakuläres Werk auch auf seine Aktualität hin überprüfen�…
sagt Kurator Sönke Kniphals.
Geboren und aufgewachsen in Berlin, studiert Silke Radenhausen ab 1957
Kunst in Karlsruhe, Wien und zuletzt an der Hamburger HfBK. Sie zieht es in
die Nähe von Kiel, wo sie künstlerisch, aber auch als Lehrerin arbeitet;
mehr als 25 Jahre unterrichtet sie an einem Gymnasium in Kiel-Mettenhof.
„Ich bin weder Plastikerin noch Malerin, sondern ich bewege mich
dazwischen“, so hat sie sich als Künstlerin selbst einmal verortet. „Mein
Interesse ist, die Leinwand auf die Füße zu stellen.“
Dass ihre Arbeiten 'sinnlich’ seien, ein schnell erteiltes Lob, hat sie
zuweilen befremdet, oft auch belustigt zurückgelassen. Ihrem Hauptwerk
etwa, ihrer Auseinandersetzung mit der 1856 erschienenen „Grammar of
Ornament“ des englischen Architekten Owen Jones, der dafür zuvor jahrelang
Südeuropa und die angrenzenden arabischen Länder bereiste, liegen
hochkomplexe Bild-Analysen zugrunde. Sie verlangen eine betrachtende
Vertiefung. Wobei man ehrlicherweise zugeben kann: Schreitet man in Ruhe
durch die Ausstellung, muss man gelegentlich an sich halten, nicht einfach
in die Stoffbilder zu greifen, um die aus der Fläche tretenden Textilien
selbst wieder rein- und rauszustülpen.
„Die abstrakte Kunst, begleitet von einer Flut von Deutungen, galt uns
jungen Künstlerinnen, die wir besonders unter der Ungerechtigkeit
patriarchaler Bewertungsstrukturen litten, als Fluchtweg aus der
(Nachkriegs-)Wirklichkeit“, so hat sie in einem Aufsatz ihren Werdegang
formuliert. Lange bildet sie mit den Künstlerinnen Gudrun Wassermann,
Elsbeth Arlt sowie der Autorin und Kunstwissenschaftlerin Ines Lindner eine
Art losen Zirkel, getragen vom gemeinsamen Interesse an feministischer
Kunsttheorie und -praxis.
## Nähen nach Feierabend
Kniphals verweist auf die realen Arbeitsbedingungen, unter denen
Radenhausens Werke entstanden: „Sie hat tagsüber unterrichtet, so ihr Geld
verdient – und dann setzt sie sich anschließend zuhause an ihre Nähmaschine
und näht diese wuchtigen Arbeiten, ohne Atelier, ohne jede Assistenz.“ Er
zeigt auf die wandfüllenden Arbeiten zu Owen-Johns-Ornamenten-Entgegnung:
„Wie eindrücklich und wie umfassend und auch umwerfend sie sind, merkt man
erst, wenn man vor ihnen steht.“
Noch mal ganz anders in ihrer Fassbarkeit die Arbeiten der dritten
Beteiligten: Keramikerin Lucia Bachner, die auf Hannah Bohnens Empfehlung
hin eingeladen wurde. Bachner, Jahrgang 1993, auch sie hat an der Hamburger
HfBK studiert, lebt und arbeitet mittlerweile in Berlin, bietet Einblicke
in ihre Werk-Erkundungen. Um serielle Kachelarbeiten geht es, um
Farbmuster.
Und wenn man beim Rundgang hin und wieder den Kopf hebt, schaut man auf
schmale Regale, auf denen sich Kacheln reihen, die Abdrücke nach dem
Brennen zeigen, Fotogrammen ähnlich, in denen fast geisterhaft etwas
Geschwundenes zu erkennen bleibt, was vorher anwesend war.
29 Oct 2023
## LINKS
[1] https://www.kiel.de/de/kultur_freizeit/stadtgalerie/index.php
[2] https://static.miadi.net/multimedia/862572/FromTextureToTemptation_Broschue…
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Kunst
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