| # taz.de -- Kunst aus Ukraine und Ostdeutschland: Suche nach Identität | |
| > In der Chemnitzer Ausstellung „Woraus wir gemacht sind“ trifft | |
| > ukrainische auf ostdeutsche Kunst. Die Verbindung stimmt nachdenklich, | |
| > geht aber auf. | |
| Bild: Was bleibt vom Heldentum im Krieg? Eine Prothese von Künstler Nikita Kad… | |
| Trümmer liegen auf einem weißen Sockel – verformte Glasbausteine, die über | |
| Waschbetonfragmenten geschmolzen sind, als hätte ein gewaltiger Brand das | |
| Glas in den Beton gepresst. Ein Bild, das aus der Ukraine stammen und die | |
| Folgen eines russischen Luftangriffs bezeugen könnte. | |
| Die Arbeit von Eric Meier, aufgewachsen in Frankfurt an der Oder, ist Teil | |
| der von Alona Karavai kuratierten Ausstellung „Woraus wir gemacht sind“ in | |
| den postindustriellen Hallen des Chemnitzer Wirkbaus. Gezeigt werden Werke | |
| junger ukrainischer und ostdeutscher Künstler:innen, die sich mit Identität | |
| und Fragilität, mit der Beziehung zwischen Materialität und Resilienz | |
| auseinandersetzen. | |
| [1][Karavai selbst], die früher als Kuratorin im Kunstzentrum Izolyatsia in | |
| Donetsk arbeitete, musste 2014 wegen des russischen Krieges im Donbas | |
| zusammen mit ihrer Tochter nach Iwano-Frankiwsk im Westen des Landes | |
| fliehen. Izolyatsa wurde von den russischen Besatzungstruppen zu einem | |
| Foltergefängnis umfunktioniert. | |
| Aber Meiers Arbeit hat nicht direkt mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. | |
| Der Künstler interessiert sich vielmehr für den Umgang mit typisch | |
| sozialistischen Baumaterialien, [2][für das architektonische Erbe, das die | |
| DDR hinterließ], und die Formen, die es heute annimmt. | |
| Hinter seinen kleinen Glas-Beton-Skulpturen ist die Fotografie eines | |
| abstrakten Betonreliefs des DDR-Künstlers Karl-Heinz Adler als | |
| Schwarz-Weiß-Druck an der Wand angebracht. Kratzer, Wasserflecken, | |
| Betonkrebs prägen die Oberfläche. Wie das Material sich mit der Zeit | |
| ändert, finden auch gesellschaftlich Verschiebungen darum statt, liest man | |
| aus Meiers Installation. | |
| Lebensalltag zu Kriegszeiten | |
| „Salisnist“, Ukrainisch für „Eisern sein“ prangt auf der Merch-Tasse d… | |
| ukrainischen Eisenbahngesellschaft, die Dariia Kuzmych auf ihrem Knie | |
| abgestellt hat, während sie in der Badewanne sitzt und liest. In einer | |
| zweiteiligen Videoarbeit zeigt die Kyjiwer Künstlerin ihren Lebensalltag im | |
| Krieg. | |
| Ihr rechtes Knie besteht infolge eines Verkehrsunfalls aus Metall, ist | |
| deshalb breit und abgeflacht – und bekommt so eine neue Funktion. Im | |
| anderen Teil der Videoarbeit balanciert sie darauf ein Weinglas, auf einer | |
| Couch im Wohnzimmer sitzend, sich mit ihren Freund:innen unterhaltend. | |
| Es geht freilich um den Krieg, die Angst, ums Leben zu kommen, um gefallene | |
| Bekannte wie die kürzlich an der Front verstorbene Künstlerin Margarita | |
| Polovinko. Auch kleine Albernheiten und Anekdoten mischen sich ins | |
| Gespräch, untermalt von elektronischen Beats, die durch die gesamte | |
| Ausstellungshalle schallen. | |
| Improvisierte Gräber an der Front | |
| In der Ecke liegt ein Haufen Erde auf dem Boden, aus dem zartes Grün keimt. | |
| Umstellt ist es mit einem Kreis aus 15 kleinen durchnummerierten | |
| Betonplatten mit provisorisch modellierten Bildmotiven. Sie sehen aus wie | |
| Miniaturgrabsteine. Man muss unweigerlich an die improvisierten [3][Gräber | |
| in den Frontgebieten der Ukraine] denken, in denen die Überlebenden ihre | |
| Nächsten begraben. | |
| An der Wand dahinter schlüsselt eine mit Bleistift geschriebene Legende | |
| auf, wem die Betonplatten gewidmet sind: dem Versteckten, dem Mobilisierten | |
| oder dem Verschwundenen. | |
| Dasha Chechushkova geht es in der eindrücklichen Arbeit „Flower Bed“ um | |
| Männer, um ihre schwierige Lage in der patriarchal geprägten ukrainischen | |
| Gesellschaft, die gerade im gegenwärtigen Krieg, zumindest nach außen hin, | |
| nur Platz für Helden übrig hat. | |
| Derweil illustriert [4][Nikita Kadan, einer der bekanntesten Künstler aus | |
| der Ukraine], mit einer Beinprothese, was der Krieg für diese Helden | |
| körperlich mit sich bringt: den Verlust von Gliedmaßen. | |
| Rassismus und Ausgrenzung | |
| Ein riesiger, aufblasbarer rot-pink-gelber Stern hängt mitten im Saal | |
| gemächlich rotierend von der Decke. [5][Minh Duc Pham], Sohn ehemaliger | |
| vietnamesischer Vertragsarbeiter:innen in der DDR, hatte ihn während | |
| einer Performance zur Eröffnung mit einem Föhn aufgeblasen und dazu Texte | |
| zu seiner bewegenden Familiengeschichte gelesen, die von Rassismuserfahrung | |
| und Ausgrenzung geprägt ist. | |
| „Friendship Fatigue“, seine karikatureske Version des | |
| Völkerfreundschaftsordens der DDR, verliert stetig Luft und wird zum Ende | |
| der Schau von der Decke baumeln als leere Hülle, als die sich die | |
| ideologischen Konstrukte des realexistierenden Sozialismus letztlich | |
| erwiesen. | |
| Benjamin Gruner, der künstlerische Leiter der Pochen Biennale in Chemnitz, | |
| der auch diese Ausstellung mit Kuratorin Karavai initiiert hat, will mit | |
| „Woraus wir gemacht sind“ einen Austausch schaffen. Gerade mit denjenigen | |
| Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind und dazu neigen, Russland noch | |
| immer als „den großen Bruder“ wahrzunehmen, mit dem man sich besser nicht | |
| anlegt, weil er ohnehin gewinnen würde. Mit dieser Klientel komme es schon | |
| einmal zu Diskussionen. Die seien nicht immer einfach, aber notwendig, so | |
| Gruner. | |
| Doch wäre es schief, die Veränderungen, die der Krieg in der Ukraine mit | |
| sich bringt, mit den gesellschaftlichen Transformationsprozessen | |
| Ostdeutschlands gleichzusetzen. Das tut aber diese nur zweiwöchige | |
| Ausstellung nicht. Stattdessen illustriert sie die aufrichtige Suche nach | |
| Identität, in einem Land, das sich gegen einen imperialistischen Angriff | |
| behaupten muss, und in einer Region, die nach der Wende mit Brüchen ringt – | |
| und sie forciert dabei kein Gleichheitszeichen auf. | |
| 30 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Yelizaveta Landenberger | |
| Mitya Churikov | |
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