| # taz.de -- Die Kunst der Woche: Schlagende Herzen und Gottes Kraftwerk | |
| > Das Schwule Museum zeigt queere Kunst aus der Ukraine. In einer | |
| > expressionistischen Kirche erfährt man von ihrem unbekannten jüdischen | |
| > Architekten. | |
| Bild: Anton Shebetko, Videostill aus „Simeiz“ (2022) | |
| Der Krieg würde das patriarchale Männerbild in der Ukraine noch mehr | |
| verhärten, schrieb vor einigen Wochen [1][Yelizaveta Landenberger in der | |
| taz]. Jetzt gebe es nur Platz für Helden. Gegen solch gesellschaftliche | |
| Erstarrungen arbeiten Künstler:innen aus dem kriegsgeschundenen Land | |
| immer wieder an. Nikita Kadan etwa zeigte, wie wenig vom Heldentum bei | |
| Gewalt und Zerstörung übrig bleibt, als er kürzlich auf einer Ausstellung | |
| in Chemnitz Beinprothesen von der Decke hängen ließ. | |
| Und jetzt stellt Alina Kleytman im [2][SMU] mit ihren seltsamen | |
| Organ-Maschinen in der Vitrine die Idee vom festgeschriebenen Körper | |
| überhaupt in Frage. Kleine Metallketten docken an Adern an, wie dunkelrote | |
| Fühler arbeiten sie sich aus einem rosa-gelben organischen Rund hervor. Ist | |
| das ein weiblicher Unterleib oder ein Herz? Wie das Herz im Titel dieser | |
| kleinen, feinen Ausstellung „A Heart that Beats“. | |
| Geschlechtlichen Eindeutigkeiten versucht auch Jan Bačynsjkyj mit den | |
| seltsamen Kostümen aus Kleidungsstücken und Objets trouvés zu entkommen, | |
| die dort an einer Wand hängen. „My Grandmother Proposes Me to Become a | |
| Woman“ heißt eine der textilen Installationen. Bačynsjkyj verfasste | |
| übrigens auch das online einsehbare [3][„Queer War Archive“], ein Album | |
| über LGBTQIA+'s jetzt an der Front. Von Eddy, dem bisexuellen | |
| Dronenspezialisten, oder Lesya, der Transfrau am Geschütz erfährt man da. | |
| Die Ausstellung zeigt einen kurzen Abriss über queere Kunst aus der Ukraine | |
| und macht deutlich, wie jung und angreifbar ein liberales Leben dort auch | |
| ist. Auf Yevgenia Belorusets' Fotografien von 2011 wirken die queeren Paare | |
| noch sehr zurückgezogen. Erst seit den Maidan-Protesten 2014 seien Queers | |
| sichtbarer, gesellschaftlich akzeptierter, erfährt man. Im gleichen Jahr | |
| aber, mit der Annexion der Krim durch Russland, verschwand das schwule | |
| Mekka „Simeiz“. Anton Shebetko, der die Ausstellung gemeinsam mit Maria | |
| Vtorushyna kuratierte, erinnert in einem Film mit verblichenen, | |
| melancholisch nachkolorierten Fotos an die Parties in der Krimstadt, die | |
| seit den 1990er Jahren in einer Kneipe stattfanden. Heute steht dort eine | |
| Imbissbude. | |
| Auch zu sehen ist eine Collage der Queer-Ikone und Kinorebellen aus | |
| Sowjetzeiten Sergei Parajanov. 1974 angeklagt wegen „Sodomie“, fabrizierte | |
| er das geradezu manisch vollgestopfte Bild im Knast aus allem, was ihm | |
| unter die Hände kam. | |
| ## Das „Kraftwerk Gottes“ | |
| Ist das da in Wilmersdorf eine Kirche, ein heidnischer Tempel oder eher | |
| eine monumentale Fabrik aus dunklem Klinker mit ihrem stelenartig 66 Meter | |
| in die Höhe schießenden Turm? Ein beeindruckend archaisches Teil ist die | |
| evangelische Kirche am Hohenzollerndamm, das „Kraftwerk Gottes“, wie sie in | |
| der darin stattfindenden Ausstellung bezeichnet wird, mit ihren | |
| architektonischen Anklängen an Romanik und Gotik ebenso an die Sachlichkeit | |
| des Neuen Bauens, und schon deswegen einen Besuch wert. | |
| Eingeweiht 1933, war die Kirche bislang bekannt als ein Entwurf des | |
