| # taz.de -- Malerei und Black History: Rebellisch leuchtende Wesen | |
| > Das Kunstmuseum Wolfsburg präsentiert die Künstlerin Firelei Báez. | |
| > Bildmächtig verbindet sie Mythen der Karibik mit Elementen des | |
| > Afrofuturismus. | |
| Bild: Firelei Báez: How to slip out of your body quietly, 2018. Courtesy der K… | |
| Fantastisch anmutende Gestalten aus verschlungenen Körper- und | |
| Pflanzenteilen flankieren den Eingang zu Firelei Báez’ Einzelausstellung im | |
| Kunstmuseum Wolfsburg. Die zwei großformatigen Gemälde gewähren einen | |
| ersten Einblick in den Bildkosmos der in New York lebenden Künstlerin. | |
| „Trust Memory Over History“ zeigt 27 Werke auf Papier und Leinwand in | |
| leuchtenden Farben und mit vielfältigen Bezügen. Die Wanderausstellung | |
| entstand in Kooperation mit dem dänischen Louisiana Museum of Modern Art. | |
| 1981 in der Dominikanischen Republik geboren, wuchs Firelei Báez dort an | |
| der Grenze zu Haiti auf. Als Achtjährige emigrierte sie mit ihrer Familie | |
| in die USA nach Miami. Für ein Kunststudium zog Báez 2001 nach New York. | |
| Dort stieß sie während ihrer Studienzeit am Hunter College auf alte | |
| Reisetagebücher, wissenschaftliche Veröffentlichungen und Architekturpläne, | |
| die aus dem Bestand der Bibliothek aussortiert worden waren. | |
| Seitdem übermalt, collagiert und ergänzt die Künstlerin auf | |
| herausgetrennten Buchseiten historischer Bände deren hegemoniale | |
| Darstellung der Welt und der Geschichte um Perspektiven der afrikanischen | |
| Diaspora. Báez kombiniert diese skizzenhaft anmutenden Blätter zu einer | |
| komplexen Erzählung von Gewalt und Resilienz. | |
| Eine dieser wandfüllenden Papierinstallation gab der aktuellen Ausstellung | |
| ihren Namen und verweist auf die Leerstellen in der offiziellen | |
| Geschichtsschreibung. „Trust Memory Over History“ (2021) – Vertraue | |
| Erinnerung mehr als Geschichte. Und Báez ergänzt mit einem Untertitel in | |
| Klammern: „um voll und frei zu atmen: eine Erklärung, eine Überarbeitung, | |
| eine Korrektur“. | |
| ## Rätselhaft verlockend | |
| Mit historischen Dokumenten arbeitet die Malerin auch in ihren großen | |
| Formaten. Archivdrucke von Konstruktionsplänen oder Landkarten überträgt | |
| sie auf die Leinwand, um diese anschließend hinter intensiven Farbschichten | |
| und kunstvoll aufgetragenen Motiven verschwinden zu lassen. | |
| So zeigt „Fruta Fina. Fruta estraña (Lee Monument)“ (2022) die | |
| hyperrealistische Darstellung eines rätselhaft verlockenden Objekts aus | |
| leuchtend roten Frucht-, Zell- und Pflanzenelementen, die mit schwarz | |
| glänzenden Haarknoten verwoben scheinen. Nur schemenhaft erkennt man | |
| dahinter die technische Skizze einer Reiterstatue. | |
| Es handelt sich hierbei um den Plan für ein [1][Denkmal des konföderierten | |
| Generals Robert E. Lee] von 1884. Die Entfernung des heute umstrittenen | |
| Lee-Monuments löste 2017 in Charlottesville, Virginia, gewalttätige und | |
| tödlich endende Proteste von weißen Nationalisten und Rechtsradikalen aus. | |
| Gleichzeitig zitiert Firelei Báez im spanischen Titel ihres Werks den | |
| berühmten Protestsong [2][„Strange Fruit“ von Billy Holiday], in dem sie | |
| 1939 die brutalen Lynchmorde an Afroamerikanern in den Südstaaten der USA | |
| anklagend besang. | |
| Báez’ malerische Darstellung saftiger Früchte, glänzender Haare, exotischer | |
| Naturwelten lenken unsere Aufmerksamkeit ebenso auf die kolonialen | |
| Erfahrungen von Anpassung, Unterdrückung und Widerstand in den | |
| Gesellschaften der Karibik. Eine wiederkehrende Figur im Werk von Firelei | |
| Báez ist „La Ciguapa“. In der indigenen Mythologie Santo Domingos versteckt | |
| sich das ungezähmte, haarige Mischwesen in den Wäldern. Mit verdrehten | |
| Füßen marschiert es in entgegengesetzte Richtungen und macht so das | |
| Aufspüren schwierig. | |
| ## In ständigem Wandel | |
| In ihrer Malerei versetzt Báez die mythische Gestalt mit weiblichen, | |
| männlichen, tierischen sowie pflanzlichen Attributen und wendet dieses | |
| Motiv unkontrollierbarer Wildheit in einen künstlerischen Ausdruck von | |
| Stärke und Widerstand. In einem Filmporträt, das die Wolfsburger | |
| Ausstellung begleitet, beschreibt sie ihr besonderes Interesse: „Körper in | |
| ständigem Wandel lassen dem Betrachter die Möglichkeit, Vorstellungen von | |
| Macht zu verschieben. Durch diesen Prozess verändert man die Welt um sich | |
| herum.“ | |
| Diese dynamische Darstellung gelingt der Künstlerin nicht zuletzt durch die | |
| gekonnte Kombination unterschiedlicher Maltechniken und -stile. Virtuos | |
| verbindet sie figurative und abstrakte Bildebenen, präzise Pinselstriche | |
| und geschüttete Farbflächen. | |
| Themen des Afrofuturismus und besonders die afroamerikanische | |
| Science-Fiction-Schriftstellerin Octavia Butler haben Firelei Baez in ihrem | |
| künstlerischen Schaffen inspiriert. Wasser ist ein weiteres wiederkehrendes | |
| Motiv ihrer Malerei. Ein abstraktes Gemälde in der Ausstellung trägt den | |
| Titel „Untitled (Drexciya)“. | |
| ## Mythos von Black Atlantis | |
| Kraftvoll fließen auf der Leinwand Farbflächen in Blau und Violett zu einer | |
| scheinbar sprudelnden Wasserfläche ineinander. Vage angedeutete Körper | |
| wecken Assoziationen an den [3][Mythos von Black Atlantis], einem | |
| utopischen Ort im Ozean, gegründet von den Nachfahren ermordeter | |
| Sklavinnen. 1997 hatte das Detroiter Techno Duo Drexciya diese diasporische | |
| Erzählung in dem Booklet seines Albums „The Quest“ veröffentlicht. | |
| Firelei Báez’ Einflüsse sind umfangreich und anregend. Mit großer | |
| Ernsthaftigkeit führt die Malerin ihre künstlerische Auseinandersetzung zu | |
| Geschichte und Gegenwart, stellt Narrative in Frage und entwickelt daraus | |
| ästhetische Visionen für die Zukunft. | |
| 5 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eva-Christina Meier | |
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