| # taz.de -- Schnell noch hin: Real Talk | |
| > In der Ausstellung „For Real, For Real“ verbinden sich Kunstwerke und | |
| > Artist Books zu einer Bibliothek des Black Atlantic – mit eigenem | |
| > Soundtrack. | |
| Bild: Blick in die Ausstellung „For Real, For Real“ in der daadgalerie | |
| Zwischen den Wiesen und Felsen einer schottischen Insel, das Schaf Dolly. | |
| Die Bilder wechseln. Fernsehberichte zur Frage des Klonens, die Erde, die | |
| aussieht als seien wir auf einem anderen Planeten. Eine leere Telefonzelle | |
| im Nirgendwo. Auf der Tonspur von John Akomfrahs Videoarbeit schlägt immer | |
| wieder der piepende Ton des Anrufbeantworters an, leicht verzerrt, so wie | |
| er klingt, wenn er auf einer Tonspur festgehalten wird. | |
| Es piept, eine Nachricht wird abgehört: eine Einladung zur Schwiegermutter | |
| an Weihnachten. Es piept, ein Anruf der Buchhandlung, die bestellten Bücher | |
| zu Raum-Zeit-Forschung und Klonen sind eingetroffen. Es piept, die Urne der | |
| Mutter wurde immer noch nicht abgeholt. Dazwischen eine Stimme, die | |
| Zahlenfolgen wie zur Beruhigung aufzählt. Akomfrahs „The Call of Mist | |
| (Redux)“ von 2012 ist der Artist Cut des Künstlers zu einer 1998 von der | |
| BBC beauftragten Arbeit und zugleich eine Elegie für seine Mutter. | |
| Die Arbeit ist Teil des Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt „For Real, | |
| For Real“ in der [1][daadgalerie]. „For Real, For Real“ ist mehr als eine | |
| bloße Ausstellung, die Gruppenausstellung im Erdgeschoss ist um einen | |
| Reading Room mit Artist Books ergänzt und für den Moment ist die | |
| daadgalerie zur Bibliothek des Black Atlantic geworden. Mit über 120 | |
| Beteiligten – darunter Garrett Bradley, Mel Chin, Lyle Ashton Harris, | |
| Harmony Holiday, William Kentridge, Martine Syms, Kara Walker und Carrie | |
| Mae Weems – kann man hier schon fast von einer eigenen Biennale sprechen. | |
| Im Dialog mit Kevin Quashies Buch [2][„Black Aliveness: A Poetics of | |
| Being“] erzählt die von John Lucas, Claudia Rankine, Russell Salmon und | |
| Mathias Zeiske kuratierte Schau von Wahlfamilien in der Diaspora, | |
| Erinnerungsarbeit entlang von Migration und von Schwarzem Wissen quer durch | |
| die Künste. Präsentiert wird das Projekt durch das interdisziplinäre Labor | |
| [3][The Racial Imaginary Institute], kurz TRII, gegründet von der Dichterin | |
| Claudia Rankine, die derzeit Fellow für Literatur im Berliner | |
| Künstler*programm des DAAD ist. | |
| Zur Begrüßung ruft das kuratorische Team sich und uns als „Arbeiter*innen | |
| des Imaginären“ an. Und so laden viele der gezeigten Werke und Artist Books | |
| dazu ein, sich in Form und Material ebenso hineinzudenken wie den Inhalten | |
| auch zwischen den Zeilen zu folgen: Der Leseraum im 1. Stock lässt mit | |
| Bhanu Kapil die Autobiografie als eine abgerissene Zettelsammlung | |
| erscheinen und gibt den Blick auf eine in Beton eingefasste Künstlerbio in | |
| Form eines Gedichts von Alvaro (cadet) Barrington frei. Einen Metatext zur | |
| (Familien-)Fotografie bietet Carla Williams' Album „Mother & Daughter“, ein | |
| umsichtiger, smarter Blick durch das eigene Familienarchiv hindurch auf die | |
| Welt und ihre Strukturen. | |
| In der Ausstellung im Erdgeschoss arbeitet sich das künstlerische Ich in | |
| „She Mad: The Non-Hero“ von Martine Syms auf einem Handybildschirm durch | |
| die prekären Windungen und Anerkennungslogiken der Kunstwelt, ironisch und | |
| mit Liebe zum Selbst zugleich. In Harmony Holidays Videoarbeit zu den | |
| frühen Jahren von Thelonious Monk, der der Dichter und Kulturtheoretiker | |
| Fred Moten seine Stimme leiht, wiederum ist es das Mittel der | |
| Schnitttechnik, das die filmische Imagination freisetzt, und es möglich | |
| macht, dass sich Musiker*innen wie Azelia Banks, Tina Turner und John | |
| Coltrane durch die Zeit hinweg begegnen. | |
| Verweilt man am räumlichen Knotenpunkt zwischen Martine Syms und Garrett | |
| Bradleys Videoarbeit „Dante 9–5“ über den Arbeitsalltag eines Postboten … | |
| 2013, ziemlich genau an der Schwelle zwischen beiden Ausstellungsräumen im | |
| Erdgeschoss, setzt die Komposition der Ausstellung schließlich ihren | |
| eigenen Soundtrack frei, für den sich die Tonspuren der Videoarbeiten aus | |
| dem ersten Raum mit dem Rauschen von Tuan Andrew Nguyens kinetischer Arbeit | |
| aus Bambussträngen, „Swirl“ (2025), die schon um die Ecke wartet, | |
| überlagern. „Swirl“ zitiert Körperwandlungen, vielleicht auch Mood Swings, | |
| so wie sich hier ein Gesicht – swisch – immer wieder zusammensetzt, um | |
| sogleich wieder zu entgleiten. | |
| Der Soundteppich mischt sich mit Takten, die mal von der Straße vor der | |
| Galerie, mal von Dantes Touren mit dem Postauto zu stammen scheinen. Ein | |
| Akkord, in den sich gelegentlich helle Noten aus William Kentridges Film | |
| „Fugitive Words“ (2025) mischen, die im zweiten Raum ein aufgeschlagenes | |
| Skizzenbuch begleiten. Davor das in Granitgneis gearbeitete Ohr im | |
| „Headstone“ (2025) von Mel Chin, das auf türkisen Sofapolstern ruht. In | |
| seinen Grafitzeichnungen („Auditory Pathology“, 2025) an der Wand arbeiten | |
| sich diese Polster in Gehörgänge vor. Ein unheimliches Bild des | |
| Verschließens, oder steht am Ende doch ein Prozess des Öffnens? | |
| Vielleicht ist es Mel Chins Hervorheben des Gehörsinns, das dazu führt, | |
| dass man in der hintersten Ecke der Ausstellung glaubt, Claudia Rankins | |
| „Aunties“ (2025) förmlich reden zu hören, so wie ihre auf Stoff gedruckten | |
| Fotografien hier auf einem Quilt zusammenkommen und sich aufgeschriebene | |
| Erinnerungen mit dem Gezeigten verweben. | |
| 25 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.berliner-kuenstlerprogramm.de/de/programm/ | |
| [2] https://www.dukeupress.edu/black-aliveness-or-a-poetics-of-being | |
| [3] https://www.theracialimaginary.org/ | |
| ## AUTOREN | |
| Noemi Molitor | |
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