| Backsteinexpressionisten Fritz Höger, dessen Chile-Haus in Hamburg ihn | |
| weltberühmt machte. Dass auch die [4][Kunst des Expressionismus eine | |
| ideologische Nähe zum Nationalsozialismus] haben konnte und etwa Höger | |
| versuchte, seine Architektur den Nazis anzudienen, 1932 sogar der NSDAP | |
| beitrat, ist weitgehend publik. Überraschend und bislang vollkommen | |
| unbekannt ist hingegen ein weiterer Architekt des Wilmersdorfer | |
| Kirchenbaus: Ossip Klarwein. Der jüdische Klarwein, der 1933 Deutschland | |
| verlassen musste und später den noch jungen Staat Israel mitaufbauen | |
| sollte. Das Gebäude der Knesset in Jerusalem geht auf ihn zurück. | |
| Viel weiß man nicht über Ossip Klarwein. Und das gab der Journalistin | |
| Jacqueline Hénard Anlass, in israelischen und deutschen Archiven nach ihm | |
| zu suchen. Im [5][„Kraftwerk Gottes“] hat sie eine kleine, sehr präzise | |
| recherchierte Ausstellung über ihn eingerichtet. Darin holt Hénard nicht | |
| nur die Bauten und Entwürfe des modernen Architekten hervor, sie | |
| rekonstruiert auch den dramatischen Lebensweg Klarweins, der aufgrund | |
| seines jüdischen Hintergrunds immer wieder Verfolgungen ausgesetzt war. | |
| Als 12-Jähriger mit seiner Familie aus Polen nach Deutschland | |
| übergesiedelt, studierte Klarwein beim großen Hans Poelzig in Berlin, | |
| arbeitete dort an kleineren Wohnprojekten (auch seine Entwürfe für einen | |
| praktischen Kinderwagen sind zu sehen), um 1926 bei Fritz Höger anzufangen. | |
| Er muss wichtige gestalterische Impulse für Höger geliefert haben. Die | |
| charakteristische Rauten auf der Backsteinfassade des Sprinklerhofs in | |
| Hamburg, direkt neben dem [6][Chile-Haus,] scheinen von ihm zu kommen. | |
| Jahre später sollte Klarwein seine monumentalen Dagon-Silos am Hafen von | |
| Haifa mit eben diesem markanten Rautenmuster überziehen. | |
| Das Verhältnis zwischen Höger und Klarwein zeigt auch die | |
| Widersprüchlichkeiten der NS-Zeit auf. Höger muss seinen Mitarbeiter sehr | |
| geschätzt haben, unterstützte ihn bei seiner Flucht ins britische | |
| Mandatsgebiet Palästina. Dort baute Klarwein zunächst kleine Privathäuser | |
| oder Geschäftsbauten im Stil der Neuen Sachlichkeit, um ab 1949, nach | |
| Gründung des Staats Israel, viele öffentliche Aufträge zu erhalten: | |
| Bahnhöfe, Theater, Universitätsbauten, das Grabmal Theodor Herzls, die | |
| Knesset. Der [7][Fotograf Eli Singalovski] lichtete einige von ihnen ab. | |
| Singalovskis lichterne Bilder in Schwarz-Weiß sind auch in der Ausstellung | |
| zu sehen. Auf denen wirkt Klarweins Architektur leicht, transparent, | |
| expressiv modern. | |
| Ossip Klarwein starb 1970 in Israel. Viele seiner Bauten gibt es heute | |
| nicht mehr, sind überbaut und abgerissen. Seine Schwester Bronislawa | |
| Klarwein hingegen wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Das fand Jacqueline | |
| Hénard auch im Zuge ihrer Ausstellungsrecherchen heraus. Es gibt jetzt | |
| einen Stolperstein an Bronislawa Klarweins langjähriger Berliner Adresse in | |
| der Motzstraße 15. | |
| 23 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kunst-aus-Ukraine-und-Ostdeutschland/!6087379 | |
| [2] https://www.schwulesmuseum.de | |
| [3] https://queerwararchive.com | |
| [4] /Emil-Nolde-war-ein-Antisemit/!5584897 | |
| [5] https://klarwein.org/ | |
| [6] /Koloniale-Gewalt-in-Chile/!6011888 | |
| [7] /Foto-Ausstellung-im-Muenchner-Stadtmuseum/!5928161 | |
| ## AUTOREN | |
| Sophie Jung | |
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