# taz.de -- Schwedische TV-Serie „Limbo“: Das Grauen hinter dem Healthy Food | |
> Die schwedische Serie „Limbo – Gestern waren wir noch Freunde“ beleucht… | |
> Mutter-Sohn-Beziehungen, ohne in die Kitsch-Falle zu tappen. Es gelingt | |
> gut. | |
Bild: Therapeutin My (Sofia Helin) und ihr Stiefsohn Lukas (Linton Calmroth) | |
Aus [1][der Karibik] kennt man jenen Tanz, bei dem man mit nach hinten | |
gebeugtem Körper unter einem immer tiefer gehaltenen Stab | |
hindurchschlängeln muss, ohne diesen zu berühren. | |
Der „Limbo“ wird auch in unseren Breiten immer dort eingesetzt, wo Frohsinn | |
und Überschwang Einzug halten sollen, z. B. auf Hochzeiten mit schwangerer | |
Braut (Bauch reißt Stange) und auf Kindergeburtstagen, nach der | |
traditionellen Schokokuss-Schlacht. | |
Der Begriff ist besetzt und es fällt schwer, ihn mit etwas anderem als | |
Remmidemmi in Verbindung zu bringen. Aber es gibt noch eine weitere | |
Bedeutung, einen anderen Gebrauch des Wortes, die hierzulande kaum bekannt | |
sein dürfte und jetzt durch [2][eine TV-Serie] in den Fokus rückt. | |
In „Limbo – Gestern waren wir noch Freunde“ wird der Zustand zwischen | |
Erstarrung und Unsicherheit zum Thema gemacht, und zwar auf eine Weise, die | |
dem Zuschauer keine Minute Entspannung gönnt. | |
„To be in limbo“ beschreibt im Englischen nämlich das Gefühl, in der | |
Schwebe zu sein und nicht herauszukommen, bis irgendeine Form von Erlösung | |
oder Gewissheit diese Phase beendet. Jeder kennt es – man wartet z. B. auf | |
eine erlösende E-Mail oder einen wichtigen Rückruf und ist in dieser Zeit | |
kaum ansprechbar, nervös oder auch, wenn’s ganz dicke kommt, außer sich. | |
## Aus der kreativ-bürgerlichen Welt gerissen | |
[3][Die Serie] untersucht, wie Menschen sich verhalten, wenn Ungewissheit | |
über einen längeren Zeitraum hinweg andauert. Und sie wirft einen Blick auf | |
Mutter-Sohn-Beziehungen. | |
Nach einem nächtlichen Autounfall ihrer Söhne, die, wie ihre Mütter, | |
ebenfalls befreundet sind, werden drei Frauen um die 40 aus ihrer | |
vorgeblich heilen, kreativ-bürgerlichen Welt herausgerissen und müssen sich | |
ihren Dämonen, Ängsten und Lebenslügen stellen. | |
Währenddessen bleibt lange Zeit unklar, ob eines der Kinder sterben wird. | |
Ebba (fantastisch: Rakel Wärmländer), Sofia Helin (My) und Gloria (Louise | |
Peterhoff) verabschieden nach einem gemeinsamen Essen ihre Jungs in die | |
Dunkelheit, diese wollen noch ausgehen. | |
Ein nächtlicher Anruf aus einer Klinik läutet ein, was sich zu einem | |
Psychodrama in mehreren Akten zusammenbrauen soll und über sechs Folgen | |
hinweg in Atem halten wird. | |
Ohne zu wissen, wie es den Söhnen geht oder was genau passiert ist, treffen | |
sich die Freundinnen im Krankenhaus und wir begleiten sie dabei, wie sie | |
versuchen, an Informationen über den Zustand der drei zu gelangen. Es | |
gestaltet sich schwierig, und schon zu Beginn zeigt sich, wie sehr | |
Zusammenhalt und Solidarität bröckeln, wenn es um das eigene Kind geht. | |
Die Regisseurin Sofia Adrian Jupither setzt ganz auf eine Wahrnehmungs- und | |
Erzählweise aus weiblicher Sicht. Sie verlässt sich auf das ausdrucksvolle | |
Spiel der Schauspieler:innen, stellt die Figuren als unterschiedliche und | |
doch harmonisierende Charaktere nebeneinander und zerschmettert | |
Freundschaftsgewissheiten auf geradezu unbarmherzige Weise. Das brillante | |
Drehbuch stammt von einer der Hauptdarstellerinnen (Wärmländer) und Emma | |
Broström. Ein reines Frauenprojekt also. | |
## Eindringliche Bilder und Dialoge | |
Jede der drei Protagonistinnen hat im wahrsten Sinne des Wortes ihr | |
Päckchen zu tragen. Während der Phase, in der nicht klar ist, ob einer der | |
Jugendlichen überhaupt aus seinem Koma erwachen wird, müssen sich alle | |
schlagartig mit Freundschafts-Altlasten und gegenseitigen | |
Schuldzuschreibungen auseinandersetzen. Das klappt nicht in allen Fällen | |
ohne Gewalt und Psychokrieg – hier und da springt auch eine der | |
Nebenfiguren über Klingen. | |
In dichten, eindringlichen Bildern und Dialogen werden wir in jede der drei | |
betroffenen Familien mitgenommen, während sie mit Angst und Schuld umgehen | |
müssen. | |
Der Zerfall eines abgesichert geglaubten Umfelds, das Scheitern von | |
Beziehungen, das Versagen im Zwischenmenschlichen – all das kommt zutage, | |
weil drei Jungs teils unangeschnallt in das falsche Auto gestiegen sind. | |
Der „Limbo“ ist hier ein Tanz auf Leben und Tod. | |
Viele kennen die Welt, in die Jupither uns führt. Es ist die Blase der | |
Akademiker und Künstler. Der Gebildeten und Geschmackssicheren. Deshalb | |
kommen einem die Protagonist:innen so immens nahe. Skandinaviens | |
„Hygge“ ist in diesem Falle eine Lebensfantasie, die sich in dem Moment | |
selbst zerstört, als das Schicksal anklopft. Ingmar Bergman, ick hör’ dir | |
trapsen. | |
Zwischen Bücherregalen und geschmackvoller Garderobe, zwischen dem | |
Sommerhäuschen auf dem Land und Healthy Food lauert das Grauen. | |
Binge-Empfehlung extrem! | |
31 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Malerei-und-Black-History/!6019194 | |
[2] /Dritte-Staffel-Kommissar-Baeckstroem/!6022193 | |
[3] /Norwegen-Krimi-Die-Saat/!5979647 | |
## AUTOREN | |
Rebecca Spilker | |
## TAGS | |
TV-Serien | |
Skandinavien | |
Krimis | |
TV-Krimi | |
Künste | |
Wochenendkrimi | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Dritte Staffel „Kommissar Bäckström“: Ein „Cold Case“ führt nach Mal… | |
Der Plot ist zwar keine leichte Kost. Aber endlich wird dem überhaupt nicht | |
politisch korrekten Starermittler ein Sympathieträger zur Seite gestellt. | |
Malerei und Black History: Rebellisch leuchtende Wesen | |
Das Kunstmuseum Wolfsburg präsentiert die Künstlerin Firelei Báez. | |
Bildmächtig verbindet sie Mythen der Karibik mit Elementen des | |
Afrofuturismus. | |
ARD-Zweiteiler „Lost in Fuseta“: Kein schnöder Donnerstagskrimi | |
Ein komplexer Stoff, der in die Kolonialzeit weist. Und dann macht es auch | |
noch Spaß, Kommissar Leander Lost bei den Ermittlungen zuzusehen. |