| # taz.de -- Buch über 4000 Jahre Schwarze Geschichte: Sklaverei und Widerstand | |
| > Amat Levins „Black History“ ist ein pralles Leselexikon über viertausend | |
| > Jahre Schwarze Geschichte auf drei Kontinenten. | |
| Bild: Ellen Johnson-Sirleaf wurde 2005 in Liberia zur Präsidentin gewählt –… | |
| Dieser Autor kann erzählen. Fesselnd und eingängig berichtet der | |
| schwedisch-gambische Journalist Amat Levin in seiner „Black History“ über | |
| Aufstieg und Fall von afrikanischen Großreichen und ihren Herrscher:innen, | |
| über Sklavenarbeit und Sklavenaufstände, über mutiges Handeln und fatale | |
| Fehler Einzelner und nicht zuletzt über das meist schwere Leben einfacher | |
| Leute. Wie eine geschichtliche Entwicklung durch neue Einflüsse in eine | |
| andere Richtung gelenkt wird, kann er mit wenigen Worten verdeutlichen. Für | |
| Bewertungen zieht er mehrere Standpunkte aus der Forschung heran und fügt | |
| jedem Abschnitt eine Liste weiterführender Literatur an. | |
| Der Verlag bewirbt Levins Buch als Gegenentwurf zur angeblich verbreiteten | |
| Annahme, die Geschichte Afrikas beginne mit der Kolonialisierung. Dagegen | |
| wäre einzuwenden, dass die dem Kolonialismus [1][vorausgehende Epoche der | |
| Versklavung von Afrikaner:innen und des transatlantischen | |
| Dreieckshandels] hinlänglich bekannt und hierzulande Thema auch im | |
| Schulunterricht ist. Neu im vom Verlag reklamierten Sinne ist die | |
| Aufmerksamkeit des Autors für die frühen Hochkulturen auf dem afrikanischen | |
| Kontinent. | |
| Innovativ an Levins Darstellung ist vor allem ihre Form, die es ermöglicht, | |
| die Geschichte Schwarzer Menschen über nicht weniger als vier Jahrtausende | |
| und drei Kontinente hinweg zu erzählen: In 78 Abschnitten von | |
| unterschiedlicher Länge behandelt er ausgewählte Entwicklungen, Ereignisse | |
| und Personen, die sich zu einem Mosaik Schwarzer Geschichte zusammenfügen. | |
| ## Zusammenhänge neu gedacht | |
| Leser:innen sind gut beraten, in dem so entstandenen Quasi-Lexikon | |
| herumzustöbern und nach eigenen Interessen diese und jene Artikel zu lesen. | |
| Das bietet sich besonders dort an, wo Levin in seiner weitgehend | |
| chronologisch angeordneten Darstellung einzelne Fäden zu einem späteren | |
| Zeitpunkt wieder aufnimmt und beispielsweise die nationalen Geschichten | |
| Haitis, Nigerias oder Liberias in mehreren Teilen erzählt, oft mit einem | |
| Cliffhanger am Schluss, der zum Vorausblättern geradezu nötigt. | |
| Zum Teil erinnern Levins sehr zugängliche Ausführungen an die engagierte | |
| Studie „Afrika und die Entstehung der modernen Welt“ seines | |
| afroamerikanischen Kollegen Howard French – auch er ein Journalist, der | |
| Zusammenhänge eingängig zu formulieren weiß. Wie French vergleicht Levin | |
| die afrikanischen (und arabischen) Ausprägungen der Sklaverei mit dem, was | |
| Schwarze Sklav:innen in den Amerikas erdulden mussten, und er kommt zum | |
| selben Ergebnis: Nirgendwo war das Leben der Versklavten – im Durchschnitt | |
| gesehen – so elend wie auf den Plantagen der Neuen Welt. | |
| Die wechselvolle Geschichte der haitianischen Revolution und des | |
| anschließenden Kriegs mit der Kolonialmacht Frankreich kann Levin | |
| überzeugend ordnen. Dass die erzwungenen Reparationen – nicht etwa an die | |
| befreiten Sklav:innen, sondern an deren ehemalige Besitzer – den jungen | |
| Staat von vornherein zum Scheitern verurteilten, daran lässt er keinen | |
| Zweifel. | |
| Dem berühmten Quilombo dos Palmares, einer Siedlung entflohener | |
| Sklav:innen in Brasilien, widmet Levin einen längeren Abschnitt. Weit | |
| davon entfernt, diesen im kulturellen Gedächtnis der Brasilianer:innen | |
| so wichtigen Zufluchts- und Widerstandstandsort zu idealisieren, zeichnet | |
| er nach, wie die Maroons eine gut verborgene Siedlung in den schwer | |
