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# taz.de -- Retrospektive von Noa Eshkol: Ornament der Hoffnung
> Kunst in Zeiten des Krieges:Das Georg Kolbe Museum in Berlin zeigt eine
> Retrospektive der Tänzerin und Künstlerin Noa Eshkol aus Israel.
Bild: Blick in die Ausstellung mit Noa Eshkols „Queen of Sheba’s Sea“, 19…
Nichts geht ohne den Atem. Einatmen, ausatmen. Zwölf Atemübungen hat Ayumi
Paul auf eine Wand des Georg Kolbe Museums in Berlin geschrieben.
„breathing in breathing out / until the heart feels light“. „breathing in
breathing out / until somewhere else a dream comes true“. Dazu gehören
zwölf Schemel aus einem einzigen Stück Birnenholz, die Besucher der
Ausstellung nutzen und ihre Position verändern können.
Ayumi Paul ist Violinistin und Künstlerin. Ihre Arbeit „Forms of Breath“
verbindet Raum und Bewegung und setzt behutsam die Vorstellungskraft in
Gang. Sie entstand als Hommage an Noa Eshkol, eine Tänzerin, Choreografin
und bildende Künstlerin aus Israel. Deren Werk widmet das Georg Kolbe
Museum eine Retrospektive, die zugleich das Netz ihrer Partner in der Kunst
und Wissenschaft aufgreift und ihre Bedeutung für Künstler:innen der
Gegenwart thematisiert.
Noa Eshkol, 1924 im Kibbutz Degania B geboren, starb 2007. Bis zu ihrem Tod
arbeitete sie an ihren Bildern aus Stoffresten. Manche sind bis zu 4 x 4
Meter groß, sie werden teils an den Wänden, teils auf dem Boden liegend
ausgestellt. Eines von 1996, „Japanese Screen“, ist nur mit Stecknadeln
gesteckt. Stoffstreifen mit Blumen und mit abstrakten Mustern bilden
nebeneinanderliegende Ströme, gekreuzt von gitterähnlichen Strukturen.
## Echo der Landschaft
Ihre Stoffbilder sind leuchtend, farbenprächtig, großformatig. Auch wenn
viele Formen abstrakt sind, lassen sich doch landschaftliche Elemente in
ihnen lesen. Die Wüste und Vögel tauchen in den Titeln auf, das Meer und
die Jahreszeiten, aber auch ein arabisches Dorf und ein Dorf in der
Ukraine. Weite ist spürbar. Oft treiben Keile über geometrisch geordnete
Stoffstücke, Bewegungen wie Wellen und Wind, das Aufblühen und
Zur-Ruhe-Kommen lassen sich finden.
Alles stammt aus Fundstücken, kein Stoff wurde gerissen oder geschnitten,
das war Noa Eshkol wichtig. Ihre an Ornamenten reichen Teppichbilder atmen
etwas Frühlingshaftes und Hoffnungsvolles. Und doch war der Ursprung dieser
textilen Collagen ein Krieg, der Jom-Kippur-Krieg, der am 6. Oktober 1973
mit einem Angriff Ägyptens und Syriens auf Israel begonnen hatte.
Der Titel der Retrospektive „No Time to Dance“ verweist auf diesen
Einschnitt in [1][Noa Eshkols Arbeit]. Seit den frühen fünfziger Jahren war
sie vor allem Tänzerin gewesen, hatte ein eigenes Ensemble, die Chamber
Dance Group, unterrichtete und arbeitete an der Entwicklung einer Notation,
um Bewegungen festzuhalten und zu analysieren.
Aber dann begann der Jom-Kippur-Krieg, einer ihrer Tänzer wurde eingezogen,
und Noa Eshkol entschied, jetzt sei „No Time to Dance“. In dieser Zeit
begann sie mit den Teppichen, ihre Tänzer und andere brachten ihr
Stoffreste. Die Arbeit daran über viele Jahrzehnte hinweg wird als eine
Obsession und Leidenschaft beschrieben.
