# taz.de -- Die Kunst der Woche: Spiel mit den (Bild-)Räumen | |
> Michael Ackerman präsentiert seinen eigentümlichen fotografischen Stil in | |
> Berlin. Pia Lanzinger und der KreisverChor besingen den Moritzplatz. | |
Bild: Performance der Straßenkehrer:innen: Pias Lanzingers Projekt „Tres pie… | |
Seit 10 Jahren schon ist das Verwalterhaus Ausstellungsort. „Raum für | |
aktuelle Kunst und Kultur“ wie es auf der [1][Homepage] heißt. Wer den Ort | |
noch nicht kennt, sollte spätestens jetzt hingehen. Denn mit den Bildern | |
von Michael Ackerman wird dort die derzeit ziemlich spannendste | |
Fotoausstellung Berlins gezeigt. | |
Das Verwalterhaus war tatsächlich einmal das Haus des Verwalters des 1802 | |
eröffneten und inzwischen aufgelassenen Friedhofs St. Marien und St. | |
Nikolai, der verwildert und so zu einem herrlichen Stück Natur gleich | |
hinter den Hotel- und Bürohochhäusern am Alexanderplatz mutiert ist. Hier | |
arbeitet unter Leitung von Niels Beugeling, dem Kurator des | |
Jahresprogramms, ein Team aus Künstler:innen, Grafiker:innen, | |
Fotograf:innen, Schriftsteller:innen und Kunstliebhaber:innen | |
zusammen, um Ausstellungen, Konzerten Lesungen und Workshops zu | |
organisieren. | |
Michael Ackerman (*1967), lebt und arbeitet in New York und zuletzt auch in | |
Berlin. Vor allem wegen zwei französischen Druckexperten in Berlin, die in | |
der Lage sind, auf dem richtigen Papier die verwunschenen Abzüge seiner | |
Fotos zu machen, die ihm vorschweben. Es schwebte ihm auch immer vor, | |
Arbeiten aus seiner 40jährigen Tätigkeit als Fotograf einmal im | |
Verwalterhaus auszustellen, bevor er nach New York zurückkehrt. | |
Die Bedeutung der Printer wird sofort klar, wenn man vor den Abzügen steht. | |
Die Bilder sehen dann ganz anders aus als man sie aus Zeitschriften, | |
Zeitungen oder dem Internet kennt. Da sehen seine Aufnahmen oft wie | |
sozialdokumentarische Fotografie der 1970er Jahre aus, mit ihrem harten | |
Schwarzweißkontrast und der Unschärfe, die sich damals als Code für | |
Authentizität etablierte. Das lag an der Kriegsfotografie aus Vietnam, wo | |
jede Aufnahme zählen konnte, weshalb man die technischen Belange | |
hintanstellte. | |
Ackermans Fotos sind jedoch das ganze Gegenteil von vielen schnellen | |
Aufnahmen. Sie haben, möchte man sagen, alle Zeit der Welt. Und sie haben | |
diese Zeit durchaus für die Verletzlichen und die Verletzten, für die | |
Geschwächten und die Schwachen, für die Außenseiter, denen sich Ackerman | |
zugehörig fühlt. Und weil sie seine ganze Aufmerksamkeit haben, sehen wir | |
auf den Fotos statt Elend und Anklage eine Staunen machende, fragile | |
Schönheit der Welt, der Menschen, Tiere und Dinge. | |
Wie der Affe auf den Stromkabeln. Das Bild gehört zu Ackermans 1995 | |
entstandener Serie über Benares, die älteste durchgängig besiedelte Stadt | |
der Welt. Das Motiv ist in eine runde Schwärze gebettet. Man fragt sich, ob | |
das einfach passiert ist oder in der Dunkelkammer produziert wurde. Es ist | |
dann einfach passiert, weil Ackerman eine billige chinesische Plastikkamera | |
benutzte. Da die jedoch für diese Art der Vignettierung berühmt ist, ist es | |
auch gewollt. Auch auf diese unkomplizierte Art und Weise entsteht | |
Ackermans eigentümlich faszinierender Stil. | |
Der Gang durch das Verwalterhaus entpuppt sich dann als eine Erzählung mit | |
mehreren Kapiteln. Nach Benares, Porträts und Stillleben ist die Begegnung | |
mit Benjamin – eigentlich Robert Dickerson, dem Frontman der Band Snow – | |
ein weiteres Kapitel. Es folgt der „New Yorker“ Treppenaufgang – wegen dem | |
nebelverhangenen Blick auf das Empire State Building, der aus den vielen | |
kleinen und ganz kleinen Fotografien hervorsticht. Ein Kapitel mit Vögeln | |
