# taz.de -- Die Kunst der Woche: Lichte Räume | |
> Slater Bradley hebt ins Göttliche ab, Ghislaine Leung legt mit Nichts den | |
> Kunstbetrieb frei und Alona Rodeh setzt Straßenlaternen Cappys auf. | |
Bild: Slater Bradley: „DRAGONSLAYER“, Installationsansicht Parochialkirche,… | |
Als läge vor einem das Labyrinth von Richard Long, das der Land Artist 1971 | |
in Connemara, im rauen irischen Nichts, plötzlich aus zusammengeklaubten | |
Steinen im Gras auftauchen ließ. Und auch der Innenraum der Parochialkirche | |
erinnert irgendwie an die elementare Gegend, in der Richard Long seine | |
Steinfigur der Vergänglichkeit aussetzte. Er ist in rohem Backstein | |
belassen, der Dachstuhl ist offen. Das Architekturbüro Kuehn Malvezzi | |
wollte so seinen Zustand nach dem Zweiten Weltkrieg sichtbar belassen, als | |
es die barocke Kirche von Johann Arnold Nering vor einigen Jahren sanieren | |
ließ. | |
Dennoch ist etwas ganz anders an dem Labyrinth aus Hunderten Brocken | |
Honigcalcit und Chevron-Amethyst von Slater Bradley auf dem Boden der | |
kargen Kirche. Hatte Long noch ein gesellschaftliches Bewusstsein für die | |
Umwelt wachrufen wollen, so deuten Slater Bradleys 1.200 Kilogramm | |
Steinstücke total ins Innerliche, Spirituelle. | |
Esoterik all over herrscht in Bradleys Ausstellung „Dragon Slayor“. Der | |
US-Amerikaner Bradley, Jahrgang 1975, der in den Nullerjahren mit seinen | |
transmedialen Arbeiten über Ikonen der Pop- und Massenkultur viel Erfolg | |
hatte, der jüngste Künstler, dem das New Yorker Guggenheim eine Soloschau | |
ausrichtete, begibt sich jetzt ins Weltentrückte. | |
Geometrische Muster in Blau und viel Gold auf den Bildtafeln an den Wänden | |
zeigen Sternenkonstellationen und abstrahierte Engel, auch den | |
titelgebenden Drachentöter Erzengel Michael. Alles wird untermalt von einer | |
Soundinstallation Dustin O’Hallorans. Der hat sich für seine sphärischen | |
Klänge beim russischen Komponisten und Mystiker Alexander Nikolajewitsch | |
Skrjabin bedient. | |
Es kann einem unheimlich werden ob Bradleys erhabenen, immersiven | |
Gesamtarrangements, das einen nur zu einem sprachlosen Partikel irgendeines | |
göttlichen Geschehens macht. Aber diesen ästhetischen Trip kann man sich | |
mal geben. Man kommt ja wieder raus. | |
## Poetische Institutionskritik | |
Ziemlich hiesig, radikal realistisch ist hingegen die Ausstellung von | |
Ghislaine Leung im n.b.k. Obwohl dort kaum etwas zu sehen ist. Die großen | |
Säle im Erdgeschoss sind fast leer, nur ungewohnt licht. Die britische | |
Konzeptkünstlerin hat dort die vorherige Ausstellungsarchitektur abbauen | |
lassen, plötzlich sind jahrelang verdeckte Fensterflächen frei. Offene | |
Kabelwege ziehen sich jetzt entlang der Wände und Schlieren von Buttermilch | |
auf dem Fensterglas. Irgendwann mal, für irgendeine Ausstellung vor zig | |
Jahren, hat man das fermentierte Milcherzeugnis zur Verdunkelung des Saals | |
daran geschmiert. Auch alte Neonlampen aus dem Keller des n.b.k. liegen | |
herum. Es passiert eigentlich nichts in Leungs Ausstellung „Reproductions“, | |
aber man spürt, was im n.b.k. alles mal passiert war. | |
In einer hinteren Ecke hängt großformatig eine Kostenauflistung an der | |
Wand. Solche Listen kennt man von der 1980 geborenen Leung, wie diejenige, | |
die sie letztes Jahr in der Kunsthalle Basel simpel mit „Jobs“ betitelte. | |
All ihre Tätigkeiten im Kunstbetrieb zählte sie darin chronologisch auf, | |
angefangen mit der Babysitterin, zur Grafikdesignerin, Art Händlerin, | |
Assistentin bis hin zur eigenständigen Künstlerin und Mutter. Im n.b.k. | |
legt sie nun offen, wie viel auch eine so minimalistische Ausstellung wie | |
„Reproductions“ kostet: 54.775,29 Euro. Das meiste geht für Material und | |
(De-)Installation drauf, die Künstlerin selbst erhält brutto 2.500 Euro für | |
Konzept, Aufbau, alles. | |
Den Kunstbetrieb und seine prekäre Ökonomie freizulegen, ist ja eigentlich | |
klassische Institutionskritik. Aber Ghislaine Leung gibt ihrer Soloschau im | |
n.b.k. dann noch etwas ungewohnt Nahbares. Sie macht sich selbst als | |
fragile Figur darin ablesbar. Und auch die Besucher:innen werden Teil | |
ihres nichtshaften Geschehens: Bonbonpapiere auf dem Boden, Taggs an der | |
Wand – überall sind kleine Anwesenheitsbekundungen zu finden. | |
## Caps für Straßenlaternen | |
Aus den fragilen White Cube in den öffentlichen Raum des nahegelegenen | |
Weddinger Brunnenviertels, wo die Künstlerin Alona Rodeh kürzlich ihre | |
zweite Serie von Straßenlampen-Caps einweihte. Ja: Kopfbedeckungen für | |
Stadtleuchten. Das einstige Flächensanierungsviertel entlang der Berliner | |
Mauer mit seinen spätmodernen und postmodernen Wohnanlagen ist nämlich, | |
ganz gemäß der Westberliner Stadtplanung der 1960er bis 70er, von | |
Grünanlagen durchzogen. Und darin befinden sich auch jede Menge | |
kugelförmige Straßenlaternen. Die Wohnungsbaugesellschaft Degewo ließ diese | |
charakteristische Straßenbeleuchtung mit ihrem freundlich-spielerischen | |
Design dort aufstellen. | |
Allerdings strahlen die netten Kugeln nachts ihr Licht in alle Richtungen | |
ab. Lichtverschmutzung. Alona Rodeh, die selbst im Brunnenviertel lebt und | |
ohnehin gerne die nächtliche Stadt zum Thema ihrer multimedialen Kunst | |
macht, hat daher solche „Nightcaps“ konzipiert. Waren es in der ersten | |
Serie noch diverse Kopfbedeckungen, die auch eine diverse | |
Bewohner:innenschaft spiegeln – Caps mit Propeller, Helme, | |
Krempenhüte, Tücher -, greift Rodeh jetzt ins Mythische: Eine Fledermaus | |
liegt auf einer Kugel, eine Leuchte wird zum Kopf der Medusa mit züngelnden | |
Schlangen. Die „Nightcaps“ sorgen dafür, dass das Licht der degewo-Lampen | |
nur nach unten strahlt. Und für ein bisschen Pop und Goth bei Nacht. | |
26 Jul 2025 | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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