## Beobachten und neu kombinieren
Dass sie Bestehendes nutzte und zu etwas Neuem zusammenfügte, das ist das
Bindeglied zu ihren Arbeiten als Tänzerin: Bewegungen beobachten und neu
kombinieren. Ihre Choreografien, oft kurze Tänze von zwei oder drei
Minuten, allein zum Takt eines Metronoms ausgeführt, haben etwas von
meditativen Übungen.
Die Schrittfolgen sind kurz, viele Wiederholungen mit kleinen Varianten.
Die Titel wie „Warrior“, „Small Birds in Trees“, „The Four Seasons“
verweisen durchaus auf die Welt der Erfahrungen und sinnlichen
Wahrnehmungen. Die Tänze aber nehmen sich mit ihrem reduzierten
Bewegungsmaterial wie Übungen der Konzentration und Beobachtung aus.
Sie behandelte in ihnen die verschiedenen Glieder wie Unterarme oder
Oberschenkel als separate Instrumente, für die sie jeweils eigene Regeln
der Bewegung festhielt. Sie nutzte Kompositionsformen wie den Kanon oder
die Fuge, um mit den Körperteilen polyfone Bewegungen zu komponieren. In
der grafischen Umsetzung, an der sie unter anderem mit dem Architekten (und
ihrem Ehemann) Abraham Wachmann arbeitete, entstanden dabei Figuren, die
Rotationen in Scheiben- und Trichterformen übersetzen.
Diese Schemata zur Verdeutlichung des körperlichen Apparates und seiner
Möglichkeiten erinnern visuell an die Bauhaus-Moderne, etwa die Figuren von
Oskar Schlemmer. Und sie gehören zu dem ästhetischen Material, das
Künstler:innen der Gegenwart wiederum nutzen, wenn sie sich auf Eshkol
beziehen. Die Wege zwischen Fläche und Raum, Bewegung und Skulptur in
Eshkols Arbeiten machen Noa Eshkol auch so interessant für das
[2][Kolbe-Museum, das schon mehrfach die Beziehungen zwischen Skulptur und
Tanz] aufgegriffen hat.
## Erinnerung Warschauer Ghetto
Die Abstraktion und Reduktion in ihrer Ästhetik können auf den ersten Blick
vergessen lassen, wie sehr ihre Arbeit in der jüdischen und der Geschichte
Israels verwurzelt ist. Da ist die Verbundenheit mit der Landschaft in den
Teppichen. Da war ihre Lehrerin Tile Rössler, die zuerst an der
Palucca-Schule in Dresden gelehrt hatte, aber, als ihr auf Grund ihrer
jüdischen Herkunft gekündigt wurde, nach Isreal ging und 1933 eine Schule
in Tel Aviv eröffnete. Vor allem aber ist da eine Choreografie, die Noa
Eshkol 1953 zum zehnjährigen Gedenken an den Aufstand im Warschauer Ghetto
entwickelte, von der man in einer Filmauszeichnung Ausschnitte sehen kann.
Vor einem alten Viadukt tanzen große Gruppen auf verschiedenen Bühnen in
dichten Formationen. [3][Yael Bartana] und Omer Krieger haben diese
Massenchoreografie und Trauerarbeit in Performances und Videos
aufgegriffen. Bei Bartana führt ein Zug, von jungen Menschen, der teils an
Demonstrationen, teils an Prozessionen erinnert, zu einem Militärfriedhof.
Die Stimmung ist aufgeladen, die Formationen der Körper sind dicht, alle
tragen Gewehre; Angst, Gefahr und Trauer sind greifbar. „Begrabt unsere
Waffen, nicht unsere Körper“, haben sie als Slogan dabei.
Noa Eshkols Arbeit wurzelte in einem Glauben an die „Gemeinschaft der
Völker“. Das betonte sie 1974 in einem Vorwort zu einem Buch mit Notationen
zu „Arab and Israeli Folk Dance“. Ihre Kunst enthält ein heute wieder
utopisch scheinendes Moment „vom friedlichen Zusammenleben der beiden
Völker in Israel“ fest, wie sie in diesem Vorwort schreibt. Das macht die
Retrospektive so spannend, die damit weit über den Anlass des hundertsten
Geburtstages hinausgeht.
17 Mar 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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