| zugänglichen Dschungelgebieten Brasiliens errichteten und durch | |
| Raubüberfälle auf Plantagen und die Befreiung der dort Versklavten | |
| beständig vergrößerten. | |
| Das Zusammenleben im Quilombo beruhte auf geteiltem Besitz und | |
| gegenseitiger Hilfe. Der Anführer der Gemeinschaft aber, ein aus | |
| Zentralafrika stammender Adliger namens Ganga Zumba, herrschte wie ein | |
| König, seine Untertanen fielen vor ihm auf die Knie. Palmares muss eine | |
| sehr spezielle Mischung aus revolutionären und rückwärtsgewandten Elementen | |
| gewesen sein. | |
| Ähnlich widersprüchlich gestaltete sich auch die Geschichte Burkina Fasos, | |
| wo nach der Unabhängigkeit von Frankreich und mehreren Staatsstreichen im | |
| Jahr 1983 der Revolutionär Thomas Sankara an die Macht kam: ein ehemaliger | |
| Hauptmann der Armee, der Marx und die Kritik des Kolonialismus kannte und | |
| der sein Land, eines der ärmsten der Welt, in eine neue Zeit des Wohlstands | |
| führen wollte. Tatsächlich reformierte Sankara die Landwirtschaft und | |
| förderte die Baumwollindustrie. | |
| Er bekämpfte die endemische Korruption, verbot Prostitution, Polygamie, | |
| Zwangsheiraten und die Beschneidung von Mädchen und wies die Armee an, in | |
| der Landwirtschaft und beim Bau von Schulen zu helfen. | |
| Aber er regierte autokratisch, duldete keine Parteien neben seinen Komitees | |
| zur Verteidigung der Revolution und bekämpfte die Gewerkschaften. Nachdem | |
| er einige unpopuläre Maßnahmen verfügt hatte, verlor er zwar nicht die | |
| Unterstützung der Bevölkerung, wohl aber die seines Apparats und von Teilen | |
| des Militärs. 1987 putschten die Offiziere Compaoré und Diendéré. Sie | |
| töteten Sankara und seine Berater und nahmen in der Folge die Neuerungen | |
| Sankaras zurück. | |
| Die Kolonie Liberia charakterisiert Levin hingegen als ein von vornherein | |
| zweifelhaftes Projekt. Die freigelassenen amerikanischen Sklav:innen, die | |
| sich 1822 an der afrikanischen Westküste niederließen und gegen den | |
| Widerstand der lokalen Bevölkerung einen Staat gründeten, diskriminierten | |
| systematisch die Indigenen als barbarisch und zurückgeblieben und zwangen | |
| sie zum Teil sogar, als Sklav:innen für sie, die doch gerade erst aus der | |
| Sklaverei entlassen waren, zu arbeiten. Für die Religionen der Indigenen | |
| hatten die Schwarzen amerikanischen Kolonisator:innen nur Verachtung | |
| übrig. Sich selbst sahen sie als Vertreter:innen des einzig wahren | |
| Glaubens: das ihren Vorfahren von den einstigen Sklavenhaltern | |
| aufgezwungene Christentum. Widersprüche allenthalben. | |
| Große Sympathie bekundet Levin für die Bewegung liberianischer Frauen aus | |
| allen Gesellschaftsschichten, Religionen und Volksgruppen, die die | |
| nationale Geschichte von Unfreiheit, Putschen, Bürgerkrieg und Anarchie im | |
| Jahr 2003 beenden konnte und [2][Ellen Johnson Sirleafs Wahl] zur ersten | |
| gewählten Präsidentin ermöglichte. | |
| Insgesamt ist die Geschichte Schwarzer Menschen, wie deutlich wird, leider | |
| keine des Erfolgs, ja nicht einmal eine eindeutige Fortschrittsgeschichte. | |
| Wie könnte sie es auch sein, nach 500 Jahren mörderischen Menschenraubs und | |
| gewaltsamer Landnahme. Kleine Lichter in dieser dunklen Geschichte sind | |
| immer wieder die Abschnitte über einzelne Menschen, die für die Kultur und | |
| Entwicklung ihrer Länder oder Communitys Bemerkenswertes geleistet haben. | |
| Die Übersetzung der so lebendigen Prosa Levins ist leider bisweilen | |
| ungelenk geraten und enthält gar Ausdrucks- und Grammatikfehler. Davon | |
| sollte sich jedoch niemand abhalten lassen, dieses Buch zu lesen, | |
| kursorisch, chronologisch oder wie auch immer. Die Lektüre von „Black | |
| History“ lohnt unbedingt. | |
| 16 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Renate Kraft | |
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