im Obergeschoß ist allein schon den Weg wert. Vor allem findet sich dort | |
aber die beeindruckende Serie vom jüdischen Friedhof in Warschau und der | |
Raum, der seiner Familie gewidmet ist. | |
Michael Ackerman wurde in Tel Aviv geboren, wuchs aber in New York auf. Für | |
ihn und seine Geschwister war der Umzug vom sonnigen Tel Aviv in den | |
hässlichen Wohnblock des New Yorker Vororts ein Schock, für die Mutter eine | |
Katastrophe, wie [2][Ackerman auf seiner Website] schreibt. Es war sein | |
1933 in Czernowice geborener Vater, den es fortzog. Er hatte den Zweiten | |
Weltkrieg in verschiedenen Lagern überlebt, bevor er 1948 nach Israel kam | |
und dort zur Armee eingezogen wurde, wo er einen Zusammenbuch hatte. | |
Deshalb wollte er nicht, dass seine Söhne Soldaten werden und die gleichen | |
Traumata durchmachten. | |
## Mitmischen am Ort | |
Pia Lanzingers Kunst ist aktivistisch und bezieht daher Interessierte wie | |
Halb-Interessierte mit ein. Man sollte sich also von ihr verführen lassen | |
und sich gleich am Samstag (5. Juli) um 17 Uhr auf dem Moritzplatz | |
einfinden, für die musikalische Parade des KreisverChors. Der [3][Chor der | |
Statistik von Bernadette La Hengst] sowie Sänger*innen und Beteiligte | |
aus der Nachbarschaft kommen zusammen und besingen die vor aller Augen | |
offen liegende, vertane Chance einer lebenswerten Platzgestaltung. Die | |
musikalische Ebene bietet sich laut Künstlerin an, um soziale und | |
emotionale Barrieren zu überwinden. Nicht ohne Grund kann man von manchem | |
Leid ein Lied singen. | |
Wie das aussehen könnte, erfährt man in der Ausstellung „Little Big | |
Cha(lle)nges“ im [4][CLB im Aufbau Haus] am Moritzplatz. Denn dort stellt | |
Pia Lanzinger ihre jahrzehntelange künstlerische Praxis, in der sie große | |
gesellschaftliche Konflikte im Kleinen aufgreift – und zwar in vielen | |
Regionen der Welt –, beispielhaft in Videos, Fotos und Gesprächen vor. | |
Da geht es 1999 um die Stadt und ihr Geschlecht, weshalb die Künstlerin in | |
München spezielle Bustouren organisierte, um an sechs ausgewählten Orten | |
„weniger offensichtliche (Un-)Zusammenhänge im Leben der Geschlechter zu | |
erfahren“. 2001 konnte sich die Künstlerin dann wieder in München sehr | |
produktiv in die Neubesiedlung des Flughafenareals Riem einmischen – | |
entsprechend ihrem Credo, dass Kunst die Mitgestaltung gesellschaftlicher | |
Verhältnisse ernst nimmt. Sie entwickelte also [5][die Zeitschrift „Schönes | |
Wohnen in der Messestadt Riem“] und organisierte „Wohnwanderungen“, was d… | |
Austausch der Neuankömmlinge untereinander und die Artikulation ihrer | |
Anliegen förderte. | |
Ob in Wien, [6][Algier], [7][Mexiko-Stadt], Petze in Niedersachsen oder | |
Geraldton in Australien: Überall bringt Lanzingers künstlerischer | |
Einfallsreichtum neue Sichtweisen ins Spiel der allzu stabilen, wenn nicht | |
verhärteten Zustände, die glücklich zu nennen gelogen wäre. Es ist ein | |
Vergnügen in die einzelnen Projekte einzutauchen, den Beteiligten | |
zuzuhören, zu beobachten, was da Wundersames und Unerwartetes passiert und | |
über dessen heilsame, befreiende Wirkung zu staunen. | |
4 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://verwalterhaus.berlin/veranstaltungen/time-moving-storage-fotos-von-… | |
[2] https://michaelackermanwork.com/ | |
[3] /Kunstprojekt-Stadtflussland-Berlin/!5812698 | |
[4] https://clb-berlin.de/exhibitions/turning-the-point-2/ | |
[5] /Das-Leben-vor-der-Schrankwand/!1119845/ | |
[6] https://www.un-jeu-pour-notre-place.net/de/ | |
[7] https://pialanzinger.de/download/english/PL_StreetSweepers.pdf | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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