# taz.de -- Fotobuch von ukrainischen Jugendlichen: V wie Verlust | |
> Wie fühlt sich Krieg an? Gemeinsam mit Masha Pryven fotografieren | |
> geflüchtete Jugendliche ihr „Alphabet des Krieges“ – und zeigen klare | |
> Haltung. | |
Bild: So fotografieren sie R wie das Recht zu Hassen | |
„Alle meine Pläne sind durchkreuzt, und ein Teil von mir ist getötet | |
worden.“ So beschreibt ein ukrainischer Jugendlicher, was Krieg für ihn | |
bedeutet. Nichts ist mehr wie vorher – nicht einmal die Sprache. Mit einem | |
Foto, einem Buchstaben und einem Gedanken holen sich acht Schüler*innen | |
ihre Stimme zurück. Entstanden ist ein Buch, das mal subtil, mal | |
erschütternd klar zeigt, wie junge Menschen Krieg erleben. | |
Yehor Dudnichenko ist 15, als er vor dem russischen Angriffskrieg aus | |
seiner Heimat, der Ukraine, flüchten muss. Am Immanuel-Kant-Gymnasium in | |
Berlin-Lichtenberg wird er gemeinsam mit anderen ukrainischen Jugendlichen | |
aufgenommen. Damals kann er weder Deutsch noch das Alphabet und fühlt sich | |
oft stumm und unverstanden. | |
Zu dieser Zeit unterrichtet Masha Pryven an der Schule. Die Künstlerin und | |
Fotografin ist selbst in der Ukraine geboren und lebt seit 2014 in Berlin. | |
Sie meldet sich freiwillig, um den Jugendlichen Deutsch beizubringen. Und | |
irgendwann auch das Fotografieren. Über zwei Jahre treffen sie sich | |
wöchentlich nach dem Unterricht und tüfteln an einem Fotoprojekt. Gemeinsam | |
realisieren sie zwei Ausstellungen in Berlin und schließlich auch das Buch. | |
Pryven wollte damit die Jugendlichen ermutigen, ihre Gefühle in noch | |
ungewohnter Sprache auszudrücken. | |
Aber wie macht man ein Foto von einem unscharfen Gefühl wie Schmerz, | |
Verlust oder Ungewissheit? So wie Krieg jegliche Ordnung zerstört, folgen | |
auch die Fotografien in diesem Buch keiner linearen Erzählung. Mal sind sie | |
bewusst inszeniert, mal symbolisch, mal roh. Immer treten sie in Dialog mit | |
dem daneben stehenden Wort. Eine grell-grüne Lichterkette – Hoffnung? Nein, | |
es ist nur T wie ein Traum: „Die Ukraine ist frei. Alles gehört uns. Und | |
wir können dorthin zurückkehren.“ | |
Deutschland wird in ihren Bildern nicht zum neuen Zuhause stilisiert, | |
sondern erscheint vielmehr als Ort nach dem Bruch. Die Jugendlichen | |
fotografieren ein auf Pappe gemaltes, zerschnittenes Haus: „Nachdem ich | |
acht Mal umgezogen bin, weiß ich nicht mehr, wo mein Zuhause ist.“ Manchmal | |
erzählt die Kombination aus Bild und Text auch etwas Unerwartetes: B wie | |
Bombardierung. Daneben kein zertrümmertes Haus, sondern eine Gebetskarte. | |
„Das ist, wenn ich betete, obwohl ich nicht an Gott glaubte.“ | |
## Kritisch und meinungsstark | |
Über den Bildern liegt eine gewisse Melancholie. Aber auch Wut, die ein | |
Ventil sucht. Mit jedem Umblättern wird deutlicher – die Jugendlichen haben | |
eine klare Haltung: R wie das Recht, alles zu hassen, was mit Russland zu | |
tun hat. Daneben brennt ein Zeitungsartikel mit dem Gesicht eines | |
russischen Oligarchen. Die Schriftstellerin [1][Ewa Maria Slaska] | |
kommentiert dazu, Hass könne wie jede tiefe Emotion reinigen. Vielleicht | |
ist es das, was die Jugendlichen versuchen? | |
Auch die deutsche Politik lassen sie nicht unkommentiert. Auf den Rücken | |
eines Jugendlichen haben sie mit rotem Marker „Donezk“, „Luhansk“ und | |
„Krim“ geschrieben. Gestrichelte Linien trennen die Worte wie Grenzen | |
voneinander. „Das ist der Preis des deutschen Pazifismus.“ | |
Immer wieder geht es im Projekt auch um Identität. Pryven stellte nach der | |
ersten Ausstellung fest, dass es viel Unwissenheit über die Ukraine in der | |
deutschen Gesellschaft gebe. Schulkamerad*innen fragten die | |
Jugendlichen zum Beispiel, [2][ob Ukrainisch ein Dialekt sei], oder ob sie | |
wüssten, wie man das Internet benutze. Mit dem Projekt wollen sie zeigen: | |
Die Ukraine ist ein eigenständiges Land, [3][mit eigener kultureller und | |
sprachlicher Identität]. Es ist auch der Beweis: Junge Menschen haben eine | |
politische und emotionale Haltung. Sie haben viel zu sagen und müssen | |
gehört werden. Krieg zerstört, aber er muss nicht lähmen. | |
27 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Emilia Papadakis | |
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