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# taz.de -- Ausstellung „Muddy Measures“ in Berlin: Durchs Watt und in die …
> Eine Ausstellung im Tieranatomischen Theater widmet sich den
> Feuchtgebieten der Welt. Sie zeigt auf, was diese gefährdet und wer sie
> zu bewahren versucht.
Bild: Von Ockergelb bis Tiefbraun: Teresa Pereda sammelte von 2006 bis 2025 Was…
Wer hier auf der Seite der Schwarzstirnlöffler steht, ist sofort erkennbar.
Lachend halten die Menschen Protestschilder in die Höhe oder recken ihre
Fäuste der Kamera entgegen – darunter ältere und jüngere, in Businessdress
oder Freizeitkleidung, Nonnen und Priester. Viele von ihnen tragen Masken
wie Hüte auf den Köpfen, für die das markige Aussehen des gefährdeten
Vogels mit schneeweißem Gefieder und löffelartigem Schnabel als Vorbild
diente.
Recht chaotisch mutet die bunte Schar an, die sich 2023 in der Planstadt
Sejong für ein Gruppenfoto zusammenstellte. Doch formierte sich die zivile
„Saemangeum Citizen Ecological Investigation Group“ als eine Phalanx gegen
den Kapitalismus. Ihre Koalition wehrt sich gegen Pläne des südkoreanischen
Infrastrukturministeriums, das Sura-Watt in der Provinz Nord-Jeolla zum
Ausbau des Saemangeum International Airports zu nutzen.
David gegen Goliath, ein eigentlich aussichtsloses Unterfangen – ein
anderes Vogelhabitat und einzigartiges Biotop fiel dem Flughafenprojekt
bereits zum Opfer: das Küstengebiet Saemangeum, das unter Einfluss der
Gezeiten stand, bis Südkoreas Regierung den Rastplatz entlang zentraler
Zugvogelrouten mit einem gigantischen Deich trockenlegte.
Veränderungen der Wattenmeere
Mit welcher Hingabe und Akribie die Bürgertruppe um den aus Gunsan
stammenden Dong-Pil Oh seit 20 Jahren Woche für Woche die Veränderungen der
Wattenmeere dokumentiert, kann aktuell in der Ausstellung „Muddy Measures“
im Tieranatomischen Theater in Berlin bestaunt werden.
Gemeinsam sammeln sie Daten zum Populationsbestand von Gamurak-Muscheln,
Winkerkrabben, Löfflern und Strandläufern. Ihre Aufzeichnungen – Fotos,
Feldnotizen, Wasserqualitätstests – kontrastieren Regierungsberichte, die
Standortvorteile für den Flughafen betonen und selbst Zusammenstöße mit
Zugvögeln ignorieren (2024 kam es etwa in Muan zu einem Absturz mit 179
Toten).
Ihre Arbeit versteht die Gruppe als Akt des Widerstandes und der
Solidarisierung. Dort, wo Arten verschwanden, fanden sich an den erhöhten
Salzgehalt angepasste Spezies in den künstlich gestauten Saemangeum-Seen
ein. Nur eine dauerhafte Öffnung der Schleusentore kann eine Ausbreitung
sauerstoffarmer Todeszonen verhindern, in denen kein Leben möglich ist.
„Das Sura-Watt ist der Löffler“, schreiben sie, „das Sura-Watt bist du,
sind wir.“ Identitätsstiftend und ökologisch wertvoll, daran bemisst sich
kaum Baukapital.
Stundenlang könnte man sich in Südkoreas Wattenmeer-Welt vertiefen, „Muddy
Measures“ hat allerdings noch viel mehr zu bieten. Während einen Raum
weiter das Paradoxon „Moorkartierung“ am Beispiel Berlin-Brandenburg unter
die Lupe genommen wird – von 1953 bis 1972 durchgeführte Messungen dienten
erst dazu, Moore zu entwässern, heute helfen sie bei der Renaturierung –
führt der Kosmos nebenan ins weit entfernte Patagonien.
Drucke aus der argentinischen Provinz Neuquén
Als habe jemand den Mars bereist und Maß genommen, wirkt die von rostroten
Maserungen durchdrungene Serie „Land Prints“. Tatsächlich aber handelt es
sich um Abdrucke eines Feuchtgebiets in der Provinz Neuquén im Westen
Argentiniens. Teresa Pereda fertigte diese zwischen 2007 und 2017 mit
Baumwollfaserpapieren an.
Spuren von organischen Substanzen, von Mineralien wie Calcium oder
Eisenmetalle haften daran. Auch deshalb befinden sich die Werke der
bildenden Künstlerin und Forscherin stetig in Bewegung – ähnlich wie sich
die Optik der sogenannten Mallín permanent wandelt.
Diese weit verzweigte, moorige Sumpflandschaft stellt ein Paradies für
Tiere und Pflanzen in der trockenen Pampa Patagoniens dar. Zudem ist das
Feuchtgebiet, das auf [1][Mapuche-Territorium] liegt, für die lokale
Wirtschaft von Bedeutung und somit Schauplatz politischer Konflikte.
Wie das indigene Volk Südamerikas betrachtet Teresa Pereda, die seit
Jahrzehnten engen Kontakt zur ansässigen Mapuche-Gemeinde pflegt, das
Sumpfland als lebendige Entität. Kapital oder kulturelles Erbe – fast 300
Jahre wehrten sich die Indigenen erfolgreich gegen die spanischen
Konquistadoren, ihre Unabhängigkeit verloren sie nach der „Wüstenkampagne�…
einem Vernichtungskrieg gegen die argentinische Urbevölkerung, in dem von
1878 bis 1884 Tausende des Mapuche-Volkes ermordet wurden.
Ins Kleinste verdichtete Materie
Geschichte, die Pereda indirekt, mittels gegenwärtiger Analysetechniken und
ausgehend vom traditionell verankerten Verständnis der Mapuche für
natürliche Ressourcen, sichtbar macht. Ihre Bilder von
Feuchtgebietpartikeln unterm Mikroskop oder Röntgenbilder ihrer Drucke,
vagabundierender Planeten im All nicht unähnlich, erfassen bis ins Kleinste
verdichtete Materie.
Nach dem gleichen Prinzip potenziert „Muddy Measures“ Wissen, das dazu
anregt, über Ist-Zustände hinaus zu denken. Ergänzt wird die kollaborative
Schau, zu der gut zwei Dutzend Teilnehmende aus Kunst und Wissenschaft
Beiträge lieferten, unter anderem um Gastausstellungen, die Einblick in
Berliner Forschungsprojekte geben.
3 Jun 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Jana Janika Bach
## TAGS
Ausstellung
Berlin Ausstellung
Ökologie
Kunst
Moor
Wattenmeer
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kunst
Postkolonialismus
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